Also diese freundlich glitzernde, aber trügerische Fläche lag zu unserer Linken, als wir den Weg nach Kris verfolgten, von wo aus eine Furt über den Schott nach Fetnassa auf der gegenüberliegenden Halbinsel des Nifzaua führt. Halef streckte die Hand aus und deutete hinab.
»Siehst du den Schott, Sihdi?«
»Ja.«
»Bist du schon einmal über den Schott geritten?«
»Nein.«
»So danke Allah, denn vielleicht wärest du sonst bereits zu deinen Vätern versammelt! Und wir wollen wirklich hinüber?«
»Allerdings.«
»Bismillah, in Gottes Namen! Mein Freund Sadek wird wohl noch am Leben sein.«
»Wer ist das?«
»Mein Bruder Sadek ist der berühmteste Führer über den Schott Dscherid; er hat noch niemals einen falschen Schritt getan. Er gehört zum Stamme der Merasig und ward geboren von seiner Mutter in Mui Hamed, lebt aber mit seinem Sohne, der ein wackerer Krieger ist, in Kris. Er kennt den Schott wie kein zweiter, und er ist es ganz allein, dem ich dich anvertrauen möchte, Sihdi. Reiten wir direkt nach Kris?«
»Wie weit haben wir noch bis hin?«
»Ein kleines über eine Stunde.«
»So biegen wir jetzt ab gegen West. Wir müssen sehen, ob wir eine Spur der Mörder finden.«
»Du meinst wirklich, daß sie auch nach Kris gegangen sind?«
»Auch sie haben jedenfalls im Freien ihr Lager gehalten und werden bereits vor uns sein, um über den Schott zu gehen.«
Wir verließen den bisherigen Weg und hielten grad nach West. In der Nähe des Pfades fanden wir viele Spuren, welche wir zu durchschneiden hatten; dann aber wurden sie weniger zahlreich und hörten endlich ganz auf. Da schließlich, wo der Reitpfad nach El Hamma führt, erblickte ich die Fährte zweier Pferde im Sande, und nachdem ich sie gehörig geprüft hatte, gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß es die gesuchte sei. Wir folgten ihr bis in die Nähe von Kris, wo sie sich im breiten Wege verlor. Ich hatte also die Gewißheit, daß sich die Mörder hier befanden.
Halef war nachdenklich geworden.
»Sihdi, soll ich dir etwas sagen?« meinte er.
»Sage es!«
»Es ist doch gut, wenn man im Sande lesen kann.«
»Es freut mich, daß du zur Erkenntnis kommst. Doch da ist Kris. Wo ist die Wohnung deines Freundes Sadek?«
»Folge mir!«
Er ritt um den Ort, der aus einigen unter Palmen liegenden Zelten und Hütten bestand, herum bis zu einer Gruppe von Mandelbäumen, in deren Schutze eine breite, niedere Hütte lag, aus der bei unserem Anblick ein Araber trat und meinem kleinen Halef freudig entgegeneilte.
»Sadek, mein Bruder, du Liebling des Kalifen!«
»Halef, mein Freund, du Gesegneter des Propheten!«
Sie lagen einander in den Armen und herzten sich wie ein Liebespaar.
Dann aber wandte sich der Araber zu mir:
»Verzeihe, daß ich dich vergaß! Tretet ein in mein Haus; es ist das eurige!«
Wir folgten seinem Wunsche. Er war allein und präsentierte uns allerhand Erfrischungen, denen wir fleißig zusprachen. Jetzt glaubte Halef die Zeit gekommen, mich seinem Freunde vorzustellen.
»Das ist Kara Ben Nemsi, ein großer Taleb aus dem Abendlande, der mit den Vögeln redet und im Sande lesen kann. Wir haben schon viele große Taten vollbracht; ich bin sein Freund und Diener und soll ihn zum wahren Glauben bekehren.«
Der brave Mensch hatte mich einmal nach meinem Namen gefragt und wirklich das Wort Karl im Gedächtnisse behalten. Da er es aber nicht auszusprechen vermochte, so machte er rasch entschlossen ein Kara daraus und setzte Ben Nemsi, Nachkomme der Deutschen, hinzu. Wo ich mit den Vögeln geredet hatte, konnte ich mich leider nicht entsinnen; jedenfalls sollte mich diese Behauptung ebenbürtig an die Seite des weisen Salomo stellen, der ja auch die Gabe gehabt haben soll, mit den Tieren zu sprechen. Auch von den großen Taten, die wir vollbracht haben sollten, wußte ich weiter nichts, als daß ich einmal im Gestrüppe hängen geblieben und dabei gemächlich von meinem kleinen Berbergaule gerutscht war, der diese Gelegenheit dann benutzte, einmal mit mir Haschens zu spielen. Der Glanzpunkt der Halef‘schen Diplomatik war nun allerdings die Behauptung, daß ich mich von ihm bekehren lassen wolle. Er verdiente dafür eine Zurechtweisung; daher fragte ich Sadek:
»Kennst du den ganzen Namen deines Freundes Halef?«
»Ja.«
»Wie lautet er?«
»Er lautet Hadschi Halef Omar.«
»Das ist nicht genug. Er lautet Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Du hörst also, daß er zu einer frommen, verdienstvollen Familie gehört, deren Glieder alle Hadschi waren, obgleich – — —«
»Sihdi,« unterbrach mich Halef mit einer ganz unbeschreiblichen Pantomime des Schreckens, »sprich nicht von den Verdiensten deines Dieners! Du weißt, daß ich dir stets gern gehorchen werde.«
»Ich hoffe es, Halef. Du sollst nicht von dir und mir sprechen; frage lieber deinen Freund Sadek, wo sich sein Sohn befindet, von dem du mir gesagt hast!«
»Hat er wirklich von ihm gesprochen, Effendi?« fragte der Araber. »Allah segne dich, Halef, daß du derer gedenkst, die dich lieben! Omar Ibn Sadek, mein Sohn, ist über den Schott nach Seftimi gegangen und wird noch heute wiederkehren.«
»Auch wir wollen über den Schott, und du sollst uns führen,« meinte Halef.
»Ihr? Wann?«
»Noch heute.«
»Wohin, Sihdi?«
»Nach Fetnassa. Wie ist der Weg hinüber?«
»Gefährlich, sehr gefährlich. Es gibt nur zwei wirklich sichere Wege hinüber an das jenseitige Ufer, nämlich El Toserija zwischen Toser und Fetnassa und Es Suida zwischen Nefta und Sarsin. Der Weg von hier nach Fetnassa aber ist der allerschlimmste, und nur zwei gibt es, die ihn genau kennen; das bin ich und Arfan Rakedihm hier in Kris.«
»Kennt dein Sohn den Weg nicht auch?«
»Ja, aber allein ist er ihn noch nicht gegangen. Desto besser aber kennt er die Strecke nach Seftimi.«
»Diese fällt wohl einige Zeit lang zusammen mit der nach Fetnassa.«
»Ueber zwei Dritteil, Sihdi.«
»Wenn wir am Mittag aufbrechen, bis wann sind wir in Fetnassa?«
»Vor Anbruch des Morgens, wenn deine Tiere gut sind.«
»Du gehst auch während der Nacht über den Schott?«
»Wenn der Mond leuchtet, ja. Ist es aber dunkel, so übernachtet man auf dem Schott, und zwar da, wo das Salz so dick ist, daß es das Lager tragen kann.«
»Willst du uns führen?«
»Ja, Effendi.«
»So laß uns zunächst den Schott besehen!«
»Du hast noch keinen Schott überschritten?«
»Nein.«
»So komm! Du sollst den Sumpf des Todes sehen, den Ort des Verderbens, das Meer des Schweigens, über welches ich dich hinwegführen werde mit sicherem Schritte.«
Wir verließen die Hütte und wandten uns nach Osten. Nachdem wir einen breiten, sumpfigen Rand überschritten hatten, gelangten wir an das eigentliche Ufer des Schott, dessen Wasser vor der Salzkruste, die es deckte, nicht zu sehen war. Ich stach mit meinem Messer hindurch