Der Stechlin. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
dein Freund Rex schläft bis neun.«

      »Nein, Papa, der gerade nicht. Wer wie Rex ist, kann sich das nicht gönnen. Er hat nämlich einen Verein gegründet für Frühgottesdienste, abwechselnd in Schönhausen und Finkenkrug. Aber es ist noch nicht perfekt geworden.«

      »Freut mich, daß es noch hapert. Ich mag so was nicht. Der alte Wilhelm hat zwar seinem Volke die Religion wiedergeben wollen, was ein schönes Wort von ihm war – alles, was er tat und sagte, war gut – aber Religion und Landpartie, dagegen bin ich doch. Ich bin überhaupt gegen alle falschen Mischungen. Auch bei den Menschen. Die reine Rasse, das ist das eigentlich Legitime. Das andre, was sie nebenher noch Legitimität nennen, das ist schon alles mehr künstlich. Sage, wie steht es denn eigentlich damit? Du weißt schon, was ich meine.«

      »Ja, Papa …«

      »Nein, nicht so; nicht immer bloß ›ja, Papa‹. So fängst du jedesmal an, wenn ich auf dies Thema komme. Da liegt schon ein halber Refus drin, oder ein Hinausschieben, ein Abwartenwollen. Und damit kann ich mich nicht befreunden. Du bist jetzt zweiunddreißig, oder doch beinah, da muß der mit der Fackel kommen; aber du fackelst (verzeih den Kalauer, ich bin eigentlich gegen Kalauer, die sind so mehr für Handlungsreisende), also du fackelst, sag ich, und ist kein Ernst dahinter. Und soviel kann ich dir außerdem sagen, deine Tante Sanctissima drüben in Kloster Wutz, die wird auch schon ungeduldig. Und das sollte dir zu denken geben. Mich hat sie zeitlebens schlecht behandelt; wir stimmten eben nie zusammen und konnten auch nicht, denn so halb Königin Elisabeth, halb Kaffeeschwester, das is ne Melange, mit der ich mich nie habe befreunden können. Ihr drittes Wort ist immer ihr Rentmeister Fix, und wäre sie nicht sechsundsiebzig, so erfänd ich mir eine Geschichte dazu.«

      »Mach es gnädig, Papa. Sie meint es ja doch gut. Und mit mir nun schon ganz gewiß.«

      »Gnädig machen? Ja, Woldemar, ich will es versuchen. Nur fürcht ich, es wird nicht viel dabei herauskommen. Da heißt es immer, man solle Familiengefühl haben, aber es wird einem doch auch zu blutsauer gemacht, und ich kann umgekehrt der Versuchung nicht widerstehen, eine richtige Familienkritik zu üben. Adelheid fordert sie geradezu heraus. Andrerseits freilich, in dich ist sie wie vernarrt, für dich hat sie Geld und Liebe. Was davon wichtiger ist, stehe dahin; aber soviel ist gewiß, ohne sie wär es überhaupt gar nicht gegangen, ich meine dein Leben in deinem Regiment. Also wir haben ihr zu danken, und weil sie das gerade so gut weiß wie wir, oder vielleicht noch ein bißchen besser, gerade deshalb wird sie ungeduldig; sie will Taten sehen, was vom Weiberstandpunkt aus allemal so viel heißt wie Verheiratung. Und wenn man will, kann man es auch so nennen, ich meine Taten. Es ist und bleibt ein Heroismus. Wer Tante Adelheid geheiratet hätte, hätte sich die Tapferkeitsmedaille verdient, und wenn ich schändlich sein wollte, so sagte ich das Eiserne Kreuz.«

      »Ja, Papa …«

      »Schon wieder ›ja, Papa‹. Nun, meinetwegen, ich will dich schließlich in deiner Lieblingswendung nicht stören. Aber bekenne mir nebenher – denn das ist doch schließlich das, um was sich's handelt –, liegst du mit was im Anschlag, hast du was auf dem Korn?«

      »Papa, diese Wendungen erschrecken mich beinah. Aber wenn denn schon so jägermäßig gesprochen werden soll, ja; meine Wünsche haben ein bestimmtes Ziel, und ich darf sagen, mich beschäftigen diese Dinge.«

      »Mich beschäftigen diese Dinge … Nimm mir's nicht übel, Woldemar, das ist ja gar nichts. Beschäftigen! Ich bin nicht fürs Poetische, das ist für Gouvernanten und arme Lehrer, die nach Görbersdorf müssen (bloß, daß sie meistens kein Geld dazu haben), aber diese Wendung ›sich beschäftigen‹, das ist mir denn doch zu prosaisch. Wenn es sich um solche Dinge wie Liebe handelt (wiewohl ich über Liebe nicht viel günstiger denke wie über Poesie, bloß daß Liebe doch noch mehr Unheil anrichtet, weil sie noch allgemeiner auftritt) – wenn es sich um Dinge wie Liebe handelt, so darf man nicht sagen, ›ich habe mich damit beschäftigt‹. Liebe ist doch schließlich immer was Forsches, sonst kann sie sich ganz und gar begraben lassen, und da möcht ich denn doch etwas von dir hören, was ein bißchen wie Leidenschaft aussieht. Es braucht ja nicht gleich was Schreckliches zu sein. Aber so ganz ohne Stimulus, wie man, glaub ich, jetzt sagt, so ganz ohne so was geht es nicht; alle Menschheit ist darauf gestellt, und wo's einschläft, ist so gut wie alles vorbei. Nun weiß ich zwar recht gut, es geht auch ohne uns, aber das ist doch alles bloß etwas, was einem von Verstandes wegen aufgezwungen wird; das egoistische Gefühl, das immer unrecht, aber auch immer recht hat, will von dem allem nichts wissen und besteht darauf, daß die Stechline weiterleben, wenn es sein kann, in aeternum. Ewig weiterleben; – ich räume ein, es hat ein bißchen was Komisches, aber es gibt wenig ernste Sachen, die nicht auch eine komische Seite hätten … Also dich ›beschäftigen‹ diese Dinge. Kannst du Namen nennen? Auf wem haben Eurer Hoheit Augen zu ruhen geruht?«

      »Papa, Namen darf ich noch nicht nennen. Ich bin meiner Sache noch nicht sicher genug, und das ist auch der Grund, warum ich Wendungen gebraucht habe, die dir nüchtern und prosaisch erschienen sind. Ich kann dir aber sagen, ich hätte mich lieber anders ausgedrückt; nur darf ich es noch nicht. Und dann weiß ich ja auch, daß du selber einen abergläubischen Zug hast und ganz aufrichtig davon ausgehst, daß man sich sein Glück verreden kann, wenn man zu früh oder zu viel davon spricht.«

      »Brav, brav. Das gefällt mir. So ist es. Wir sind immer von neidischen und boshaften Wesen mit Fuchsschwänzen und Fledermausflügeln umstellt, und wenn wir renommieren oder sicher tun, dann lachen sie. Und wenn sie erst lachen, dann sind wir schon so gut wie verloren. Mit unsrer eignen Kraft ist nichts getan, ich habe nicht den Grashalm sicher, den ich hier ausreiße. Demut, Demut … Aber trotzdem komm ich dir mit der naiven Frage (denn man widerspricht sich in einem fort), ist es was Vornehmes, was Pikfeines?«

      »Pikfein, Papa, will ich nicht sagen. Aber vornehm gewiß.«

      »Na, das freut mich. Falsche Vornehmheit ist mir ein Greuel; aber richtige Vornehmheit, – à la bonne heure. Sage mal, vielleicht was vom Hofe?«

      »Nein, Papa.«

      »Na, desto besser. Aber da kommen ja die Herren. Der Rex sieht wirklich verdeubelt gut aus, ganz das, was wir früher einen Garde-Assessor nannten. Und fromm, sagst du, – wird also wohl Karriere machen; ›fromm‹ is wie ne untergelegte Hand.«

      Während dieser Worte stiegen Rex und Czako die Stufen zum Garten hinunter und begrüßten den Alten. Er erkundigte sich nach ihren nächtlichen Schicksalen, freute sich, daß sie »durchgeschlafen« hätten, und nahm dann Czakos Arm, um vom Garten her auf die Veranda, wo Engelke mittlerweile unter der großen Marquise den Frühstückstisch hergerichtet hatte, zurückzukehren. »Darf ich bitten, Herr von Rex.« Und er wies auf einen Gartenstuhl, ihm gerade gegenüber, während Woldemar und Czako links und rechts neben ihm Platz nahmen. »Ich habe neuerdings den Tee eingeführt, das heißt nicht obligatorisch; im Gegenteil, ich persönlich bleibe lieber bei Kaffee, ›schwarz wie der Teufel, süß wie die Sünde, heiß wie die Hölle‹, wie bereits Talleyrand gesagt haben soll. Aber, Pardon, daß ich Sie mit so was überhaupt noch belästige. Schon mein Vater sagte mal: ›Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten Wiener Kongreßwitze.‹ Und das ist nun schon wieder ein Menschenalter her.«

      »Ach, diese alten Kongreßwitze,« sagte Rex verbindlich, »ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, daß diese alten Witze besser sind als die neuen. Und kann auch kaum anders sein. Denn wer waren denn die Verfasser von damals? Talleyrand, den Sie schon genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, daß das Metier seitdem sehr herabgestiegen ist.«

      »Ja, herabgestiegen ist alles, und es steigt immer weiter nach unten. Das ist, was man neue Zeit nennt, immer weiter runter. Und mein Pastor, den Sie ja gestern abend kennen gelernt haben, der behauptet sogar, das sei das Wahre, das sei das, was man Kultur nenne, daß immer weiter nach unten gestiegen würde. Die aristokratische Welt habe abgewirtschaftet, und nun komme die demokratische …«

      »Sonderbare Worte für einen Geistlichen,« sagte Rex, »für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen kennen sollte.«

      Dubslav lachte. »Ja, das bestreitet er Ihnen. Und ich muß bekennen, es hat manches für sich, trotzdem es mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich meine den Pastor, ja wohl noch beim zweiten