Pfarre und Schule. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
durch das Gesetz steckbrieflich verfolgt wäre – daß ferner das Gesetz doch fortbestehen müsse, ob sie nun dies oder ein anderes Ministerium hätten – versprach ihnen aber auch, noch in dieser Nacht einen Boten nach der Residenz zu schicken und dort anfragen zu lassen, was der Eingebrachte verbrochen habe – sei dies dann nur politischer Natur, so gebe er ihnen die heiligste Versicherung, daß er augenblicklich in Freiheit gesetzt, und jedem beliebigen Verlangen, daß sie also an ihn stellen könnten, dadurch auch genügt werden würde. Uebrigens sei die Nachricht von der Abdankung des Ministeriums keineswegs gegründet, und sie könnten die Folgen leicht selber ermessen, die, im anderen Falle, aus einem gesetzlosen Auftreten von ihrer Seite entstehen möchten.

      Die beiden Männer fanden das ganz vernünftig – sie hätten eben so gesprochen, wenn sie Herr von Gaulitz gewesen wären – der Doctor war überhaupt ein Krakehler, der ihnen nur vorgelogen hatte, was dem armen Gefangenen Alles geschehen solle – der Herr von Gaulitz möchte es nicht »vor übel nehmen«, daß sie so frei gewesen wären, bei ihm anzufragen – sie wollten's den Leuten unten schon sagen, wer recht hätte und wie die Sache eigentlich stände.

      Und damit gedachten sie sich höflich grüßend zurückzuziehen – von Gaulitz war aber nicht der Mann, einen einmal gewonnenen Vortheil unverfolgt aufzugeben – eine Flasche mit Wein und Gläser standen auf dem Ecktische – ein paar freundliche Worte von ihm nöthigten die Beiden, nur noch einen Augenblick zu warten – rasch war eingeschenkt und fünf Minuten später verließen der Schneider und Böttcher das Zimmer und waren entzückt über ihren Gutsherrn.

      »Nein, was das für ein Mann ist«, flüsterte der Schneider, als sie, von dem Bedienten geleitet, die breite Treppe hinabstiegen – »ich soll morgen mit meinem Maas hinaufkommen.«

      »Und wegen der Brauereiarbeit hat er schon mit dem Brauer das Nöthige besprochen«, versicherte schmunzelnd der Böttcher – »die Kröte von einem Doctor fängt doch überall Krawall an.«

      Draußen vor der Thüre erwartete sie übrigens noch ein ziemlich stürmischer Auftritt – der Doctor hatte die unten Versammelten durch die Erzählung dessen, was ihm geschehen sei, in nicht geringe Aufregung versetzt, und einen wirklichen Sturm auf das Haus konnte nur die Erscheinung der beiden anderen Deputirten verhindern. Mit dieser änderte sich aber auch freilich der Stand der Dinge um ein Bedeutendes – die beiden Männer berichteten, wie sie empfangen seien und welche Versicherungen man ihnen gewährt hätte – klagten über den Doctor, der gegen den Gutsherrn aufgetreten wäre, als ob er einen Holzhacker vor sich habe, setzten hinzu, der Herr Oberpostdirector wisse es auch ganz bestimmt, daß die Nachricht mit dem Ministerium gar nicht wahr wäre, und nur, wenn der Gefangene gestohlen oder sonst ein fürchterliches Verbrechen begangen hätte, dann sollte er in die Stadt geliefert, sonst aber augenblicklich wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

      Ein donnerndes Hurrah, das man dem Gutsherrn brachte, war die Antwort; die rasenden Demonstrationen des auf's Aeußerste empörten Doctors wurden nicht weiter beachtet, ja dieser sogar, als er später eben in der Schenke seine Absicht mit Gewalt durchsetzen wollte und durch Schimpfwörter die Bauerburschen reizte, von diesen gefaßt, geprügelt und hinausgeworfen.

      Zweites Kapitel.

      Plan und Gegenplan

      Die Nacht war ruhig vorüber gegangen und Horneck lag so friedlich in dem Purpurglanz der heiter und rein aufsteigenden Sonne, als ob keine Leidenschaften in ihm getobt hätten, kein lodernder Funke in seine gemüthliche Stille geschleudert wäre der nun heimlich und versteckt fortglimmen mußte, bis ihn die Zeit – und wie bald vielleicht zu prasselnder Flamme emporfachen sollte.

      Auf dem Gute herrschte übrigens keineswegs solche Ruhe, sondern eher belebte eine eigenthümliche, ganz ungewöhnliche Regsamkeit die Herrenwohnung und die daran stoßenden Bedientenstuben. Der Oberpostdirector selbst hatte den ganzen Morgen geschrieben und gesiegelt und der junge Poller war noch in der Nacht wieder in die Stadt geschickt, von wo her er mit Tagesanbruch auf weißschäumendem Roß zurückkehrte, und zugleich mit einer Depesche der Regierung die Nachricht brachte, es sei das beabsichtigte Militair wirklich nach Sockwitz gelegt und der Nachbarstaat auch für den schlimmsten Fall um weitere Hülfe angesprochen worden.

      Der Inhalt der Depesche lautete übrigens wie die Sachen jetzt standen, nichts weniger als erbaulich.

      Das Ministerium stand noch und jenes Gerücht vom verflossenen Abend bezog sich nur auf eine Demonstration – respektive Katzenmusik – die man den Ministern als Mistrauensvotum gebracht, und wobei der Ruf laut geworden, daß sie zum Besten des Landes abdanken sollten, die Aufregung in der Stadt schien aber eine solche bedenkliche Höhe erreicht zu haben, daß es blos eines Anlasses es bedurfte, um den Ausbruch unvermeidlich zu machen. In der That fehlte es auch nur an einer Persönlichkeit, um dem allgemeinen Strom der Gährung sein richtiges Bett anzuweisen und ihn dorthin zu lenken, wo er dem alten Systeme verderblich werden mußte – die fehlte aber bis jetzt in der Residenz; es war keiner unter den Männern, die sich bis dahin zu Volksrednern aufgeschwungen hatten, denen das Volk auch mit jenem blinden zuversichtlichen Vertrauen geglaubt hätte, das unumgänglich nöthig dazu ist, eine Masse zu begeistern und im wilden Todesverachtenden Sturm mit fortzureißen. Die Kraft lag noch in der weiten Menge zersplittert und wenig Gefahr drohte von den zerstreuten Pöbelhaufen.

      Ein solcher Führer aber, wie er diesen Massen gerade fehlte, um sie zu dem gefährlichen Feind zu machen, der dem Absolutismus die trotzige Stirn geboten, wäre eben dieser Wahlert gewesen, den jetzt ein tückischer Zufall der Horneckschen Gerichtsbarkeit in die Hände gespielt; es mußte deshalb aber auch dem Ministerium, das ein rauher Wind hätte umstoßen können, besonders daran liegen, gerade diesen Menschen unschädlich zu machen und deshalb lautete auch der Befehl, den der Oberpostdirector in der durch Erpressen gesandten Depesche erhielt, so bestimmt und unumgehbar, den Gefangenen ohne weiteres Zögern und unter sicherer Bedeckung an das nächst gelegene, in Sockwitz bezeichnete, Militairpiket, spätestens bis zum nächsten Abend abzuliefern. Um Aufregung zu vermeiden, wollte man nicht gern Soldaten nach Horneck hineinschicken, und der Transport des Gefangenen sollte deshalb am liebsten in einer Kutsche bewerkstelligt werden.

      Das wie und weshalb war Alles klar genug angegeben, aber wie stand es nachher in Horneck selbst? Würden sich die Bewohner des kleinen Ortes, denen der Gutsherr gestern Abend erst das feste Versprechen gegeben hatte, den Gefangenen nicht auszuliefern, bis seine Schuld als grobes Verbrechen auch wirklich erwiesen wäre, damit begnügen, und ließ sich nicht im Gegentheil erwarten, daß die Befolgung der erhaltenen Instruktionen gerade für den Gutsherrn von sehr fatalen Folgen sein konnte?

      Der Herr von Gaulitz saß hier in einer recht unbequemen Klemme und sah auch in der That keinen Ausweg, der ihn hätte beide ihm drohende Schwierigkeiten gleich glücklich vermeiden lassen. Lieferte er den Verhafteten aus, so zog er sich den Haß eines großen Theils des Dorfes zu und in der jetzigen Zeit, wo die Leute doch einmal aufgeregt waren, und überall in der Nachbarschaft das böse Beispiel vor sich hatten, ließ es sich gar nicht bestimmen, wie weit das später führen würde und könnte. Lieferte er ihn aber nicht aus, oder ließ er ihn gar entkommen, so war auch Nichts wahrscheinlicher, als daß er für die Folgen zu haften hätte, die daraus entstünden – und welch fürchterlicher Art konnten diese Folgen sein – der fromme Oberpostdirector schauderte, wenn er daran dachte – Anarchie im ganzen Lande – den Rittergutsbesitzer »fortgejagt« wie der »gemeine Mann« in seiner politischen Unschuld meinte, die Königreiche zu Stücken geschlagen, und in ein großes deutsches Reich geschmolzen, kurz alles Bestehende umgedreht und durchgeschüttelt, wodurch alles Nicht-Bestehende natürlich oben hin kommen mußte, und eine Convulsion, in welcher die Gesetzlichkeit vernichtet und die Masse der »gutgesinnten« Staatsbürger, was gar nicht ausbleiben konnte, zum Besten der schlechteren, d. h. ärmeren, ruinirt wurde.

      Es blieb, wie die Sachen einmal standen, wirklich keine Wahl, denn hiergegen erschien der Zorn der Hornecker, und vielleicht noch dazu eines nur kleinen Theils, gering – vielleicht ließen sich aber auch selbst diese noch beschwichtigen, und davon überzeugen, daß die Gefangenhaltung des gefährlichen Menschen selbst zu ihrem eigenen Nutzen mit geschehen sei und sich in ihren segensreichen Folgen offenbaren werde. Jedenfalls blieb der Versuch statthaft, und im allerschlimmsten Fall – ei da lag ja in Sockwitz Militair und zum »Schutz des Eigenthums« konnte