Lottes Gesicht ist erwartungsvoll auf die andere gerichtet. Luise lässt das Bild sinken und nickt selig. Dann presst sie es wild an sich und flüstert: „Meine Mutti!“
Lotte legt den Arm um Luises Hals. „Unsere Mutti!“ Zwei kleine Mädchen drängen sich eng aneinander. Hinter dem Geheimnis, das sich ihnen eben entdeckt hat, warten neue Rätsel, andere Geheimnisse.
Der Gong dröhnt durchs Haus. Kinder rennen lachend und lärmend treppab. Luise will das Bild in den Schrank zurücklegen. Lotte sagt: „Ich schenke dir’s!“
Fräulein Ulrike steht im Büro vor dem Schreibtisch der Chefin und hat vor Aufregung krebsrote, kreisrunde Flecken auf beiden Backen.
„Ich kann es nicht für mich behalten!“, sagt sie. „Wenn ich nur wüsste, was wir tun sollen!“
„Na, na“, sagt Frau Muthesius. „Was drückt Ihnen denn das Herz ab, meine Liebe?“40
„Luise Palfy und Lotte Körner! Ich habe im Aufnahmebuch nachgeschlagen! Sie sind beide am selben Tag in Linz geboren! Das kann kein Zufall sein!“
„Wahrscheinlich ist es kein Zufall, meine Liebe. Ich habe mir auch schon bestimmte Gedanken gemacht.“
„Sie wissen es also?“, fragt Fräulein Ulrike.
„Natürlich! Als ich die kleine Lotte, nachdem sie gekommen war, nach ihren Daten gefragt und diese eingetragen hatte, verglich ich sie mit Luises Geburtstag und Geburtsort.“
„Und was geschieht nun?“
„Nichts.“
„Nichts?“
„Nichts! Sie sollen den Mund halten, meine Liebe.“
„Aber…“
„Kein Aber! Die Kinder ahnen nichts. Sie haben sich vorhin fotografieren lassen und werden die Bilder heimschicken. Wenn sich die Fäden hierdurch entwirren41, gut! Doch Sie und ich, wir wollen uns hüten, Schicksal zu spielen42. Ich danke Ihnen für Ihre Einsicht. meine Liebe. Und jetzt schicken Sie mir, bitte, die Köchin.“
Fräulein Ulrike macht kein sonderlich geistreiches Gesicht, als sie das Büro verlässt. Übrigens wäre das bei ihr auch etwas völlig Neues.
Aufgaben
Ist das richtig?
1.Im zweiten Kapitel spielt die Handlung nach einer Woche.
2.Im zweiten Kapitel spielt die Handlung am nächsten Tag.
3.Lotte und Luise wachen am Morgen auf und grüßen freundlich einander.
4.Luise ärgert sich über Trudes Worte und geht Lotte suchen. Sie hat keine Wut mehr auf sie.
5.Lotte und Luise werden Freundinnen und lassen sich fotografieren.
6.Lotte und Luise haben das Geheimnis entdeckt, dass sie Schwestern sind.
7.Zum Mittagessen kommt die doppelte Luise. Die beiden Mädchen tragen Locken.
8.Zum Mittagessen kommt das doppelte Lottchen. Die beiden Mädchen tragen Zöpfe.
9.Alle Kinder sind überrascht.
10.Es ist leicht festzustellen, wer Luise und wer Lotte ist.
11.Trude erkennt Luise.
12.Lotte und Luise wollen ihr Geheimnis für sich behalten.
13.Die Leiterin und Fräulein Ulrike wissen auch, dass Lotte und Luise Schwestern sind, aber sie wollen das Geheimnis für sich behalten.
Fragen:
1.Wie und wann haben die Kinder das Geheimnis entdeckt, dass sie Schwestern sind?
2.Wie hat die Leiterin das Geheimnis entdeckt, dass die Mädchen Zwillinge sind?
3.Warum wollen die Mädchen das Geheimnis für sich behalten?
4.Warum will die Leiterin des Ferienheims das Geheimnis für sich behalten?
Übersetzung ins Russische:
1.Luise ärgert sich über Trudes Worte.
2.Luise hat große Wut auf Trude.
3.Luise hat keine Wut mehr auf Lotte.
4.Luise ist Lotte nicht mehr böse.
5.Luise ist nicht mehr wütend.
Wie heißt auf Deutsch:
действие происходит, тайна, обнаружить тайну, сохранить тайну, фотографироваться, злиться, сердиться на кого-либо (все варианты)
Nacherzählung:
1.Die Mädchen wagen einander nicht anzusehen.
2.Luise spielt mit ihren Freundinnen.
3.Luise und Lotte auf der Wiese.
4.Das doppelte Lottchen.
5.Die Mädchen entdecken das Geheimnis.
6.Die Eltern der Mädchen.
7.Das Gespräch der Leiterin mit Fräulein Ulrike.
Drittes Kapitel
Die Zeit vergeht. Sie weiß es nicht besser43.
Haben die zwei kleinen Mädchen ihre Fotos bei Herrn Eipeldauer im Dorf abgeholt? Längst! Hat sie Fräulein Ulrike neugierig gefragt, ob sie die Fotos nach Haus geschickt hätten? Längst! Haben Luise und Lotte mit den Köpfchen genickt und ja gesagt? Längst!
Und ebenso lange liegen dieselben Fotos, in kleine Fetzen zerpflückt, auf dem Grunde des grünen Bühlsees bei Seebühl. Die Kinder haben Fräulein Ulrike angelogen! Sie wollen ihr Geheimnis für sich behalten! Wollen es zu zweit verbergen und, vielleicht, zu zweit enthüllen! Und wer ihren Heimlichkeiten zu nahe kommt, wird rücksichtslos beschwindelt. Es geht nicht anders. Nicht einmal Lottchen hat Gewissensbisse. Das will viel heißen.
Die beiden hängen jetzt wie die Kletten zusammen. Trude, Steffie, Monika, Christine und die anderen sind manchmal böse auf Luise, eifersüchtig auf Lotte. Was hilft’s? Gar nichts hilft es! Wo mögen sie jetzt wieder stecken?
Sie stecken im Schrankzimmer. Lotte holt zwei gleiche Schürzen aus ihrem Schrank, gibt der Schwester eine davon und sagt, während sie sich die andere umbindet: „Die Schürzen hat Mutti beim Oberpollinger gekauft.“
„Aha, meint Luise, „das ist das Kaufhaus auf der Neuhauser Straße, beim … wie heißt das Tor?“
„Karlstor.“
„Richtig, beim Karlstor!“
Jede weiß schon recht gut Bescheid über die Lebensgewohnheiten, über die Schulfreundinnen, Nachbarn, die Lehrerinnen und Wohnungen der anderen! Für Luise ist ja alles, was mit der Mutti zusammenhängt, so ungeheuer wichtig44! Und Lotte will auch alles über den Vater erfahren, was die Schwester weiß! Tag für Tag sprechen sie von nichts anderem. Und noch abends flüstern sie stundenlang in ihren Betten. Jede entdeckt einen anderen, einen neuen Kontinent. Das, was bis jetzt ihre Kinderwelt war, war ja nur die eine Hälfte ihrer Welt!
Und sie sind damit beschäftigt, diese beiden Hälften aneinander zu fügen. Ein anderes Thema erregt sie auch, ein anderes Geheimnis plagt sie: Warum sind die Eltern nicht mehr zusammen?
„Erst haben sie natürlich geheiratet“,