Vom Leuthaus hörte man den Lärm der lustigen Kumpanei.
Marimpfel drehte den Kopf nicht. Auf der Straße brachte er seinen Gaul in jagenden Trab. Der Schimmel schnaufte wohl, blieb aber hinter dem Roß des Hofmanns nicht zurück.
Poch plötzlich, als der Wald begann und das dumpfe Rauschen des nahen Windbaches den Hufschlag der Pferde übertönte, blieb der Schimmel stehen.
Lachend fragte Marimpfel: »So, Bauer? Mußt deinen Heiter schon rasten lassen?«
»Das nit.« Mit ernsten Augen sah der Bauer den Spießknecht an. »Der Schimmel ist stehengeblieben, weil er das so gewöhnt ist, daß ich halten und ein lützel lusen muß, sooft ich da vorbeikomm, wo der Windbach rauscht. Und wo ich. an einen denken muß, der Hartneid Aschacher heißt.«
Der Hofmann gab keine Antwort und guckte in den Wald hinein.
Mit schwerer Hand über die Mähne des Pferdes streichend, sagte der Bauer: »Komm, Schimmel! Heut ist nit Lusenszeit, heut rufen die Herren.«
Die beiden Pferde trabten. Und immer war cler Schimmel um eine feste Nase voraus. Das Roß des Hofmanns fing zu galoppieren an, und seine Flanken pumpten.
»Gotts Teufel, Bauer«, knirschte Marimpfel, »tu langsamer ein lützel!«
»Gern, Hofmann!« Runotter straffte den Zaum.
Nun trabten die beiden Seite an Seite. Und als sie hinauskamen auf die offenen, von der Sonne überglänzten Wiesen flössen die Schatten der zwei Reiter zu einem schwarzen, wunderlichen Ungetüm zusammen, das acht kurze, wirbelnde Beine, einen grotesk veränderlichen Drachenleib und zwei nickende Geierköpfe hatte.
3
In dem kleinen, schmucklos eingerichteten Gemach, das hinter des Amtmanns großer Schreibstube gegen den Hofraum! lag, saßen Herr Someiner und Lampert am Tisch, der bedeckt war mit aufgeschlagenen Büchern.
Der Amtmann führte den Sohn, der seinen Dienst als Aktuarius beginnen sollte, in das verwickelte Wirtschaftswesen des kleinen Reiches ein und hatte dabei viel mehr von böser Schuldenlast und Rechtsbedrückung zu reden als von friedlichen Lebensgütern und erfreulichem Besitz. Mißwirtschaft im Innern und ruhelose Fehden nach außen hatten den Landbestand des Stiftes beschnitten, die Einnahmen geschmälert, den Verbrauch gesteigert, die Schulden vermehrt. Es war eine böse Zeit, ein hartes Leben. Nie war Friede an den Grenzen. Nahm sich das Stift der Seinen kräftig an, so gab es blutige Händel, war es geduldig und nachgiebig, so stellte es sich der Unbill und Willkür auf allen Seiten bloß.
Die Brüder vom heiligen Zeno zu Reichenhall versäumten keine Bedrängnis Berchtesgadens und schluckten bald einen Grenzwald und Bauernhof, bald einen strittigen Jagdberg. Und Salzburg, das auf Betreiben der bayrischen Herzöge das Gadnische Land nur widerwillig aus langer Pfandschaft entlassen hatte, erschwerte ihm eifersüchtig den wachsenden Salzbau und wartete auf eine günstige Stunde, um als fetter Wolf das magere Lamm zu verspeisen.
»Allweil sind wir wie ein gehetztes Schaf. Wehrt sich das arme Vieh mit dem Maul, so wird ihm der Schwanz beschnitten. Zieht es den Schwanz ein, reißt man ihm die Woll von den Lusern. Und wo wir uns hinwenden um Beistand, werden die hilfreichen Händ zu Klauen, die man fürchten muß.«
Es war die Politik der bayrischen Fürsten, Berchtesgaden nicht an Salzburg und nicht an Österreich fallen zu lassen. Und Politik der österreichischen Herzöge war es, den Hinfall Berchtesgadens an Bayern zu verhindern. Solchem Schutz zu Danke hatte das Stift die Fürsten von Österreich als Erbvögte und Schirmherren Berchtesgadens anerkannt. Doch diese Erbvögte wurden so gnädig, daß Berchtesgaden wieder Schutz bei den Herren von Bayern suchen mußte, die es seine Stifter und Patrone nannte. Auf der Kanzel des Gadnischen Münsters wurde vor der Predigt für die österreichischen Erbvögte und wider ungenannte Feinde, nach der Predigt wider ungenannte Feinde und für die bayrischen Patrone gebetet.
»Und glaub mir’s, Bub, wir wären lang schon an Landshut, Ingolstadt oder München gefallen, wenn nicht die bayrische Faust fünf Finger hätt, die sich feindselig spreizen, statt sie einträchtig miteinander greifen. Seit sie das Löwenfell des großen Ludwig in Lappen gerissen haben, macht der ewige Vetternzwist die bayrischen Herren schwächer mit jedem Tag. Ein Glück für uns, daß es in Österreich drüben nicht besser ist. Und so ist’s überall im Reich, Kein Wachsen nimmer, überall das Auseinanderfalten in Neid und Zwist. Was hab ich für böse Zeiten mitgemacht! Drei Könige im deutschen Land! Und in der Kirch drei Päpst!«
»Gott sei Dank, Vater, das ist vergangenes Elend! Und König Sigismund ist ein Herr, von dem die Deutschen ein Aufleben hoffen dürfen.«
»Wer glaubt, wird selig. In dir ist Hoffnung, weil du jung bist, in mir ist Mißtrauen, weil ich Menschen und Leben kenn. Im Reich gibt’s keine Auferstehung nimmer. Der große deutsche Traum? Der liegt noch tiefer versunken als bloß im Untersberg. Die zu Rom haben’s durchgesetzt. An der goldenen Bull ist zu Scherben worden, was deutsche Einheit heißt. Von den Fürsten schmort sich jeder den eigenen Gockel. Und der deutsche König ist ein armer Mann, fristet mühsam sein Leben, reitet im Land herum und brandschatzt eine Stadt nach der andern. Aber was tat mich die Wirrnis kümmern im Reich da draußen! Hätten wir nur in unsrem Bergwinkel ein leidliches Leben!«
»Vater!« Lamperts junge Augen blickten ernst. »Das ist von den Elendsgründen einer, daß so viel tausend allweil sagen: Was kümmert mich die Wirrnis im Reich! Tät jeder die Not des Reiches spüren wie eine Not des eignen Lebens, so wär bald alles anders.«
Herr Someiner zog zuerst erstaunt die Brauen in die Höhe, dann lächelte er nachsichtig. »Jeder Redliche spürt die Not des Gemeinwesens und möchte helfen. Aber jeder spürt auch die Übermacht der Widerstand und ermüdet dran.«
»Widerstände sind da, um überwunden zu werden. Streit um ein nichtsnutzig Ding ist ein Verbrechen, aber Kampf um ein herrlich Gut ist das Beste des Lebens.«
Wieder lächelte Herr Someiner. »Wart erst, bis du im Amt bist! Und bis die Widerständ dich seufzen machen, sooft du ein Gutes willst! Wie Mauern stehen sie da. Jetzt renn mit dem Schädel hin!«
»Vater?« fragte Lampert, sich erregend. »Ist ein Kriegsheer von hunderttausend Mann nicht ein Widerstand? Und kein Jahr ist’s her, da hat ein Häufl schlechtbewaffneter böhmischer Bauren die mächtige Ritterschar vor sich hergejagt wie einen Hasenschwarm. Und weißt du, von wo diesen Bauren solche Kraft gekommen ist? Weil in ihren Reihen ein Gedanke war, eine Hoffnung und ein Glaube. Vater, ich hab viel gesehen in Prag und viel gelernt. Auf dem Scheiterhaufen zu Konstanz hat man bloß einen Leib zu Rauch gemacht. Aber des Hussen Geist lebt weiter in seinem Volk und wirkt ein Großes. Wir Deutsche müssen lernen von den Böhmen.«
Vor Schreck über diese Worte hatte der Amtmann ein fahles Gesicht bekommen. Er machte eine wehrende Bewegung, die den Sohn verstummen ließ. Nun war Stille in der kleinen Kammer. Lange blieb Herr Someiner unbeweglich. Dann öffnete er die Tür der Schreibstube und sah hinaus. Der Schreiber Pießböcker war schon zur Mahlzeit fort. Aufatmend verriegelte der Amtmann draußen die Flurtüre und kam mit brennendem Gesicht zurück. »Lampert?« Seine zitternde Hand faßte den Sohn an der Schulter: »Bist du ketzerisch?«
Ruhig sah Lampert in die angstvollen Augen des Vaters. »Nein! Ich bin gutgläubig. Bei meiner Mutter Leben, das ist wahr!«
»Dem Himmel sei Dank!« unterbrach ihn der Vater. »Einen schönen Schreck hast du mir eingejagt.« Herr Someiner rüttelte den Sohn an der Schulter. »Sei fürsichtig! Verdächt ist eine Maus, die zum stoßenden Stier wird, eh man sich umschaut. Zu Regensburg haben sie heuer den Kaplan Grünsleder, bloß weil er den Hus verteidigt hat, auf dem Markt verbronnen. Überall ist das ketzerische Elend los. Bei uns hat’s auch schon angefangen. In der Woch, eh du heimgekommen, hat man einen Salzkärrner gefaßt. Der ist ein Bruder vom freien Geist gewesen und hat eine höllische Lehr ins Volk geredet: Er wär durch die Gnad des Himmels völlig eins mit Gott geworden und tät nimmer sündigen können, und wenn der Mensch bloß allweil lebt nach seiner Natur Geheiß, so dürft er sich alles erlauben, und es gab für ihn kein kirchliches und kein menschliches