Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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besonders fröhlichen und lauten Besuch. Zur Seite des großen Schreibtisches, dicht neben der Riesenstatue des heiligen Petrus, dessen deutsches Antlitz noch unwilliger als sonst flammte, lehnte ein gewaltiger, muskulöser Russenoffizier behaglich in dem dunklen Ledersessel und hob eben sein Weinglas prüfend gegen die grünbeschirmte Lampe, so daß der gelbe Trank spiegelte und glitzerte. Die Sporen an den hellgelben Reiterstiefeln, die er vor Vergnügen leise aneinander rieb, ließen dazu einen feinen silbernen Sang ertönen, und das laute Gelächter des Fremden schlug schallend gegen die Decke der Wölbung.

      »Ja, was sagen mein bester Freund,« rief er wohlgelaunt und stieß den Hausherrn mit dem langen Säbel, den er nicht abgelegt hatte, vertraulich gegen die eleganten schwarzen Lackschuhe, »dumme Tiere von Grenzkosacken haben sich richtig durch Ihren Agenten von Pflicht – wie sagt man? – abwendig machen lassen.«

      Der Konsul reckte sich und zupfte verärgert an seinem kurzgeschorenen englischen Schnurrbärtchen.

      »Der Jude handelte auf sein eigenes Risiko,« entgegnete er unmutig, »ich habe ihm nicht geraten, Ihre Leute zu bestechen.«

      »Bestechen?« Jetzt lachte der Russe noch behaglicher und schüttelte das blondbebartete Haupt. Seine blauen Augen sahen ganz erstaunt aus. »Bestechen?« wiederholte er in seinem gebrochenen Deutsch, »nicht doch. Hat Mann gar nicht beabsichtigt. Ist Gewohnheit bei diesen deutschen Spitzbuben. Pardon – pardon,« verbesserte er sich, und die großen Kinderaugen begannen ihm in der Wirkung des Weins oder aus Verlegenheit zu tränen, »sehr ehrenwerte Leute. Versuchen es nur immer wieder. Aber diesmal hat mir heilige Mutter von Kiew beigestanden. Sieben Wagen vor Brücke zurückgehalten, und zweitausend Rubel in meiner Tasche. Was sagen bester Freund?«

      Konsul Bark rückte ein wenig mit seinem Stuhl und blickte seinen Gast zweifelnd von der Seite an. Das Gespräch schien ihm durchaus nicht zuzusagen.

      »Ich nehme an,« begann er endlich nach einem Moment der Überlegung, während sein schmales, feingeschnittenes Gesicht durch nichts irgendeine Bewegung verriet, »ich nehme an, Herr Rittmeister Sassin, daß Sie gekommen sind, um das Geld wieder an mich abzuliefern.«

      »Oh nein, ist Irrtum. Geld gehört Gossudar, russischen Zaren, unserem allergnädigsten Herrn.« Der Russe verbeugte sich, so daß seine Stirn fast die Platte des Schreibtisches berührte.

      »Jawohl, ich kann es mir denken,« meinte der Konsul mißfällig, »sprechen wir nicht mehr darüber.«

      »Serr gut, ist ganz meine Ansicht, sind hervorragender Kaufmann. – Händler erster Gilde!«

      Jetzt warf der Hausherr seinem Gast von neuem einen scharfen Seitenblick zu. Unwillkürlich faltete sich seine Stirn. Sollte dieser große ungeschlachte Mensch sich etwa über ihn lustig zu machen gedenken, gerade jetzt, da der Fremde ihn um eine erhebliche Summe geschädigt? In diesem Augenblick hatte der kühle Geschäftsmann völlig vergessen, wie oft er jenseits der Grenze in dem kleinen elenden Fabrikstädtchen die reiche und ausgelassene Bewirtung des Grenzoffiziers genossen, eine Gastfreundschaft, die sich manchmal bis zu tobendem Wahnsinn gesteigert hatte. Nein, die Erinnerung hieran war dem Prinzipal des Goldenen Bechers wie in dunklem Rauch aufgegangen. Denn Konsul Bark besaß die Fähigkeit, geschehene Dinge, die ihm nicht mehr behagten, kaltblütig auszustreichen, als wären sie nie gewesen. Seine dunkelgrauen, lang bewimperten Augen blickten noch etwas berechnender drein als gewöhnlich, da er sich auf die Huldigung des Offiziers zu der lässigen Erwiderung anschickte:

      »Ich bin Ihnen für Ihre gute Meinung sehr verbunden, Herr Rittmeister. Aber gerade, weil ich ein nüchterner Kaufmann bin, so werden Sie es mir nicht übel deuten, wenn ich mich frage, welche geheime Absicht Sie eben jetzt zu mir leitet, obwohl Sie vielleicht Ursache zu haben glauben, mir wegen dieser unangenehmen Zollaffäre zu zürnen.«

      Ganz vorsichtig und diplomatisch hatte der Konsul dies vorgebracht, während er unausgesetzt einen großen Elfenbeinfalz zwischen seinen schmalen Fingern hin- und hergleiten ließ. Der Russe jedoch tat seine hellblauen Kinderaugen noch weiter auf, und auf seinen breiten Zügen malte sich vollste Verständnislosigkeit. Ungewiß rieb er sich in seinem stoppligen blonden Kinnbart.

      »Nix Zollaffäre, nix zürnen, keine Spur,« versicherte er eifrig und verbeugte sich mehrfach in großer Ehrfurcht vor dem Handelsherrn. »Solche Geschichten alle Tage vorkommen. Au contraire, bereiten Spaß, machen schönes Vergnügen. Leo Konstantinowitsch Sassin bitten Rudolf Bark von Wertschätzung und innigster Freundschaft überzeugt zu sein.«

      Damit legte er die Linke aufs Herz und hob das Weinglas grüßend zu dem Hausherrn hinüber. Der Konsul aber, der die Gewohnheiten des Nachbarvolkes kannte, nickte gleichfalls mit dem Haupt, ohne jedoch seinen Zweck aus dem Auge zu verlieren.

      »Leo Konstantinowitsch, kann ich Ihnen mit irgend etwas anderem dienen?«

      Der Russe schluckte noch an seinem Wein und setzte das Glas ziemlich unbekümmert auf die Schreibtischplatte nieder. Dann erhob er lebhaft beide Hände.

      »Pas du tout, mein bester Freund, nix dergleichen. Ja, ist wahr, gab traurige Zeiten für Offiziere von Gossudar, namentlich wenn so weit fort von heilige Petersburg. Serr zu kämpfen gegen Einsamkeit, Langweile und Armut. Da ist Rudolf Bark immer hilfreicher Freund gewesen, serr hilfreich, Kavalier –«

      »Sehr schön, aber –«

      »Kommt, kommt alles. Armut vorbei, durch Gnade von Väterchen bedeutend besser gestellt. Einnahmen hier, Einnahmen dort, man kann nicht klagen. Und seit Gouverneur von Wilna Grenzstationen kontrolliert, auch eigene maison – Häuschen.«

      Bei der Erwähnung dieser kleinen ›maison‹ flog ein verschmitzter Schein über die eben noch so ernsten Züge des Kaufmanns.

      »Ja, ich habe gehört, Leo Konstantinowitsch. Man erzählt, daß Ihnen eine reizende Villa gebaut sei.«

      »Eben fertig,« warf der Russe sehr befriedigt ein.

      »Nun gut, nehmen Sie meinen Glückwunsch. Es fehlt nichts hinein als eine junge Frau.«

      Der Russe fuchtelte wieder mit den Händen und ließ die Sporen klirren.

      »Oh, fehlt nicht, fehlt nicht, pas du tout, man weiß sich zu behelfen. Und davon gerade, Rudolf Bark, sollen Sie sich überzeugen. Ich bitte serr, ich bitte inständigst.«

      »Sie meinen doch nicht –?«

      »Ja, meine ich, ein kleines Fest. Eine Einweihung, intim, serr vornehm. Und wenn Sie mich machen wollen glücklich, dann legen auch ein gutes Wort ein bei die schönen Damen von Maritzken, die ich neulich so bevorzugt war, bei Ihnen zu treffen. Wunderschöne Damen, namentlich die große, üppige, stolze, mit die königliche Gang, und die schwarze mit den roten Lippen. Es wird werden serr amüsant.«

      So unerwartet traf den Großkaufmann diese letzte Aufforderung, daß er den Elfenbeinfalz hart auf den Tisch fallen ließ und erst einen verlegenen Blick auf das Holzantlitz des Apostels warf, bevor er, sich zusammenraffend, widersprechen konnte:

      »Nein, nein, lieber Rittmeister, dieser Mission fühle ich mich nicht gewachsen. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es kommt mir doch höchst zweifelhaft vor, ob sich die jungen Damen von Maritzken, und namentlich die Älteste, in dem eigentümlichen« – der Konsul zögerte einen Augenblick und suchte nach einem Ausdruck – »na sagen wir Junggesellenmilieu wohlfühlen würden.«

      Der Grenzoffizier jedoch sprang klirrend auf und fegte mit seiner Rechten in sprudelnder Lebhaftigkeit durch die Luft, als müsse er jedes einzelne Wort seines Gegenübers besonders ausstreichen.

      »Kein Junggesellenmilieu,« schrie er, unbekümmert darum, ob seine Worte nicht etwa jenseits der Diele verstanden werden könnten, »Sie täuschen sich, bester Konsul, wir besitzen Takt, savoir vivre. Sie kränken uns, wenn Sie zweifeln daran. Wir sind junges Volk, harmloses Volk, – aber galant gegen Damen.«

      Sicherlich gedachte Leo Konstantinowitsch seine nationale Eigenart noch eingehender zu schildern, aber das leis-ironische Lächeln, das abermals die Lippen seines Zuhörers umspielte, veranlaßte ihn, sich zu unterbrechen, um sich beschwörend die mächtige Faust mitten auf die Brust zu schlagen. Es gab einen dumpfen Widerhall.

      »Diesmal nicht so wie sonst,«