»Wie das?«
»Wie schon so mancher Heirathsplan an einer unrepräsentablen Mutter gescheitert ist, so würd' er hier an einer unrepräsentablen Tochter scheitern. Er fühlt sich durch ihre mangelnde Schönheit geradezu genirt, und erschrickt vor dem Gedanken, seine Normalität, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit ihrer Unnormalität in irgend welche Verbindung gebracht zu sehen. Er ist krankhaft abhängig, abhängig bis zur Schwäche, von dem Urtheile der Menschen, speziell seiner Standesgenossen, und würde sich jederzeit außer Stande fühlen, irgend einer Prinzessin oder auch nur einer hochgestellten Dame, Victoiren als seine Tochter vorzustellen.«
»Möglich. Aber dergleichen läßt sich vermeiden.«
»Doch schwer. Sie zurückzusetzen, oder ganz einfach als Aschenbrödel zu behandeln, das widerstreitet seinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu sehr auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau von Carayon das einfach nicht dulden. Denn so gewiß sie Schach liebt, so gewiß liebt sie Victoire, ja, sie liebt diese noch um ein gut Theil mehr. Es ist ein absolut ideales Verhältniß zwischen Mutter und Tochter, und gerade dies Verhältniß ist es, was mir das Haus so werth gemacht hat und noch macht.«
»Also begraben wir die Partie,« sagte Bülow. »Mir persönlich zu besondrer Genugthuung und Freude, denn ich schwärme für diese Frau. Sie hat den ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und selbst ihre Schwächen sind reizend und liebenswürdig. Und daneben dieser Schach! Er mag seine Meriten haben, meinetwegen, aber mir ist er nichts als ein Pedant und Wichtigthuer, und zugleich die Verkörperung jener preußischen Beschränktheit, die nur drei Glaubensartikel hat: erstes Hauptstück »die Welt ruht nicht sichrer auf den Schultern des Atlas, als der preußische Staat auf den Schultern der preußischen Armee«, zweites Hauptstück »der preußische Infanterieangriff ist unwiderstehlich«, und drittens und letztens »eine Schlacht ist nie verloren, so lange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat«. Oder natürlich auch das Regiment Gensdarmes. Denn sie sind Geschwister, Zwillingsbrüder. Ich verabscheue solche Redensarten, und der Tag ist nahe, wo die Welt die Hohlheit solcher Rodomontaden erkennen wird.«
»Und doch unterschätzen Sie Schach. Er ist immerhin einer unserer Besten.«
»Um so schlimmer.«
»Einer unsrer Besten, sag ich, und wirklich ein Guter. Er spielt nicht blos den Ritterlichen, er ist es auch. Natürlich auf seine Weise. Jedenfalls trägt er ein ehrliches Gesicht und keine Maske.«
»Alvensleben hat Recht,« bestätigte Nostitz. »Ich habe nicht viel für ihn übrig, aber das ist wahr, alles an ihm ist echt, auch seine steife Vornehmheit, so langweilig und so beleidigend ich sie finde. Und darin unterscheidet er sich von uns. Er ist immer er selbst, gleichviel ob er in den Salon tritt, oder vorm Spiegel steht, oder beim Zubettegehn sich seine saffranfarbenen Nachthandschuh anzieht. Sander, der ihn nicht liebt, soll entscheiden und das letzte Wort über ihn haben.«
»Es ist keine drei Tage,« hob dieser an, »daß ich in der Haude und Spenerschen gelesen, der Kaiser von Brasilien habe den Heiligen Antonius zum Obristlieutenant befördert und seinen Kriegsminister angewiesen, besagtem Heiligen die Löhnung bis auf Weiteres gut zu schreiben. Welche Gutschreibung mir einen noch größeren Eindruck gemacht hat, als die Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger Ernennungen und Beförderungen wird es nicht auffallen, wenn ich die Gefühle dieser Stunde, zugleich aber den von mir geforderten Entscheid und Richterspruch, in die Worte zusammenfasse: Seine Majestät der Rittmeister von Schach, er lebe hoch.«
»O, vorzüglich Sander,« sagte Bülow, »damit haben Sie's getroffen. Die ganze Lächerlichkeit auf einen Schlag. Der kleine Mann in den großen Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe!«
»Da haben wir denn zum Ueberfluß auch noch die Sprache von »Sr. Majestät getreuster Opposition,« antwortete Sander und erhob sich. »Und nun Fritz, die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das Geschäftliche arrangire.«
»In besten Händen,« sagte Nostitz.
Und fünf Minuten später traten alle wieder ins Freie. Der Staub wirbelte vom Thor her die Linden herauf, augenscheinlich war ein starkes Gewitter im Anzug, und die ersten großen Tropfen fielen bereits.
»Hâtez-vous.«
Und Jeder folgte der Weisung und mühte sich, so rasch wie möglich und auf nächstem Wege seine Wohnung zu erreichen.
Viertes Kapitel.
In Tempelhof
Der nächste Morgen sah Frau von Carayon und Tochter in demselben Eckzimmer, in dem sie den Abend vorher ihre Freunde bei sich empfangen hatten. Beide liebten das Zimmer, und gaben ihm auf Kosten aller andern den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenster, von denen die beiden unter einander im rechten Winkel stehenden auf die Behren- und Charlottenstraße sahen, während das dritte, thürartige, das ganze, breit abgestumpfte Eck einnahm, und auf einen mit einem vergoldeten Rokoko-Gitter eingefaßten Balkon hinausführte. Sobald es die Jahreszeit erlaubte, stand diese Balkonthür offen, und gestattete, von beinah jeder Stelle des Zimmers aus, einen Blick auf das benachbarte Straßentreiben, das, der aristokratischen Gegend unerachtet, zu mancher Zeit ein besonders belebtes war, am meisten um die Zeit der Frühjahrsparaden, wo nicht blos die berühmten alten Infanterieregimenter der Berliner Garnison, sondern, was für die Carayons wichtiger war, auch die Regimenter der Garde du Corps und Gensdarmes unter dem Klang ihrer silbernen Trompeten an dem Hause vorüberzogen. Bei solcher Gelegenheit (wo sich dann selbstverständlich die Augen der Herrn Offiziers zu dem Balkon hinaufrichteten) hatte das Eckzimmer erst seinen eigentlichen Werth, und hätte gegen kein anderes vertauscht werden können.
Aber es war auch an stillen Tagen ein reizendes Zimmer, vornehm und gemüthlich zugleich. Hier lag der türkische Teppich, der noch die glänzenden, fast ein halbes Menschenalter zurückliegenden Petersburger Tage des Hauses Carayon gesehen hatte, hier stand die malachitne Stutzuhr, ein Geschenk der Kaiserin Katharina, und hier paradirte vor allem auch der große, reich vergoldete Trumeau, der der schönen Frau täglich aufs Neue versichern mußte, daß sie noch eine schöne Frau sei. Victoire ließ zwar keine Gelegenheit vorübergehn, die Mutter über diesen wichtigen Punkt zu beruhigen, aber Frau von Carayon war doch klug genug, es sich jeden Morgen durch ihr von ihr selbst zu kontrolirendes Spiegelbild neu bestätigen zu lassen. Ob ihr Blick in solchem Momente zu dem Bilde des mit einem rothen Ordensband in ganzer Figur über dem Sopha hängenden Herrn von Carayon hinüberglitt, oder ob sich ihr ein stattlicheres Bild vor die Seele stellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die häuslichen Verhältnisse nur einigermaßen kannte. Denn Herr von Carayon war ein kleiner, schwarzer Koloniefranzose gewesen, der außer einigen in der Nähe von Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation, nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am wenigsten aber männliche Schönheit.
Es schlug elf, erst draußen, dann in dem Eckzimmer, in welchem beide Damen an einem Tapisserierahmen beschäftigt waren. Die Balkonthür war weit auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen gedauert hatte, stand die Sonne schon wieder hell am Himmel und erzeugte so ziemlich dieselbe Schwüle, die schon den Tag vorher geherrscht hatte. Victoire blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'schen kleinen Groom, der mit Stulpenstiefeln und zwei Farben am Hut, von denen sie zu sagen liebte, daß es die Schach'schen »Landesfarben« seien, die Charlottenstraße heraufkam.
»O sieh nur,« sagte Victoire, »da kommt Schachs kleiner Ned. Und wie wichtig er wieder thut! Aber er wird auch zu sehr verwöhnt, und immer mehr eine Puppe. Was er nur bringen mag?«
Ihre Neugier sollte nicht lange unbefriedigt bleiben. Schon einen Augenblick später hörten