Pfarre und Schule. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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hob erschreckt den Kopf, trat zum Fenster und öffnete schnell den Flügel.

      Draußen wogte und tobte eine wilde, stürmende Menschenschaar in das noch offen stehende Thor des Rittergutes herein, junge Bauerburschen und Handarbeiter aus dem Dorfe, und an der Spitze des Zuges wer anders als Doctor Levi, das gesinnungstüchtige Nordlicht der Freiheit mit bis obenhin zugeknöpftem Rocke und fest und entschlossen in die Stirn gedrücktem Hut.

      »Hurrah – Freiheit – Freiheit oder'n Dot – 'raus mit'n Gefangenen – Postdirecter 'raus – Hurrah – Republik soll leben – hoch!!! – Hurrah – Postdirecter abdanken – freien Schnaps – hurrah – alle eine Metze Erdbirn' und zwee Pfund Fleesch – hurrah den Gefangenen 'raus!« Das waren die wildverworrenen Schreie und Ausrufungen, die von dem Menschenhaufen zu den am Fenster Stehenden heraufdrangen. In demselben Augenblicke glitt aber auch schon die bleiche, zum Tode entsetzte Gestalt des jungen Poller in's Zimmer und rief, fast athemlos vor innerer Angst und Aufregung:

      »Sie kommen, Herr Oberpostdirector, sie kommen – sie wollen ihn wiederholen – das ganze Dorf ist unten, und sie haben geschworen, sie wollen das Schloß in Brand stecken, wenn sie'n nicht gleich mitkriegen.«

      »Unsinn!« sagte Herr von Gaulitz, dem es, was auch seine sonstigen Eigenschaften sein mochten, keineswegs an persönlichem Muth gebrach – »Du bist eine Memme, daß Du gleich beim ersten Lärmschuß das Hasenpanier ergreifst – wer ist unten?«

      »Das ganze Dorf!« rief der Erschrockene.

      »Sind auch die Eisenbahnarbeiter vom Sellsberge dabei?«

      »Es kriwwelt und wimmelt von lauter Gesindel.«

      »Das ist ja gar nicht möglich,« sagte der Pastor, »Christoph hat die Nachricht vor kaum einer Stunde mitgebracht und auf die hin ist sicherlich erst die ganze Aufregung entstanden.«

      »Herr Oberpostdirector!« rief in diesem Augenblicke der alte Poller, der ohne Weiteres das Zimmer aufriß und herein prallte – »Sie wollen mit dem Herrn Oberpostdirector sprechen – die ganze Gemeinde ist da.«

      »Ist denn das ganze Haus verrückt geworden?« sagte der Herr von Gaulitz, dem Alten rasch und zornig entgegen gehend – »was ist das für eine Manier, zu mir in's Zimmer zu kommen – weiß er nicht besser, was sich schickt?«

      »Bitt' um Verzeihung, Ew. Gnaden – aber – das Volk – der Schrecken – Besorgniß um Ew. –« stotterte der Alte.

      »Wer ist noch draußen auf dem Vorsaale?« unterbrach ihn der Gutsherr rasch und heftig.

      »Fritz – der Jäger,« lautete die Antwort.

      »Er soll hereinkommen – schnell!«

      Wenige Secunden später stand Fritz auf der Schwelle und sein monotones

      »Zu Befehl Ew. Gnaden« – machte den jetzt wieder hastig im Zimmer auf- und abgehenden erst auf den Gerufenen aufmerksam. Er wandte sich nach ihm um und frug:

      »Wie steht's draußen, Fritz? – Was sind das für Schaaren, die da lärmend und schreiend auf mein Gut ziehen – was wollen sie?«

      »Sie scheinen's selber nicht so recht zu wissen,« lachte der junge Jäger – »der Doctor führt sie an und eigentlich wollen sie, glaube ich, den Gefangenen befreien, die wirklichen Bauern aus dem Dorfe sind's aber nicht – eine Parthie junge Bursche meistens und Neugierige, sie wählen unten gerade eine Deputation, um sie herauf zu schicken.«

      »Ah gut – laß sie kommen,« sagte der Herr von Gaulitz rasch – »geh' hinunter Fritz, und führe sie herauf zu mir – Du bist doch wenigstens noch vernünftig, und weißt was Du sprichst, das Volk hier scheint aber das Bißchen Verstand vollendes verloren zu haben – hinaus mit Euch – halt da, Du, Karl – Du wartest draußen, ich habe noch einen Auftrag für Dich.«

      Die beiden Poller glitten, zwischen Furcht vor ihrem Herrn und den aufgebrachten Volkshaufen draußen schwankend (denn die Bewohner von Horneck haßten sie, wie sie recht gut wußten, gründlich) aus dem Zimmer. Fritz aber führte gleich darauf den Doctor Levi mit zwei anderen »Vertrauensmännern«, dem Schneider aus dem Dorfe und dem Böttcher, in's Zimmer, und Levi hielt denn auch, mit seiner ganzen liebenswürdigen Bescheidenheit und ohne weitere Vorrede eine Ansprache an den Rittergutsbesitzer, in der er diesen darauf aufmerksam machte, wie die Tyrannei gestürzt und ihre Helfershelfer der Spreu gleich in alle Winde »zerstiebt« wären, wie das souveraine Volk jetzt eine Weile selber regieren wolle und ihn, den Reactionair auffordere, den Vorkämpfer der Freiheit, den schändlich und heimtückisch gefangenen Wahlert, augenblicklich wieder in Freiheit zu setzen. Sie – die Deputation – wären einstimmig vom Volke erwählt, das unten auf Antwort harre, und den »Bayonetten« zum Trotz seine Foderung mit seinem Heldenblute unterstützen wolle – er rechne auf unbedingte Unterwerfung.

      Der Pastor stand in der einen Fenstervertiefung und rieb sich schmunzelnd die Hände – der Sohn des General-Superintendenten wurde frei und er selber damit jeder Verantwortlichkeit enthoben.

      Doctor Levi aber, wie Pastor Scheidler, schienen sich Beide in ihren Berechnungen sowohl, wie in der Person des Gutsherrn etwas getäuscht zu haben – so rasch war dieser nicht eingeschüchtert und auch Menschenkenner genug, um an den noch scheu und unschlüssig dastehenden Gestalten der übrigen Deputationsmitglieder zu erkennen, wie der Geist des Aufruhrs sich nur für den Augenblick kaum weiter erstrecke als auf die Unverschämtheit des Doctor Levi, der, wie er früher ganz uneigennützig die »Emancipation« der Juden gepredigt, jetzt plötzlich ein weiteres Feld für seine Rednergabe fand und der gewöhnlichen Redeweise nach, »in deutscher Politik machte«. Diesen daher keines Blickes oder Wortes würdigend, schritt der Oberpostdirector auf den Schneider und Böttcher zu und sagte, sie bei ihren Namen anredend:

      »Schickt Euch das ganze Dorf, Merzbach und Hantlich, oder seid Ihr nur auf eigene Veranlassung oder Aufreizung dieses – Menschen zu mir gekommen?«

      »Herr Oberpostdirector!« rief der Beleidigte.

      »Ruhig Herr,« sagte aber dieser mit so unerschrockener und finsterer Autorität, daß dem Böttcher und Schneider nur noch unbehaglicher zu Muthe wurde und der erstere endlich mit artigem Tone sagte:

      »Die Leute im Dorfe meinen, Herr Oberpostdirector, Sie könnten den armen Teufel nun wohl wieder laufen lassen, der unter der vorigen Regierung 'was verbrochen hätte, denn wir kriegten nun doch wohl andere Herren Minister, die –«

      »Das Volk fordert seine Befreiung!« schrie Levi, fuhr aber erschreckt zurück, als sich der Gutsherr rasch nach ihm umwandte, ihn vorn an der Brust faßte, und ausrief –

      »Wenn die Einwohner von Horneck etwas verlangen, so werden sie einen solchen Quacksalber nicht zu mir schicken, geschieht das aber doch, so hat sich der auch so ordentlich und anständig zu betragen, wie es – an seiner Stelle – ein Einwohner aus dem Dorfe gethan haben würde – sonst werde ich andere Maßregeln mit ihm ergreifen.«

      »Das ist Hand an einen Gesandten des Volks gelegt!« schrie der Doctor entrüstet und auch wohl in etwas um seine eigene Sicherheit besorgt, »ich protestire hiermit feierlichst gegen –«

      »Fritz!« rief der Gutsherr dazwischen – »hinaus aus meinem Zimmer mit dem Menschen!«

      »– Gegen jede Gewaltthat, die nicht an mir, sondern an dem souverainen Volke geschieht, und ich verwahre mich im Voraus gegen –«

      Er konnte seine Rede nicht mehr vollenden; Fritz, der den fatalen Menschen aus mehr als einem Grunde nicht leiden mochte (denn er war in letzter Zeit besonders viel um die Schulwohnung geschlichen und hatte das arme Lieschen schon mehrmals mit seiner zudringlichen Freundlichkeit gequält) faßte ihn einfach, trotz alles Sträubens, beim Kragen und verschwand mit ihm ruhig aus der Thür.

      Die übrigen beiden Deputirten wußten indessen gar nicht, wie sie sich bei der Sache verhalten sollten, denn von der Unverletzlichkeit eines Gesandten oder Deputirten hatten sie bis dahin einen nur höchst unvollkommenen Begriff, der denn auch durch das, was eben erst vor ihren leiblichen Augen geschah, keineswegs verstärkt oder bestätigt werden konnte. Herr von Gaulitz trat aber, ohne ihnen lange Zeit zum Ueberlegen zu lassen, rasch auf sie zu, und redete sie nun mit so freundlichen und artigen Worten an, daß sie die Behandlung