Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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großen Blonden energisch übergeben waren, und wie von selbst traten sie mürrisch und bezwungen den Rückzug durch die dunkle Einfahrt an, um noch auf den drei ausgetretenen Steinstufen, die zu dem inneren Flur hinaufleiteten, aufzufangen, wie die ältere Schwester laut und unbekümmert hinter Marianne herrief:

      »Es paßt sich nicht, daß du dich jetzt schon mit dem jungen Offizier triffst, so weit halten wir noch nicht. Aber wenn ich zurückkomme, dann werden wir mehr wissen. Und nun benehmt euch dort drinnen nicht zu ausgelassen.«

      »Ja, ja, wir werden uns Mühe geben,« erwiderte die dunkelhaarige Marianne achselzuckend; und dann verschwanden die Grothe-Fräulein hinter der Glastür des Gasthauses, ohne der Ältesten noch einen besonderen Gruß gegönnt zu haben.

      Johanna aber wartete ruhig ab, bis der halbwüchsige Kutscher die beiden Rappen ausgespannt und in den Stall geführt hatte. Und erst, nachdem sie noch angeordnet, welche Zehrung der Junge zu sich nehmen solle und aus welchen Geschäften Pakete eintreffen würden, da schritt sie endlich mit ihrem festen, sicheren Gang quer über den Marktplatz herüber. Das edle griechische Haupt mit den harten, blauen Augen trug sie wieder hoch aufgerichtet, und unter dem dünnen Schleier leuchtete die weiße Haut, als ob wirklich ein altes Götterbild auf den Einfall geraten wäre, hier auf dem ostpreußischen, schlecht gepflasterten Marktplatz majestätisch dahinzuwandeln. So stolz und selbstsicher mutete das Bild an, daß selbst ein paar schlanke Gymnasiasten, die auf dem Platz eine wichtige Besprechung abhielten, hochachtungsvoll an ihren hellblauen Mützen rückten, um untereinander zu tuscheln:

      »Das ist die Älteste von Maritzken, ein feines Weib! Kuck, sie geht in den Goldenen Becher zu Konsul Bark. Donnerwetter, wenn man doch auch –«

      Und dann kam die Hochgewachsene ganz nahe, und die Jungen dienerten und schwenkten ihre Kappen.

      In dem großen Gewölbe des Goldenen Bechers brannten bereits die Gasflammen. Sie verlöschten niemals unter den gotischen Bogen. Denn obwohl über der alten Stadt das Leuchten und Schimmern eines wolkenlosen Sommertages lag, hier drinnen in den niedrigen Gewölben der ehemaligen Probstei herrschte eine beständige kühle Dämmerung. In dem Raum selbst aber schwirrte und summte und knirschte es durcheinander. Achtzehn junge Leute, alle mit sauberen grünen Schürzen angetan, bedienten die sich drängenden Kunden, und alle Augenblicke sah man das schneeige Weiß des aufgeschütteten Salzes blitzen, graue Staubwolken von Mehl schwebten dahin, der Zucker knirschte, stark gebrannter Kaffee verbreitete seinen aromatischen Duft, aber auch Weinflaschen verließen ihr stauberfülltes Lager und ganze Berge von blechernen Konservenbüchsen verschwanden in den mächtigen Körben der Einholenden. Auf der anderen Seite des hochgewölbten Torweges, dicht vor den tief zurückliegenden dunklen Fensterscheiben, die mit dicken Eisenstäben so eng vergittert waren, als ob es sich um Gefangenenzellen handele, da hielten auf dem Marktplatz eisenklirrende Rollwagen, über deren herabgelassene Leiterbäume blaue Petroleumfässer heruntergewälzt wurden. Daneben standen gewaltige Plangefährte. Unausgesetzt trugen riesige Männer mit Lederschürzen viereckige, mit Sackleinwand und Eisenblech verschnürte Ballen heraus. Ein feiner Teegeruch verbreitete sich, als Johanna Grothe dort vorüberschritt. Und an den kleinen, buntgeschirrten Pferdchen mit den gewaltigen Messingkummeten um den Hals erkannte ihr geübter Blick, wie diese Wagen erst vor kurzem von der nahen russischen Grenze angelangt seien. Denn Konsul Bark war der größte Teeimporteur dieser östlichen Provinz, und die kleinen roten Päckchen mit dem goldenen Becher als Aufdruck galten durch das ganze Reich als eine Delikatesse.

      Durch den Schwarm der unbekümmert weiterschaffenden Lederschürzen hindurch trat Johanna Grothe durch den grob gepflasterten Flur, bis sie an der rechten Rundwand ein paar ausgetretene grüne Marmorstufen erreicht hatte. Auf der obersten zogen sich altersverwitterte Bronzebuchstaben hin, die durch ihren griechischen Text die stolze Angabe des Hausherrn bekräftigten, daß diese Steine aus einem alten moskowitischen Kloster einstmals von der siegreichen Hanse dem residierenden Probst der Handelsstadt zum Geschenk gemacht worden seien. Vor grauen Zeiten leiteten jene Quadern auch wirklich in das Refektorium der Probstei. Heute jedoch hatte der Konsul sein Privatkontor hier aufgeschlagen; es war ein gewaltiger Raum, von schweren flämischen Möbeln umstellt, während die weißen, splitternden Dielen von einem einzigen orientalischen Teppich in dunkelbrauner Grundfärbung überspannt waren. Einen seltsamen Eindruck rief es auf alle hervor, die zuerst hier eintraten, sobald aus den eingebuchteten Mauerwölbungen immer noch die bunten Mosaikgebilde der Evangelisten in verdämmerten Farben herausleuchteten. Einen förmlichen Schrecken aber verursachte es dem Unvorbereiteten, wenn hinter dem umfangreichen Schreibtisch des Großkaufmanns, nur von dem elektrischen Licht der grünbeschirmten Arbeitslampe getroffen, die überlebensgroße, riesenhafte Holzstatue des Apostelfürsten Petrus mit blauem Mantel und goldenem Heiligenschein auftauchte, genau so, wie sie einstmals an dieser Stelle das Ziel für die Verehrung unzähliger Frommer gebildet hatte. Die Holzstatue aber ragte auf ihrem Marmorquader auf, als wolle sie gegen die neue Zeit und gegen alles, was sie in ihr erblicken mußte, Verwahrung einlegen. Den goldenen Hirtenstab, der unten abgebrochen war, hielt sie gegen das zornige, volkstümliche Herz gepreßt und ihren mächtigen verrosteten Eisenschlüssel streckte sie weit von sich, voll Abscheu und grobem Eifer.

      Und der Heilige hatte manchen Grund zu seinem Verhalten. Denn obwohl der neue Besitzer der Probstei ein gewisses feinsinniges Kunstinteresse für die bunten Zeichen einer innerlicheren Epoche besaß, und obwohl es ihm schmeichelte, häufig berühmte Sammler und Gelehrte in seinen Räumen zu empfangen, um ihre Bewunderung für seine Besitztümer zu vernehmen, so lehnte er es doch auf der anderen Seite entschieden ab, sein eigenes Leben mit seiner Umgebung in Einklang zu bringen. Dunkle Gerüchte durchflogen die Stadt, es würden in der alten Probstei unter den Augen der Evangelisten und des Himmelspförtners gelegentlich erlesene Feste gefeiert, die weitab von strenger Daseinsführung lagen und die deshalb das Ziel und die Sehnsucht aller unverheirateten Herren der bevorzugten Kreise bildeten. Etwas Genaues indessen vermochten selbst die neugierigsten Damen der Stadt nicht in Erfahrung zu bringen. Man flüsterte wohl hie und da, daß der Konsul, dieser wohlgepflegte Vierziger mit der schlanken eleganten Gestalt und den schwärmerischen, lang bewimperten Augen, die so gar nicht zu den im Grunde kalten Zügen passen wollten, man flüsterte wohl, daß Konsul Bark in seinem weit ausgreifenden Kunstinteresse auch die Damen des Theaters mit seinen Einladungen beehrte, allein von den Beteiligten wurde dies stets mit sonderbarem Lächeln geleugnet. Äußerlich jedoch zeigte der Goldene Becher dauernd die gleiche patrizische Würde, und da der Konsul sogar in den Zirkeln der Frau Regierungspräsidentin sichtbar wurde, wo nur die dreimal Gesiebten verkehrten, so sanken alle unheiligen Vermutungen immer wieder in sich zusammen. Nur ein einziges Wesen lebte, das über den Wandel des Hausherrn genauen Aufschluß hätte geben können. Das war jener merkwürdige Einsasse des Goldenen Bechers, über den in der Stadt infolge seiner erstaunlichen Vielseitigkeit mindestens ebensoviel Erzählungen umliefen, als über den eleganten Großkaufmann selbst. Es war der Kammerdiener des Konsuls, Pawlowitsch, wie er von dem Chef im Scherz wegen seiner russischen Abkunft genannt wurde.

      Ja, Pawlowitsch besaß das Ohr des Großkaufmanns. In einem weißen Leinenanzug war er seinem Herrn frühmorgens bei der Toilette behilflich; er rasierte ihn, und kein Friseur hätte das dunkelbraune Haar des Konsuls so korrekt zu scheiteln vermocht, wie dieser Halbrusse. Bei solcher Gelegenheit erfuhr dann der Herr des Goldenen Bechers, was Pawlowitsch für nützlich hielt, ihm zufließen zu lassen.

      »Herr Konsuhl,« flüsterte der Weißkopf, denn er betonte diesen Titel auf der letzten Silbe und dabei beugte er sich während des Einseifens geschmeidig bis zu dem Ohr des Gebieters herab, »die kleine Schwarz vom Stadttheater hat heute abend ihr Benefiz. – Rosen?«

      »Jawohl.«

      »Vorzüglich –« alle Anordnungen des Chefs beehrte Pawlowitsch mit dieser begeisterten Zensur, »vorzüglich – Teerosen?«

      »Gewiß.«

      Der weiße Kittel verbeugte sich. Es war ja selbstverständlich, daß er diese gelben Blumen hinter die Bühne zu tragen hatte. Dunkelrote schickte sein Gebieter nur beim Beginn einer vielbegehrten Bekanntschaft. Die ruhigere Epoche wurde dann durch die mattere Farbe gekennzeichnet. Und Pawlowitsch wußte ganz genau, wann die weißen an die Reihe kamen, die den Rückzug des Konsuls einläuteten.

      »Vorzüglich.«

      Zu derselben Stunde, als Johanna