Die einzige Gefahr und Tyrannei kam aus dem Inneren, von der noblen Aristokratie und ihrer Ausbeutung der Armen. Menschen wie Royce. Ihre Reichtümer genügten ihnen jedoch nicht – sie mussten ihnen auch noch die Frauen wegnehmen.
Dieser Gedanke hinterließ rote Flecken auf Royces Wangen. Er senkte seinen Kopf, umklammerte den Griff seines Schwerts und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was er vorhatte.
„Die Brücke ist unten!“ rief Raymond. „Das Tor ist offen!“
Royce hatte es auch bemerkt und sah es als gutes Zeichen.
„Natürlich ist es das!“ rief Lofen zurück. „Glaubt ihr wirklich, dass sie einen Angriff erwarten? Und dann auch noch von uns?“
Royce ritt schneller, dankbar, dass seine Brüder ihm beistanden, und wissend, dass Genoveva seinen Brüdern ebenso wichtig war wie ihm. Sie war für sie wie eine Schwester und ein Affront gegen Royce war für sie wie ein Affront gegen sie selbst. Er blickte nach vorne und machte auf der Zugbrücke ein paar Schlossritter aus, die halbherzig in die Landschaft und auf die umliegenden Felder starrten. Sie waren nicht darauf vorbereitet. Sie waren seit Jahrhunderten nicht angegriffen worden und hatten keinen Grund jetzt einen Angriff zu erwarten.
Der typische Laut war zu hören als Royce sein Schwert zog, er senkte seinen Kopf und hielt sein Schwert zum Angriff bereit in die Luft. Auch seine Brüder zogen ihre Schwerter. Royce ritt nach vorne und übernahm, gewillt als erster in die Schlacht zu ziehen, die Führung. Sein Herz schlug vor Aufregung und Angst – es war keine Angst um sich selbst, sondern um Genoveva.
„Ich werde reingehen, sie finden und herausbringen!“ rief Royce den Plan seinen Brüdern zu. „Bleibt an der Seite. Das ist mein Kampf.“
„Du wirst da nicht alleine reingehen!“ rief Garet zurück.
Royce schüttelte entschlossen den Kopf.
„Wenn etwas schief geht, dann will ich nicht, dass ihr dafür bezahlt“, rief er zurück. „Bleibt hier draußen und lenkt diese Wächter ab. Das würde mir am meisten helfen.“
Er deutete mit seinem Schwert auf ein dutzend Ritter, die bei dem Torhäuschen neben dem Burggraben standen. Royce wusste, dass sie ihn angreifen würden sobald er über die Brücke ritt; doch wenn seine Brüder sie ablenkten, würden sie vielleicht lange genug in Schach gehalten, um hineinzugelangen und Genoveva zu finden. Er würde nur ein paar Minuten brauchen. Wenn er sie schnell genug fände, könnte er sie schnappen, davonreiten und diesen Ort hinter sich lassen. Er wollte niemanden töten, wenn es nach ihm ging; er wollte ihnen nicht einmal Schmerzen zufügen. Er wollte schlichtweg seine Braut zurück.
Royce senkte seinen Kopf und galoppierte so schnell er konnte, so schnell, dass er kaum noch atmen konnte, weil der Wind ihm ins Gesicht schlug. Er kam der Brücke näher, noch dreißig Meter, zwanzig, zehn, das Geräusch seines Pferdes und seines Herzschlages dröhnten in seinen Ohren. Sein Herz hämmerte in seiner Brust als er ritt und er wusste, wie verrückt das alles war. Er war dabei etwas zu tun, das der Bauernklasse nicht einmal im Traum einfallen würde zu tun: die Elite anzugreifen. Es war ein Krieg, den er unmöglich gewinnen konnte und es war ein sicherer Weg getötet zu werden. Doch seine Braut befand sich hinter diesen Toren und das war ihm Grund genug.
Royce war nur noch ein paar Meter von der Brücke entfernt, da sah er wie sich die Augen der Ritter überrascht weiteten und sie nach ihren Waffen griffen. Das hatten sie ganz klar nicht erwartet.
Ihre verzögerte Reaktionsfähigkeit war genau das, was Royce jetzt brauchte. Er stürmte auf sie zu und als sie ihre Helmbarten hoben, senkte er sein Schwert und zielte auf deren Schafte, um sie zu entzweien. Er schlug von beiden Seiten auf sie ein, zerstörte die Waffen der Ritter auf beiden Seiten der Brücke, immer darauf bedacht ihnen möglichst kein Leid zuzufügen. Er wollte sie nur entwaffnen und sich nicht in ewige Kampfhandlungen verstricken.
Royce legte noch an Geschwindigkeit zu, drängte sein Pferd vorwärts und nutzte es so als Waffe, die die übrigen Wächter zur Seite stieß, sodass sie in ihrer schweren Rüstung durch die Luft flogen und über die flache Brücke in die Wasser des Burggrabens segelten. Royce wusste, dass sie eine Weile brauchen würden, dort wieder herauszukommen. Mehr Zeit würde er auch nicht brauchen.
Royce konnte hinter sich seine Brüder hören, die ihm weitere wertvolle Minuten schenken würden; auf der anderen Seite der Brücke ritten sie auf das Torhäuschen zu, schlugen Wächter nieder, entwaffneten sie, bevor sie die Chance hatten sie anzugreifen. Sie schafften es, das Torhäuschen zu isolieren und so die verdutzten Ritter, die gerade nicht mit der Wache an der Reihe waren, zu überraschen. Das war Royces Chance.
Royce senkte seinen Kopf und raste auf das offene Tor zu. Er ritt schneller als er sah, dass es sich langsam schloss. Er zog den Kopf ein und ritt im letzten Augenblick durch den offenen Torbogen kurz bevor sich das schwere Tor endgültig schloss.
Royce ritt mit pochendem Herz in den Innenhof. Er hielt inne und blickte sich um. Er war noch nie im Inneren der Festung gewesen, war ohne Orientierung und sah sich von allen Seiten von dicken Steinmauern, die mehrere Stockwerke hoch waren, umgeben. Bedienstete und gemeines Volk wuselte hier herum, trugen Eimer mit Wasser und anderen Waren. Glücklicherweise hatten die Ritter ihn hier noch nicht entdeckt. Sie hatten auch keinen Grund, ihn zu erwarten.
Royce sah prüfend an den Mauern empor und suchte verzweifelt nach einem Anhaltspunkt seiner Braut.
Doch er fand keinen. Panik stieg in ihm auf. Was wäre, wenn sie sie woanders hingebracht hatten?
„GENOVEVA!“ rief er.
Royce suchte überall, wandte sich auf seinem wiehernden Pferd nervös nach allen Seiten um. Er hatte keine Ahnung, wo er suchen sollte und er hatte keinen Plan. Er hatte nicht einmal geglaubt, dass er es so weit schaffen würde.
Royce dachte scharf nach, er musste jetzt schnell sein. Die Adligen lebten wahrscheinlich dort oben, dachte er, fern abseits des Gestanks, der Massen, dort, wo Wind und Sonnenlicht waren. Dort würden sie auch Genoveva hingebracht haben.
Dieser Gedanke machte ihn wütend.
Er zwang sich seine Gefühle in Schach zu halten, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte über den Hof vorbei an verdattert dreinblickenden und glotzenden Bediensteten, denen die Arbeit aus der Hand fiel, als er an ihnen vorbeiritt. Er machte auf der anderen Seite des Weges eine breite, gewundene Steintreppe aus und ritt darauf zu. Er sprang ab, noch bevor sein Pferd angehalten hatte und sprintete die Treppen hinauf. Er nahm eine Windung nach der anderen und flog höher und höher. Er hatte keine Ahnung, wohin sie ihn führen würde, doch hielt es für eine gute Idee, seine Suche ganz oben zu beginnen.
Auf dem obersten Treppenabsatz verließ er schwer atmend die Wendeltreppe.
„Genoveva!“ schrie er und hoffte betend auf eine Antwort.
Doch es kam keine. Seine Verzweiflung wurde größer.
Er wählte einen der Korridore und rannte hindurch. Er betete, dass es der richtige sein würde. Als er an einer der Türen vorbeisauste, wurde sie plötzlich aufgestoßen und der Kopf eines Mannes kam zum Vorschein. Es war einer der Adligen, ein kleiner, fetter Mann mit einer breiten Nase und ausgedünntem Haar.
Er blickte Royce finster an und konnte von Royces Aufmachung sicherlich auf seine bäuerliche Herkunft schließen; er rümpfte die Nase als hätte sich Ungeziefer bei ihm eingeschlichen.
„Hey!“ rief er. „Was machst du in unserer – “
Royce zögerte keine Sekunde. Als der empörte Adlige auf ihn zu stürmte, schlug er ihm ins Gesicht, so dass er rücklings auf dem Boden landete.
Royce ließ seinen Blick schnell durch die geöffnete Tür schweifen und hoffte Genoveva dort zu erblicken. Doch der Raum war leer. Er lief weiter.
„GENOVEVA!“ schrie Royce.
Plötzlich