Dubslav geriet in eine kleine Verlegenheit, weil er sich einer solchen Gründlichkeit nicht gewärtigt hatte. »Herr von Quast war einmal hier, aber in Wahlangelegenheiten. Und mit den Urkunden ist es gründlich vorbei, seit Wrangel hier alles niederbrannte. Wenn ich von Wrangel spreche, mein ich natürlich nicht unsern ›Vater Wrangel‹, der übrigens auch keinen Spaß verstand, sondern den Schillerschen Wrangel … Und außerdem, Herr von Rex, ist es so schwer für einen Laien. Aber Sie, Krippenstapel, was meinen Sie?«
Rex, über den plötzlich etwas von Dienstlichkeit gekommen war, zuckte zusammen. Er hatte sich an Herrn von Stechlin gewandt, wenn nicht als an einen Wissenden, so doch als an einen Ebenbürtigen, und daß jetzt Krippenstapel aufgefordert wurde, das entscheidende Wort in dieser Angelegenheit zu sprechen, wollte ihm nicht recht passend erscheinen. Überhaupt, was wollte diese Figur, die doch schon stark die Karikatur streifte. Schon der Bericht über die Bienen und namentlich was er über die Haltung der Königin und den Prince-Consort gesagt hatte, hatte so merkwürdig anzüglich geklungen, und nun wurde dies Schulmeister-Original auch noch aufgefordert, über bauliche Fragen und aus welchem Jahrhundert die Kirche stamme, sein Urteil abzugeben. Er hatte wohlweislich nach Quast und Adler gefragt, und nun kam Krippenstapel! Wenn man durchaus wollte, konnte man das alles patriarchalisch finden; aber es mißfiel ihm doch. Und leider war Krippenstapel – der zu seinen sonstigen Sonderbarkeiten auch noch den ganzen Trotz des Autodidakten gesellte – keineswegs angetan, die kleinen Unebenheiten, in die das Gespräch hineingeraten war, wieder glatt zu machen. Er nahm vielmehr die Frage: ›Krippenstapel, was meinen Sie,‹ ganz ernsthaft auf und sagte:
»Wollen verzeihen, Herr von Rex, wenn ich unter Anlehnung an eine neuerdings erschienene Broschüre des Oberlehrers Tucheband in Templin zu widersprechen wage. Dieser Grafschaftswinkel hier ist von mehr mecklenburgischem und uckermärkischem als brandenburgischem Charakter, und wenn wir für unsre Stechliner Kirche nach Vorbildern forschen wollen, so werden wir sie wahrscheinlich in Kloster Himmelpfort oder Gransee zu suchen haben, aber nicht in Dom Brandenburg. Ich möchte hinzusetzen dürfen, daß Oberlehrer Tuchebands Aufstellungen, soviel ich weiß, unwidersprochen geblieben sind.«
Czako, der diesem aufflackernden Kampfe zwischen einem Ministerialassessor und einem Dorfschulmeister mit größtem Vergnügen folgte, hätte gern noch weitere Scheite herzugetragen; Woldemar aber empfand, daß es höchste Zeit sei, zu intervenieren, und bemerkte: nichts sei schwerer, als auf diesem Gebiete Bestimmungen zu treffen – ein Satz, den übrigens sowohl Rex wie Krippenstapel ablehnen zu wollen schienen –, und daß er vorschlagen möchte, lieber in die Kirche selbst einzutreten, als hier draußen über die Säulen und Kapitelle weiter zu debattieren.
Man fand sich in diesen Vorschlag; Krippenstapel öffnete die Kirche mit seinem Riesenschlüssel, und alle traten ein.
Sechstes Kapitel
Gleich nach zwölf – Woldemar hatte sich, wie geplant, schon lange vorher, um bei Lorenzen vorzusprechen, von den andern Herrn getrennt – waren Dubslav, Rex und Czako von dem Globsower Ausfluge zurück, und Rex, feiner Mann, der er war, war bei Passierung des Vorhofs verbindlich an die mit Zinn ausgelegte blanke Glaskugel herangetreten, um ihr, als einem mutmaßlichen Produkte der eben besichtigten »grünen Glashütte,« seine Ministerialaufmerksamkeit zu schenken. Er ging dabei so weit, von »Industriestaat« zu sprechen. Czako, der gemeinschaftlich mit Rex in die Glaskugel hineinguckte, war mit allem einverstanden, nur nicht mit seinem Spiegelbilde. »Wenn man nur bloß etwas besser aussähe …« Rex versuchte zu widersprechen, aber Czako gab nicht nach und versicherte: »Ja, Rex, Sie sind ein schöner Mann, Sie haben eben mehr zuzusetzen. Und da bleibt denn immer noch was übrig.«
Oben auf der Rampe stand Engelke.
»Nun, Engelke, wie steht's? Woldemar und der Pastor schon da?«
»Nein, gnädger Herr. Aber ich kann ja die Christel schicken.«
»Nein, nein, schicke nicht. Das stört bloß. Aber warten wollen wir auch nicht. Es war doch weiter nach Globsow, als ich dachte; das heißt, eigentlich war es nicht weiter, bloß die Beine wollen nicht mehr recht. Und hat solche Anstrengung bloß das eine Gute, daß man hungrig und durstig wird. Aber da kommen ja die Herren.«
Und er grüßte von der Rampe her nach der Bohlenbrücke hinüber, über die Woldemar und Lorenzen eben in den Schloßhof eintraten. Rex ging ihnen entgegen. Dubslav dagegen nahm Czakos Arm und sagte: »Nun kommen Sie, Hauptmann, wir wollen derweilen ein bißchen recherchieren und uns einen guten Platz aussuchen. Mit der ewigen Veranda, das is nichts; unter der Marquise steht die Luft wie ne Mauer, und ich muß frische Luft haben. Vielleicht erstes Zeichen von Hydropsie. Kann eigentlich Fremdwörter nicht leiden. Aber mitunter sind sie doch ein Segen. Wenn ich so zwischen Hydropsie und Wassersucht die Wahl habe, bin ich immer für Hydropsie. Wassersucht hat so was kolossal Anschauliches.«
Unter diesen Worten waren sie bis in den Garten gekommen, an eine Stelle, wo viel Buchsbaum stand, dem Poetensteige gerad gegenüber. »Sehen Sie hier, Hauptmann, das wäre so was. Niedrige Buchsbaumwand. Da haben wir Luft und doch keinen Zug. Denn vor Zug muß ich mich auch hüten wegen Rheumatismus, oder vielleicht ist es auch Gicht. Und dabei hören wir das Plätschern von meiner Sanssouci-Fontäne. Was meinen Sie?«
»Kapital, Herr Major.«
»Ach, lassen Sie den Major. Major klingt immer so dienstlich … Also hier, Engelke, hier decke den Tisch und stell auch ein paar Fuchsien oder was gerade blüht in die Mitte. Nur nicht Astern. Astern sind ganz gut, aber doch sozusagen unterm Stand und sehen immer aus wie'n Bauerngarten. Und dann mache dich in den Keller und hol uns was Ordentliches herauf. Du weißt ja, was ich zum Frühstück am liebsten habe. Vielleicht hat Hauptmann Czako denselben Geschmack.«
»Ich weiß noch nicht, um was es sich handelt, Herr von Stechlin; aber ich möchte mich für Übereinstimmung schon jetzt verbürgen.«
Inzwischen waren auch Woldemar, Rex und der Pastor vom Gartensalon her auf die Veranda hinausgetreten, und Dubslav ging ihnen entgegen. »Guten Tag, Pastor. Nun, das ist recht. Ich dachte schon, Woldemar würde von Ihnen annektiert werden.«
»Aber, Herr von Stechlin … Ihre Gäste … Und Woldemars Freunde.«
»Betonen Sie das nicht so, Lorenzen. Es gibt Umgangsformen und Artigkeitsgesetze. Gewiß. Aber das alles reicht nicht weit. Was der Mensch am ehesten durchbricht, das sind gerade solche Formen. Und wer sie nicht durchbricht, der kann einem auch leid tun. Wie geht es denn in der Ehe? Haben Sie schon einen Mann gesehen, der die Formen wahrt, wenn seine Frau ihn ärgert? Ich nicht. Leidenschaft ist immer siegreich.«
»Ja, Leidenschaft. Aber Woldemar und ich …«
»Sind auch in Leidenschaft. Sie haben die Freundschaftsleidenschaft, Orest und Pylades – so was hat es immer gegeben. Und dann, was noch viel mehr sagen will, Sie haben nebenher die Konspirationsleidenschaft …«
»Aber, Herr von Stechlin.«
»Nein, nicht die Konspirationsleidenschaft, ich nehm es zurück; aber Sie haben dafür was anderes, nämlich die Weltverbesserungsleidenschaft. Und das ist eine der größten, die es gibt. Und wenn solche zwei Weltverbesserer zusammen sind, da können Rex und Czako warten, und da kann selbst ein warmes Frühstück warten. Sagt man noch Déjeuner à la fourchette?«
»Kaum, Papa. Wie du weißt, es ist jetzt alles englisch.«
»Natürlich. Die Franzosen sind abgesetzt. Und ist auch recht gut so, wiewohl unsre Vettern drüben erst recht nichts taugen. Selbst ist der Mann. Aber ich glaube, das Frühstück wartet.«
Wirklich, es war so. Während die Herren zu zwei und zwei an der Buchsbaumwandung auf und ab schritten, hatte Engelke den Tisch arrangiert, an den jetzt Wirt und Gäste herantraten.
Es war eine längliche Tafel, deren dem Rundell zugekehrte Längsseite man frei gelassen hatte, was allen einen Überblick über das hübsche