„Du kannst es dir einfach machen“, sagte er mit stählerner Stimme, „oder es dir schwer machen.“
Rea fühlte das Herz in ihrer Brust hämmern als sie ihn anstarrte. Sie blickte ihm direkt in die Augen. Sie erinnerte sich an das, was ihr Vater ihr einmal gesagt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war: Niemals klein beigeben. Niemandem. Steh für dich ein, auch wenn alle gegen dich sind. Vor allem, wenn alle gegen dich sind. Konzentriere dich auf das größte Großmaul. Greif zuerst an, auch wenn du damit dein Leben riskierst.
Rea zögerte keine Minute. Ohne nachzudenken griff sie nach einer Stange, die einer der Männer in den Händen hielt, preschte nach vorne und rammte sie Kavo in den Solarplexus.
Kavo keuchte und fiel auf die Knie. Rea wollte ihm keine weitere Chance geben, holte erneut aus und schlug ihm mit der Stange ins Gesicht. Seine Nase brach und er lies die Peitsche auf den Boden fallen. Er griff nach seiner Nase und stöhnte, während er sich im Schlamm wälzte.
Rea, die noch die Stange in der Hand hielt, blickte auf und sah in entsetzte Augen und schockierte Gesichter. Sie alle sahen etwas weniger sicher aus.
„Er ist mein Junge“, kreischte sie. „Ich behalte ihn. Sollte noch einmal jemand versuchen, mir etwas anzutun, dann wird es das nächste Mal nicht eine Stange, sondern ein Schwert sein, das in eurem Bauch steckt.“
Mit diesen Worten verfestigte sich ihr Griff um die Stange. Sie drehte sich um und lief langsam davon. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Sie wusste, dass nicht einer von ihnen ihr folgen würde. Zumindest vorerst.
Sie lief davon, mit zittrigen Händen, pochendem Herzen und in dem Wissen, dass es sechs lange Monde brauchen würde, bis ihr Baby das Licht der Welt erblickte.
Sie wusste, dass, wenn sie sie das nächste Mal aufsuchten, sie kommen würden, um sie zu töten.
KAPITEL DREI
Sechs Monde später
Rea lag neben ihrer kleinen prasselnden Feuerstelle auf einem mit Fellen bedeckten Lager. Sie war ganz und gar allein, und sie stöhnte und schrie vor Schmerzen, denn die Geburtswehen hatten eingesetzt. Draußen blies der Winterwind und ein unerbittlicher Sturm schlug die Fensterläden gegen die Wände ihrer Hütte, Schneewehen brachen immer wieder hinein. Der wütende Sturm entsprach ihrer eigenen Stimmung.
Reas Gesicht glänzte vom Schweiß, während sie neben dem kleinen Feuer saß. Trotz der sich auftürmenden Flammen und des tretenden und sich windenden Drängens des Kindes in ihrem Leib wurde ihr nicht warm. Sie war nass und fror, sie zitterte am ganzen Körper und sie war sich sicher, dass sie in dieser Nacht sterben würde. Eine neue Wehe fuhr durch ihren Körper und der Schmerz war so groß, dass sie sich wünschte der Ritter hätte sie in jener Nacht einfach getötet; das wäre der größere Gnadenakt gewesen. Diese sie dahinraffende Folter, diese Nacht voller Qualen war tausendfach schlimmer als alles andere, was man ihr jemals hätte antun können.
Über ihre Schreie und die Windböen erscholl plötzlich ein anderer Laut – vielleicht das einzige Geräusch, dass ihr jetzt noch einen Schauer über den Rücken schicken konnte.
Es war das Geräusch des Mobs. Ein verärgerter Pulk Dorfbewohner, der kamen, um ihr Kind zu töten, da war sie sich sicher.
Rea nahm all ihre Kraft zusammen, Kraft von der sie nicht einmal wusste, dass sie sie noch besaß, und setzte sich zitternd auf. Keuchend und schreiend landete sie auf wackligen Knien. Sie griff nach dem hölzernen Griff in der Wand und kam mit letzter Kraft und einem Schrei zum stehen.
Sie wusste nicht, ob die Schmerzen im liegen oder stehen größer waren. Aber sie hatte keine Zeit darüber nachzusinnen. Der Mob wurde lauter, kam näher und sie wusste, dass er bald hier sein würde. Sie musste dieses Kind in Sicherheit bringen, was auch immer es kostete. Es war merkwürdig, doch erschien ihr das Leben des Ungeborenen wichtiger als das eigene.
Rea gelang es, zur Tür zu stolpern, sie lehnte sich gegen sie und stützte sich dabei am Türknopf ab. Dort stand sie, atmete mehrere Sekunden schwer ein und aus, verschnaufte und sammelte Kraft. Schließlich drehte sie den Türknopf herum. Sie griff nach einer Heugabel, die an der Wand lehnte, stützte sich auf sie und öffnete die Tür.
Rea schlug ein plötzliches Schneegestöber entgegen, das so kalt war, dass ihr der Atem stockte. Der Wind trug die lauter werdenden Schreie zu ihr hinüber, und ihr sank der Mut, als sie in der Ferne die Fackeln erblickte, die sich ihren Weg wie in Aufruhr geratene Leuchtkäfer zu ihr bahnten. Sie blickte in den Himmel und erhaschte einen Blick auf den riesigen Blutmond zwischen den Wolken, der den Himmel erfüllte. Sie hielt den Atem an. Das war nicht möglich. Sie hatte noch nie einen roten Mond gesehen und erst recht nicht während eines Sturms. Sie spürte einen scharfen Tritt in ihrem Bauch und plötzlich wurde ihr klar, dass dieser Mond zweifelsohne ein Zeichen war. Es war ein Zeichen für die Geburt ihres Kindes.
Wer ist er, fragte sie sich.
Rea umfasste ihren Bauch mit beiden Händen und spürte das Drängen und Winden einer anderen Person in ihr. Sie konnte seine Macht spüren, seinen Willen ans Licht zu brechen, als wäre er selbst gewillt, diesen Mob zu bekämpfen.
Dann kamen sie. Die entzündeten Fackeln erleuchteten die Nacht als der Mob aus den Gassen brach und sich vor ihr aufbaute. Wenn sie ihr altes Selbst gewesen wäre, stark und unnachgiebig, dann hätte sie ihnen die Stirn geboten. Doch sie konnte kaum laufen – kaum stehen – und sie konnte ihnen so nicht gegenübertreten. Nicht so kurz vor der Geburt.
Auch wenn Rea eine tiefe Wut verspürte, war da auch eine tiefe Stärke, eine Stärke, die von ihrem Baby kam, das wusste sie. Adrenalin schoss durch ihren Körper und die Wehen ließen augenblicklich nach. Für einen kurzen Moment war sie wieder sie selbst.
Der erste der Dorfbewohner, ein kleiner dicker Mann, kam mit einer Sichel in der Hand auf sie zu gerannt. Als er sich näherte, griff Rea nach hinten und umfasste die Heugabel mit beiden Händen. Sie trat einen Schritt zur Seite und stieß einen Urschrei aus, als sie sie ihm in den Magen stieß.
Der Mann erstarrte und sank in sich zusammen. Auch der Mob hielt inne und blickte sie erschrocken und verwundert an.
Rea vergeudete keine Sekunde. Mit einer schnellen Bewegung zog sie die Heugabel aus dem leblosen Körper, schwang sie über ihren Kopf und rammte sie dem nächsten Dorfbewohner ins Gesicht, als dieser versuchte, mit einem Stock auf sie loszugehen. Auch er taumelte und landete vor ihren Füßen im Schnee. Rea durchzuckte ein furchtbarer Schmerz in ihrer Seite, als ein anderer Mann nach vorn stürmte, sich auf sie stürzte und sie im Schnee zu Fall brachte. Sie schlidderten einen Meter über den Boden. Rea keuchte vor Schmerzen als sie die Tritte des Kindes in sich spürte. Sie rang mit dem Mann im Schnee. Es ging um ihr Leben und als sich sein Griff für einen Moment lockerte, vergrub Rea verzweifelt ihre Zähne in seiner Wange. Er schrie, als sie ihre Zähne tiefer in ihn versenkte. Sie sog das Blut ein, sie schmeckte es, sie würde nicht von ihm ablassen, denn das Baby in ihr gab ihr Kraft.
Schließlich ließ er von ihr ab, griff sich an die Wange und Rea sah ihre Gelegenheit gekommen. Sie kam rutschend zum Stehen und war bereit davonzulaufen. Sie hatte es fast geschafft, als sie plötzlich jemand von hinten beim Schopfe griff. Derjenige riss ihr beinahe das Haar vom Kopf als er sie zurück auf den Boden zerrte und sie davon schliff. Sie blickte nach oben und sah Severn, der finster zu ihr herabblickte.
„Du hättest auf uns hören sollen, als du die Chance hattest“, zischte er. „Jetzt werden wir dich zusammen mit deinem Baby töten.“
Rea hörte bereits die jubelnde Menge und sie wusste, dass es vorbei war. Sie schloss ihre Augen und betete. Sie war nie eine religiöse Person gewesen, doch in diesem Moment fand sie Gott.
Ich bete mit jeder Faser meines Körpers, dass dieses Kind gerettet wird. Nimm mich. Nur rette dieses Kind!
Als würden ihre Gebete erhört, spürte sie plötzlich wie das Zerren an ihren Haaren nachließ und gleichzeitig ertönte ein dumpfer Schlag. Sie blickte erschrocken auf und