»Ein Anblick für Götter,« sagte Sander. »Das Regiment Gensdarmes unter Anklage von Hochverrath und Krawall.«
»Und nicht mit Unrecht,« fuhr Bülow in jetzt wirklicher Erregung dazwischen. »Nicht mit Unrecht, sag' ich. Und das witzeln Sie nicht fort, Sander. Warum führen die Herren, die jeden Tag klüger sein wollen, als der König und seine Minister, warum führen sie diese Sprache? Warum politisiren sie? Ob eine Truppe politisiren darf, stehe dahin, aber wenn sie politisirt, so politisire sie wenigstens richtig. Endlich sind wir jetzt auf dem rechten Weg, endlich stehen wir da, wo wir von Anfang an hätten stehen sollen, endlich hat Seine Majestät den Vorstellungen der Vernunft Gehör gegeben und was geschieht? Unsere Herren Offiziere, deren drittes Wort der König und ihre Loyalität ist, und denen doch immer nur wohl wird, wenn es nach Rußland und Juchten und recht wenig nach Freiheit riecht, unsere Herren Offiziere, sag' ich, gefallen sich plötzlich in einer ebenso naiven wie gefährlichen Oppositionslust, und fordern durch ihr keckes Thun und ihre noch keckeren Worte den Zorn des kaum besänftigten Imperators heraus. Dergleichen verpflanzt sich dann leicht auf die Gasse. Die Herren vom Regiment Gensdarmes werden freilich den Stein nicht selber heben, der schließlich bis an den Theetisch der Gräfin fliegt, aber sie sind doch die moralischen Urheber dieses Krawalles, sie haben die Stimmung dazu gemacht.«
»Nein, diese Stimmung war da.«
»Gut. Vielleicht war sie da. Aber wenn sie da war, so galt es, sie zu bekämpfen, nicht aber sie zu nähren. Nähren wir sie, so beschleunigen wir unsern Untergang. Der Kaiser wartet nur auf eine Gelegenheit, wir sind mit vielen Posten in sein Schuldbuch eingetragen, und zählt er erst die Summe, so sind wir verloren.«
»Glaub's nicht,« antwortete Schach. »Ich vermag Ihnen nicht zu folgen, Herr von Bülow.«
»Was ich beklage.«
»Ich desto weniger. Es trifft sich bequem für Sie, daß Sie mich und meine Kameraden über Landes- und Königstreue belehren und aufklären dürfen, denn die Grundsätze, zu denen Sie sich bekennen, sind momentan obenauf. Wir stehen jetzt nach Ihrem Wunsch und allerhöchstem Willen am Tische Frankreichs und lesen die Brosamen auf, die von des Kaisers Tische fallen. Aber auf wie lange? Der Staat Friedrichs des Großen muß sich wieder auf sich selbst besinnen.«
»So er's nur thäte,« replizirte Bülow. »Aber das versäumt er eben. Ist dies Schwanken, dies immer noch halbe Stehen zu Rußland und Oesterreich, das uns dem Empereur entfremdet, ist das Fridericianische Politik? Ich frage Sie?«
»Sie mißverstehen mich.«
»So bitt ich, mich aus dem Mißverständniß zu reißen.«
»Was ich wenigstens versuchen will … Uebrigens wollen Sie mich mißverstehen, Herr von Bülow. Ich bekämpfe nicht das französische Bündniß, weil es ein Bündniß ist, auch nicht deshalb, weil es nach Art aller Bündnisse darauf aus ist, unsere Kraft zu diesem oder jenem Zweck zu doubliren. O, nein; wie könnt' ich? Allianzen sind Mittel, deren jede Politik bedarf; auch der große König hat sich dieser Mittel bedient und innerhalb dieser Mittel beständig gewechselt. Aber nicht gewechselt hat er in seinem Endzweck. Dieser war unverrückt: ein starkes und selbstständiges Preußen. Und nun frag' ich Sie, Herr von Bülow, ist das, was uns Graf Haugwitz heimgebracht hat, und was sich Ihrer Zustimmung so sehr erfreut, ist das ein starkes und selbstständiges Preußen? Sie haben mich gefragt, nun frag ich Sie.«
Zweites Kapitel.
»Die Weihe der Kraft.«
Bülow, dessen Züge den Ausdruck einer äußersten Ueberheblichkeit anzunehmen begannen, wollte repliziren, aber Frau von Carayon unterbrach und sagte: »Lernen wir etwas aus der Politik unserer Tage: wo nicht Friede sein kann, da sei wenigstens Waffenstillstand. Auch hier … Und nun rathen Sie, lieber Alvensleben, wer heute hier war, uns seinen Besuch zu machen? Eine Berühmtheit. Und von der Rahel Lewin uns zugewiesen.«
»Also der Prinz,« sagte Alvensleben.
»O nein, berühmter oder doch wenigstens tagesberühmter. Der Prinz ist eine etablirte Celebrität, und Celebritäten, die zehn Jahre gedauert haben, sind keine mehr … Ich will Ihnen übrigens zu Hilfe kommen, es geht ins Litterarische hinüber, und so möcht' ich denn auch annehmen, daß uns Herr Sander das Räthsel lösen wird.«
»Ich will es wenigstens versuchen, gnädigste Frau, wobei mir Ihr Zutrauen vielleicht eine gewisse Weihekraft, oder sagen wirs lieber rund heraus, eine gewisse ›Weihe der Kraft‹ verleihen wird.«
»O vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier. Leider waren wir aus, und so sind wir denn um den uns zugedachten Besuch gekommen. Ich hab es sehr bedauert.«
»Sie sollten sich umgekehrt beglückwünschen, einer Enttäuschung entgangen zu sein,« nahm Bülow das Wort. »Es ist selten, daß die Dichter der Vorstellung entsprechen, die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten einen Olympier, einen Nektar- und Ambrosiamann, und sehen statt dessen einen Gourmand einen Putenbraten verzehren; wir erwarten Mittheilungen aus seiner geheimsten Zwiesprach mit den Göttern und hören ihn von seinem letzten Orden erzählen oder wohl gar die allergnädigsten Worte citiren, die Serenissimus über das jüngste Kind seiner Muse geäußert hat. Vielleicht auch Serenissima, was immer das denkbar Albernste bedeutet.«
»Aber doch schließlich nichts Alberneres, als das Urtheil solcher, die den Vorzug haben, in einem Stall oder einer Scheune geboren zu sein,« sagte Schach spitz.
»Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein sehr verehrter Herr von Schach, auch auf diesem Gebiete widersprechen. Der Unterschied, den Sie bezweifeln, ist wenigstens nach meinen Erfahrungen thatsächlich vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen gestatten wollen, zu Nicht-Gunsten von Serenissimus. In der Welt der kleinen Leute steht das Urtheil an und für sich nicht höher, aber die verlegene Bescheidenheit, darin sich's kleidet und das stotternde Schlechte-Gewissen, womit es zu Tage tritt, haben allemal etwas Versöhnendes. Und nun spricht der Fürst! Er ist der Gesetzgeber seines Landes in all und jedem, in Großem und Kleinem, also natürlich auch in Aestheticis. Wer über Leben und Tod entscheidet, sollte der nicht auch über ein Gedichtchen entscheiden können? Ah, bah! Er mag sprechen was er will, es sind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe solche zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören und weiß seitdem was es heißt: regarder dans le Néant.«
»Und doch stimm' ich der Mama bei,« bemerkte Victoire, der daran lag das Gespräch auf seinen Anfang, auf das Stück und seinen Dichter also zurückzuführen. »Es wäre mir wirklich eine Freude gewesen, den ›tagesberühmten Herrn‹, wie Mama ihn einschränkend genannt hat, kennen zu lernen. Sie vergessen, Herr von Bülow, daß wir Frauen sind, und daß wir als solche ein Recht haben, neugierig zu sein. An einer Berühmtheit wenig Gefallen zu finden, ist schließlich immer noch besser, als sie gar nicht gesehen zu haben.«
»Und wir werden ihn in der That nicht mehr sehen, in aller Bestimmtheit nicht,« fügte Frau von Carayon hinzu. »Er verläßt Berlin in den nächsten Tagen schon und war überhaupt nur hier, um den ersten Proben seines Stückes beizuwohnen.«
»Was also heißt,« warf Alvensleben ein, »daß an der Aufführung selbst nicht länger mehr zu zweifeln ist.«
»Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu gewinnen oder wenigstens alle beigebrachten Bedenken niederzuschlagen gewußt.«
»Was ich unbegreiflich finde,« fuhr Alvensleben fort. »Ich habe das Stück gelesen. Er will Luther verherrlichen, und der Pferdefuß des Jesuitismus guckt überall unter dem schwarzen Doktormantel hervor. Am räthselhaftesten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür interessirt, Iffland, ein Freimaurer.«
»Woraus ich einfach schließen möchte, daß er die Hauptrolle hat,« erwiderte Sander. »Unsere Prinzipien dauern gerade so lange, bis sie mit unsern Leidenschaften oder Eitelkeiten in Konflikt gerathen und ziehen dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther spielen wollen. Und das entscheidet.«
»Ich bekenne, daß es mir widerstrebt,« sagte Victoire, »die Gestalt Luthers auf der Bühne zu sehen. Oder geh' ich darin zu weit?«
Es war Alvensleben, an den sich