»Ja.«
»Du hast recht gesprochen; er ist ein Bekannter von dir, das heißt, du kennst ihn. Aber dein Freund ist er nicht.«
»Ich würde mich auch für seine Freundschaft sehr bedanken. Wie nennt er sich?«
»Er heißt Abu en Nassr.«
»Das ist nicht wahr! Sein Name ist Hamd el Amasat.«
»Giaur, wage es nicht, mich der Lüge zu zeihen, sonst erhältst du zwanzig Hiebe mehr! Allerdings heißt mein Freund Hamd el Amasat; aber wisse, du Hund von einem Ungläubigen, als ich noch als Miralai in Stambul stand, wurde ich einst des Nachts von griechischen Banditen angefallen; da kam Hamd el Amasat dazu, sprach mit ihnen und rettete mir das Leben. Seit jener Nacht heißt er Abu en Nassr, der Vater des Sieges, denn niemand kann ihm widerstehen, nicht einmal ein griechischer Bandit.«
Ich konnte mich nicht enthalten, lachend den Kopf zu schütteln, und fragte:
»Du willst in Stambul Miralai, also Oberst gewesen sein? Bei welcher Truppe?«
»Bei der Garde, du Sohn eines Schakals.«
Ich trat einen Schritt näher zu ihm heran und erhob die Rechte.
»Wage es noch einmal, mich zu schimpfen, so gebe ich dir eine Ssille, das heißt, eine solche Ohrfeige, daß du morgen deine Nase für ein Minaret ansehen sollst! Du wärst mir der Kerl, ein Oberst gewesen zu sein! So etwas darfst du wohl hier deinen Oasenhelden weismachen, nicht aber mir; verstanden!«
Er erhob sich mit ungewöhnlicher Schnelligkeit. Das war ihm noch nie vorgekommen; das ging ihm über alle seine Begriffe; er starrte mich an, als ob ich ein Gespenst sei, und stotterte dann, ich weiß nicht, ob vor Wut oder vor Verlegenheit:
»Mensch, ich hätte sogar Liwa-Pascha werden können, also General-Major, wenn mir die Stelle hier in Kbilli nicht lieber gewesen wäre!«
»Ja, du bist ein wahrer Ausbund von Mut und Tapferkeit. Du hast mit Banditen gekämpft, welche dein Freund mit bloßen Worten besiegte, hörst du es? Er ist also jedenfalls ein sehr guter Bekannter von ihnen gewesen oder gar ein Mitglied ihrer Sippe. Er hat in Algier einen Raubmord begangen; er hat im Wadi Tarfaui einen Mann getötet; er hat auf dem Schott Dscherid meinen Führer, den Vater dieses Jünglings, erschossen, weil er mich verderben wollte; er ist von mir verfolgt worden bis nach Kbilli, und ich finde diesen Menschen wieder als den Freund eines Mannes, der ein Oberst im Dienste des Großherrn gewesen zu sein behauptet. Ich klage ihn des Mordes bei dir an und verlange, daß du ihn gefangen nimmst!«
Jetzt erhob sich auch Abu en Nassr. Er rief:
»Dieser Mensch ist ein Giaur. Er hat Wein getrunken und weiß nicht, was er redet. Er mag seinen Rausch verschlafen und sich dann verantworten.«
Das war mir denn doch zu viel. Im Nu hatte ich ihn gepackt; hob ihn empor und warf ihn zu Boden. Er sprang auf und zog sein Messer.
»Hund, du hast dich an einem Gläubigen vergriffen; du mußt jetzt sterben!«
Mit diesen Worten warf er sich mit aller Gewalt auf mich. Ich aber gab ihm einen so wohlgezielten Faustschlag, daß er niederstürzte und regungslos liegen blieb.
»Faßt ihn!« gebot der Wekil seinen Soldaten, indem er auf mich zeigte.
Ich erwartete, daß sie mich sofort packen würden, sah aber zu meiner Verwunderung, daß es ganz anders kam. Der Unteroffizier nämlich trat vor die Fronte der Seinigen und kommandierte:
»Komyn silahlari – legt die Gewehre weg!«
Alle bückten sich zugleich, legten ihre Flinten auf den Boden und kehrten dann in ihre vorige Haltung zurück.
»Döndürmek sagha – rechts umgedreht!«
Sie machten halbe Wendung rechts und standen nun in einer Reihe hinter einander.
»Gityn erkek tschewresinde, koschyn-iz – nehmt den Mann in die Mitte, marsch!«
Wie auf dem Exerzierplatze erhoben sie den linken Fuß; der Flügelmann markierte »sol – sagha, sol – sagha – links – rechts, links – rechts!« sie marschierten um mich herum und blieben, als der Kreis gebildet war, auf das Kommando des Unteroffiziers stehen.
»Onu tutmyn – ergreift ihn!«
Zwanzig Hände mit gerade hundert braunen, schmutzigen Fingern streckten sich von hinten und vorn, von rechts und links nach mir aus und faßten mich am Burnus. Die Sache war zu komisch, als daß ich eine Bewegung zu meiner Befreiung hätte machen mögen.
»Dschenabin-iz, bizim – war herifu – Hoheit, wir haben den Kerl!« meldete der Oberstkommandierende der tapfern Truppe.
»Brakyn-jok onu tekrar azad – laßt ihn nicht wieder frei!« gebot der Statthalter mit strenger Miene.
Die hundert Finger krallten sich noch fester und tiefer in meinen Burnus als vorher, und gerade die steife, orientalische Würde, mit der das alles geschah, und die etwas urkomisch Marionettenhaftes hatte, war schuld, daß ich beinahe laut aufgelacht hätte.
Während dieses Vorganges hatte sich Abu en Nassr wieder erhoben. Seine Augen funkelten vor Wut und Rachgier, als er zum Wekil sagte:
»Du wirst ihn erschießen lassen!«
»Ja, er soll erschossen werden; vorher aber werde ich ihn verhören, denn ich bin ein gerechter Richter und mag niemand ungehört verurteilen. Bring deine Anklage vor!«
»Dieser Giaur,« begann der Mörder, »ging mit einem Führer und seinem Diener über den Schott; er traf auf uns und stürzte meinen Gefährten in die Fluten, so daß dieser elend ertrinken mußte.«
»Warum tat er dies?«
»Aus Rache.«
»Wofür wollte er sich rächen?«
»Er hat im Wadi Tarfaui einen Mann getötet; wir kamen dazu und wollten ihn festnehmen, er aber entwischte uns.«
»Kannst du deine Worte beschwören?«
»Beim Barte des Propheten!«
»Das ist genug! – Hast du diese Worte vernommen?« fragte er mich dann.
»Ja.«
»Was sagst du dazu?«
»Daß er ein Schurke ist. Er war der Mörder und hat in seiner Anklage die Personen geradezu verwechselt.«
»Er hat geschworen, und du bist ein Giaur. Ich glaube nicht dir, sondern ihm.«
»Frage meinen Diener! Er ist mein Zeuge.«
»Er dient einem Ungläubigen; seine Worte gelten nichts. Ich werde den großen Rat der Oase einberufen lassen, der meine Worte hören und über dich entscheiden wird.«
»Du willst mir nicht glauben, weil ich ein Christ bin, und schenkst dennoch einem Giaur dein Vertrauen. Dieser Mensch ist ein Armenier und also kein Moslem, sondern ein Christ.«
»Er hat beim Propheten geschworen.«
»Das ist eine Niederträchtigkeit und eine Sünde, für die ihn Gott bestrafen wird. Wenn du mich nicht hören willst, so werde ich ihn beim Rate der Oase verklagen.«
»Ein Giaur kann keinen Gläubigen verklagen, und der Rat der Oase könnte ihm nicht das Geringste tun, denn mein Freund besitzt ein Bu-Djeruldu und ist also ein Giölgeda padischahnün, einer, der im Schatten des Großherrn steht.«
»Und ich bin ein Giölgeda senin kyralün, einer, der im Schatten seines Königs wandelt. Auch ich habe ein Bu-Djeruldu; du hast es in deiner Tasche.«
»Es ist in der Sprache der Giaurs geschrieben; ich würde mich verunreinigen, wenn ich es läse. Deine Sache wird noch heute untersucht werden; zunächst aber erhaltet ihr die Bastonnade: du fünfzig, dein Diener sechzig und dein Führer zwanzig Hiebe auf die Fußsohle. Führt sie hinab in den Hof; ich werde nachkommen!«
»Alykomün elleri – nehmt die Hände zurück!« gebot sofort der Unteroffizier.
Die hundert Finger ließen augenblicklich von mir ab.
»Alyn-iz