Der Stechlin. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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›Hier steh ich, ich kann nicht anders‹ auszuspielen. Mitunter sieht es wirklich so aus, als ob wieder eine gewisse Märtyrerlust in die Menschen gefahren wäre, bloß ich trau dem Frieden noch nicht so recht.«

      »Ich auch nicht,« bemerkte Rex, »meistens Renommisterei.«

      »Na, na,« sagte Czako. »Da hab ich doch noch diese letzten Tage von einem armen russischen Lehrer gelesen, der unter die Soldaten gesteckt wurde (sie haben da jetzt auch so was wie allgemeine Dienstpflicht), und dieser Mensch, der Lehrer, hat sich geweigert, eine Flinte loszuschießen, weil das bloß Vorschule sei zu Mord und Totschlag, also ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieser Mensch ist sehr gequält worden, und zuletzt ist er gestorben. Wollen Sie das auch Renommisterei nennen?«

      »Gewiß will ich das.«

      »Herr von Rex,« sagte Dubslav, »sollten Sie dabei nicht zu weit gehen? Wenn sich's ums Sterben handelt, da hört das Renommieren auf. Aber diese Sache, von der ich übrigens auch gehört habe, hat einen ganz andern Schlüssel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen Renommisterei, das liegt am Lehrertum. Alle Lehrer sind nämlich verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich meine Studien gemacht habe; heißt Krippenstapel, was allein schon was sagen will. Er ist grad um ein Jahr älter als ich, also runde siebenundsechzig, und eigentlich ein Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber verrückt ist er doch.«

      »Das sind alle,« sagte Rex. »Alle Lehrer sind ein Schrecknis. Wir im Kultusministerium können ein Lied davon singen. Diese Abc-Pauker wissen alles, und seitdem Anno sechsundsechzig der unsinnige Satz in die Mode kam, ›der preußische Schulmeister habe die Österreicher geschlagen‹ – ich meinerseits würde lieber dem Zündnadelgewehr oder dem alten Steinmetz, der alles, nur kein Schulmeister war, den Preis zuerkennen –, seitdem ist es vollends mit diesen Leuten nicht mehr auszuhalten. Herr von Stechlin hat eben von einem der Humboldts gesprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt trauen sie sich noch nicht recht heran, aber was Alexander von Humboldt konnte, das können sie nun schon lange.«

      »Da treffen Sie's, Herr von Rex,« sagte Dubslav. »Genau so ist meiner auch. Ich kann nur wiederholen, ein vorzüglicher Mann; aber er hat den Prioritätswahnsinn. Wenn Koch das Heilserum erfindet oder Edison Ihnen auf fünfzig Meilen eine Oper vorspielt, mit Getrampel und Händeklatschen dazwischen, so weist Ihnen mein Krippenstapel nach, daß er das vor dreißig Jahren auch schon mit sich rumgetragen habe.«

      »Ja, ja, so sind sie alle.«

      »Übrigens … Aber darf ich Ihnen nicht noch von diesem gebackenen Schinken vorlegen? … Übrigens mahnt mich Krippenstapel daran, daß die Feststellung eines Vormittagsprogramms wohl an der Zeit sein dürfte; Krippenstapel ist nämlich der geborene Cicerone dieser Gegenden, und durch Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die Freude machen wollen, sich um Stechlin und Umgegend ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See – um den See natürlich am meisten, denn der ist unsre pièce de résistance. Das andere gibt es wo anders auch, aber der See … Lorenzen erklärt ihn außerdem noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich mitrumort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch wirklich so. Mein Pastor aber sollte, beiläufig bemerkt, so was lieber nicht sagen. Das sind so Geistreichigkeiten, die leicht übel vermerkt werden. Ich persönlich lass' es laufen. Es gibt nichts, was mir so verhaßt wäre wie Polizeimaßregeln, oder einem Menschen, der gern ein freies Wort spricht, die Kehle zuzuschnüren. Ich rede selber gern, wie mir der Schnabel gewachsen ist.«

      »Und verplauderst dich dabei,« sagte Woldemar, »und vergißt zunächst unser Programm. Um spätestens zwei müssen wir fort; wir haben also nur noch vier Stunden. Und Globsow, ohne das es nicht gehen wird, ist weit und kostet uns wenigstens die Hälfte davon.«

      »Alles richtig. Also das Menü, meine Herren. Ich denke mir die Sache so. Erst (da gleich hinter dem Buxbaumgange) Besteigung des Aussichtsturms, – noch eine Anlage von meinem Vater her, die sich, nach Ansicht der Leute hier, vordem um vieles schöner ausnahm als jetzt. Damals waren nämlich noch lauter bunte Scheiben da oben, und alles, was man sah, sah rot oder blau oder orangefarben aus. Und alle Welt hier war unglücklich, als ich diese bunten Gläser wegnehmen ließ. Ich empfand es aber wie ne Naturbeleidigung. Grün ist grün, und Wald ist Wald … Also Nummer eins der Aussichtsturm; Nummer zwei Krippenstapel und die Schule; Nummer drei die Kirche samt Kirchhof. Pfarre schenken wir uns. Dann Wald und See. Und dann Globsow, wo sich eine Glasindustrie befindet. Und dann wieder zurück, und zum Abschluß ein zweites Frühstück, eine altmodische Bezeichnung, die mir aber trotzdem immer besser klingt als Lunch. ›Zweites Frühstück‹ hat etwas ausgesprochen Behagliches und gibt zu verstehen, daß man ein erstes schon hinter sich hat … Woldemar, dies ist mein Programm, das ich dir, als einem Eingeweihten, hiermit unterbreite. Ja oder nein?«

      »Natürlich ja, Papa. Du triffst dergleichen immer am besten. Ich meinerseits mache aber nur die erste Hälfte mit. Wenn wir in der Kirche fertig sind, muß ich zu Lorenzen. Krippenstapel kann mich ja mehr als ersetzen, und in Globsow weiß er all und jedes. Er spricht, als ob er Glasbläser gewesen wäre.«

      »Darf dich nicht wundern. Dafür ist er Lehrer im allgemeinen und Krippenstapel im besonderen.«

      So war denn also das Programm festgestellt, und nachdem Dubslav mit Engelkes Hilfe seinen noch ziemlich neuen weißen Filzhut, den er sehr schonte, mit einem wotanartigen schwarzen Filzhut vertauscht und einen schweren Eichenstock in die Hand genommen hatte, brach man auf, um zunächst auf den als erste Sehenswürdigkeit festgesetzten Aussichtsturm hinaufzusteigen. Der Weg dahin, keine hundert Schritte, führte durch einen sogenannten »Poetensteig«. »Ich weiß nicht,« sagte Dubslav, »warum meine Mutter diesen etwas anspruchsvollen Namen hier einführte. Soviel mir bekannt, hat sich hier niemals etwas betreffen lassen, was zu dieser Rangerhöhung einer ehemaligen Taxushecke hätte Veranlassung geben können. Und ist auch recht gut so.«

      »Warum gut, Papa?«

      »Nun, nimm es nicht übel,« lachte Dubslav. »Du sprichst ja, wie wenn du selber einer wärst. Im übrigen räum ich dir ein, daß ich kein rechtes Urteil über derlei Dinge habe. Bei den Kürassieren war keiner, und ich habe überhaupt nur einmal einen gesehen, mit einem kleinen Verdruß und einer Goldbrille, die er beständig abnahm und putzte. Natürlich bloß ein Männchen, klein und eitel. Aber sehr elegant.«

      »Elegant?« fragte Czako. »Dann stimmt es nicht; dann haben Sie so gut wie keinen gesehen.«

      Unter diesem Gespräche waren sie bis an den Turm gekommen, der in mehreren Etagen und zuletzt auf bloßen Leitern anstieg. Man mußte schwindelfrei sein, um gut hinaufzukommen. Oben aber war es wieder gefahrlos, weil eine feste Wandung das Podium umgab. Rex und Czako hielten Umschau. Nach Süden hin lag das Land frei, nach den drei andern Seiten hin aber war alles mit Waldmassen besetzt, zwischen denen gelegentlich die sich hier auf weite Meilen hinziehende Seenkette sichtbar wurde. Der nächste See war der Stechlin.

      »Wo ist nun die Stelle?« fragte Czako. »Natürlich die, wo's sprudelt und strudelt.«

      »Sehen Sie die kleine Buchtung da, mit der weißen Steinbank?«

      »Jawohl; ganz deutlich.«

      »Nun, von der Steinbank aus keine zwei Bootslängen in den See hinein, da haben Sie die Stelle, die, wenn's sein muß, mit Java telephoniert.«

      »Ich gäbe was drum,« sagte Czako, »wenn jetzt der Hahn zu krähen anfinge.«

      »Diese kleine Aufmerksamkeit muß ich Ihnen leider schuldig bleiben und hab überhaupt da nach rechts hin nichts anderes mehr für Sie als die roten Ziegeldächer, die sich zwischen dem Waldrand und dem See wie auf einem Bollwerk hinziehen. Das ist Kolonie Globsow. Da wohnen die Glasbläser. Und dahinter liegt die Glashütte. Sie ist noch unter dem alten Fritzen entstanden und heißt die ›grüne Glashütte‹«.

      »Die grüne? Das klingt ja beinah wie aus nem Märchen.«

      »Ist aber eher das Gegenteil davon. Sie heißt nämlich so, weil man da grünes Glas macht, allergewöhnlichstes Flaschenglas. An Rubinglas mit Goldrand dürfen Sie hier nicht denken. Das ist nichts für unsre Gegend.«

      Und damit kletterten sie wieder hinunter und traten, nach Passierung des Schloßvorhofs, auf den quadratischen Dorfplatz hinaus, an dessen einer Ecke die Schule gelegen war.