Pfarre und Schule. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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daß ich ihn in die Stadt an's Criminalgericht liefere, das mag nachher meinetwegen sehen, was es mit ihm anfängt.«

      »Was hat er denn eigentlich verbrochen?« frug Strohwisch, der seufzend den Gedanken aufgab, heute noch und unter solchen Verhältnissen zum Vorlesen zu kommen – »hat er gestohlen?«

      »Das kaum,« sagte von Gaulitz, »dem Ministerium scheint nur sehr viel an seiner Gefangennehmung zu liegen, es muß wohl ein sehr gefährlicher Mensch und Demagoge sein – nun, wild genug sieht er aus, und es ist mir lieb, daß wir ihn hinter Schloß und Riegel haben. Aber bitte, meine Damen, setzen Sie sich doch, Sie brauchen sich wirklich nicht mehr zu fürchten, – er ist ganz unschädlich. – Wir haben Sie gewiß in Ihrer Arie gestört, mein Fräulein.«

      »Ich hatte sie gerade beendet – aber – bester Herr Oberpostdirector, könnte man den Menschen denn wohl einmal zu sehen bekommen? – ich habe noch nie einen ordentlichen Räuber –« sie zögerte einen Augenblick, und der Pastor fuhr lächelnd fort –

      – »in aller Sicherheit hinter einem Gitter wie ein wildes Thier betrachten können.«

      »Aber Anna!« sagte Sophie vorwurfsvoll –

      »Nun liebes Kind, ich weiß wirklich nicht, ob man mit einem solchen Menschen Mitleiden zu haben braucht,« vertheidigte sich die junge Dame – »wenn Einer einmal erst steckbrieflich verfolgt ist, dann muß es ein schlechter Mensch sein.«

      »Bitt' um Verzeihung, mein Fräulein,« fiel hier Strohwisch ein – »das kann in jetziger Zeit dem Besten passiren: ein sehr guter Freund von mir hat einmal auf die politischen Steckbriefe ein Gedicht gemacht, das –« er fing schon wieder an, in den Taschen zu suchen – »das – in – der – That – es wird Sie vielleicht – vielleicht interessiren –«

      Es klopfte in dem Augenblick stark an die Thür, und auf ein fast unwillkührliches lautes »Herein« des Dichters, der jedoch erschreckt danach zusammenfuhr, und »tausendmal« um Entschuldigung bat, öffnete sich die Thür, und ein junger Mensch, der Bote, den Herr von Gaulitz heute in die Stadt geschickt hatte, trat herein:

      »Nehmen Se's nich vor ungut, Herr Oberpostdirecter,« sagte dieser, »daß ich so g'rad hereinfalle, aber 's war keener nich von den Bedienten da, und da dacht' ich, de Sache hätte Eile.«

      »Nun, Christoph, was giebts?« frug der Gutsherr rasch – »bringst Du Briefe?«

      »Ja, zwee – eenen an den Herrn Oberpostdirecter, un eenen an den Herrn Paster – es sieht wild in der Stadt aus.«

      »Was? – Wie so?« sagte von Gaulitz, indem er an den Tisch trat und den Brief erbrach.

      »De Minister haben se fortgejeggt,« lachte der Bursche, »reene fort – eben wie ich zum Thore 'naus wulle, gung der Spectakel los.«

      »Um Gott,« fuhr der Oberpostdirector erschreckt auf – »das wäre bös –«

      »Ja, Se kennen sich druff verlassen, – in der Schenke han ich's en ooch schonst verzählt – na, die fungen en scheenen Cravall an – herr jes!«

      Der Pastor hatte indessen seinen Brief ebenfalls geöffnet, von Gaulitz bat ihn aber mit leiser Stimme, ihm auf sein Zimmer zu folgen, und die beiden verließen nach nur kurzer, hastiger Entschuldigung die Gesellschaft.

      Auch Christoph wollte sich mit vielen Bücklingen entfernen, um seine Neuigkeit wahrscheinlich im Dorfe weiter zu tragen, der kam aber schön an. Die drei Damen Seiffenberger und Schütte nahmen ihn in die Mitte, Strohwisch besetzte die Thür, und er mußte nun erzählen, bis er, wie eine total ausgepreßte Citrone, der auch der letzte Tropfen Saft genommen, trotz den gewaltigsten Anstrengungen nichts weiter mehr herausgeben konnte. Erst dann überließen sie ihn, matt und erschöpft seinem Schicksal.

      »Herr Pastor,« sagte der Oberpostdirector indessen, als der Bediente das Licht auf den Tisch gestellt, und das Zimmer verlassen hatte – »die Sache in der Residenz scheint allerdings schlimm zu stehen, und die Revolution auch in unser kleines Ländchen ihre Bahn gefunden zu haben; nur von dem Sturz des Ministeriums las ich hier noch kein Wort – ich hoffe, der Bursche hat in all seiner Aufregung die Sache am Ende gar schlimmer angesehen, als sie wirklich war.«

      »Auch in meinem Briefe steht keine Sylbe davon,« versicherte der Geistliche, – »für mich aber ist hier eine sehr fatale Nachricht enthalten. Denken Sie nur, unser Gefangener ist der Sohn unseres Generalsuperintendenten Wahlert, der sich freilich, wie mir der Hofprediger Bellmann hier schreibt, nach dessen letzten politischen Umtrieben von ihm losgesagt, und ihm förmlich das Haus verboten hat – aber, Du lieber Gott, Elternliebe läßt sich nicht so ohne Weiteres und mit solchem jungen Menschen zu gleicher Zeit vor die Thüre setzen; die bleibt zu Haus, und nagt und mahnt, und holt ihn am Ende doch wieder herein. Der Generalsuperintendent ist, besonders bei Hofe, außerordentlich einflußreich, und ich weiß in der That nicht, ob er es uns später danken würde, dazu beigetragen zu haben, sein einziges Kind aufzufangen.«

      »Aber freigeben kann ich ihn doch wahrhaftig auch nicht wieder,« sagte von Gaulitz nach kurzem Ueberlegen, während er mit schnellen Schritten und verschränkten Armen im Zimmer auf- und abgegangen war; »erstlich ist mir das Sprengen des Ministeriums vollkommen unglaublich; wer weiß, was der holzköpfige Bursche in der Stadt gehört und sich dabei in seinem eigenen vernagelten Gehirn zusammengestellt hat – und dann – wirklich den Fall gesetzt, es wäre dem so, wer bürgt mir nachher dafür, daß die heute Gestürzten nicht morgen schon wieder die Zügel, und dann sicherlich noch viel gewaltiger als vorher in Händen haben? – Ich kann, man mag mir nun sagen was man will, noch immer an keine wirkliche, ordentliche Revolution glauben; der Geist des Militairs ist noch der alte, und läßt man den Regierungen nur Zeit, daß sie sich ein wenig von ihrem ersten Schreck erholen können, so werden sie sicherlich das verlorene, oder hier und da fast muthwillig selber aufgegebene Terrain bald wieder gewinnen. Deßhalb muß ich mir also den Rücken in jedem Fall frei halten, und jetzt vor allen Dingen suchen, authentisch-officielle Berichte über den wahren Stand der Dinge in der Residenz zu erhalten. Daß den Ministern, wären sie wirklich gestürzt, Nichts daran liegen würde, einen unruhigen Kopf mehr oder weniger unter Riegel zu wissen, versteht sich wohl von selbst, sind sie aber nicht gestürzt, und war das ein bloßes, vielleicht absichtlich ausgesprengtes Gerücht, – denn die freie Presse leiht ja jetzt zu jeder Schändlichkeit bereitwillig die Hände – und hätt' ich mich dann verleiten lassen, den Gefangenen wieder frei zu geben – so könnt' ich in schöne Verlegenheit hineingerathen.«

      »Frei geben dürften Sie ihn auf keinen Fall«, meinte der geistliche Herr, der eine ganze Weile sinnend am Fenster gestanden und in die dunkle Nacht hinausgeschaut hatte, sich jetzt aber plötzlich wieder gegen den Gutsherrn wandte – »wer würde Sie dagegen tadeln können, wenn der Gefangene, durch die Hülfe irgend eines Anderen, vielleicht guten Freundes, von hier entwischte.«

      Von Gaulitz blieb vor dem Pastor stehen und sah ihn ein paar Minuten forschend und scharf in die kleinen schwarzfunkelnden Augen, schüttelte aber nach kurzem Ueberlegen mürrisch den Kopf, setzte seinen unterbrochenen Spaziergang wieder fort Und sagte:

      »Nein – nein – das geht nicht – das geht wenigstens jetzt noch nicht – erst muß ich die gewisse Bestätigung dieser Nachricht bekommen, und mit der – werde ich wohl auch Instructionen über mein künftiges Benehmen erhalten. Das alte Staatennetz ist viel zu vortrefflich und dauerhaft gewebt, als daß es so mit einem Male, und schon bei dem ersten gewaltsamen Ruck aus allen Fugen reißen sollte – eine Masche kann wohl manchmal nachgeben – doch das läßt sich restauriren – und die ausgebesserten Stellen halten nachher gerade am Besten. Ich will ohne Zögern einen zuverlässigen Boten in die Stadt zurückschicken; der kann dann recht gut vor morgen früh wieder hier sein, und nachher weiß ich, wie ich zu handeln, was ich zu thun habe, und woran ich bin.«

      »Aber der General-Superintendent.«

      »Es ist eine böse Geschichte – aber ich kann's nicht ändern – daß mir auch das alberne Volk den Menschen gerade heute Abend einbringt – das verdank' ich Niemandem, als diesem Ohrwurm, dem Poller – so lange hat der Schuft gebohrt und spionirt und wieder gebohrt, bis ich mich verlocken ließ. Ich weiß nicht, was ich jetzt darum gäbe, mit der ganzen Sache gar Nichts zu thun gehabt zu haben. Doch zum Spioniren ist er gut,