Hinter dem Haus des Leutgeb lenkte Marimpfel von der Straße weg und ritt zu einem hohen Hag hinauf, der ein auf grünem Hügel liegendes Gehöft umschloß. Der Reiter stieß mit dem Fuß an das versperrte Hagtor. »Auf! In des Herrn Nam!«
Holzschuhe klapperten. Ein junger Knecht öffnete das Tor, machte scheue Augen und sagte rasch: »Der Richtmann ist nit daheim.«
»Wo ist er?«
»Im Holz. Bis zur Mahlstund kommt er.«
»Solang kann ich nit warten. Spring ins Holz hin aus und hol den Richtmann! Ich tu derweil einen Trank beim Leutgeb.« Der Spießknecht ritt zur Straße hinunter.
Zwischen den Stauden und Bäumen, die den Weg in der Richtung gegen Berchtesgaden geleiteten, sah er ein Leuchten bunter Farben und blanker Waffen. Wer kam da? Keiner von den Hofleuten des Gadens. Die trugen sich anders.
Der gesprenkelte Stieglitz, der da zwischen den Stauden einherschritt, schleppte sich mit schwerer Last. War also wohl ein fahrender Kriegsknecht, der seinen Dienst verlassen hatte und zu einem neuen Soldherrn wanderte. Nun bog er auf die freie Straße heraus, ein langes, braunbärtiges Mannsbild in der bunten Tracht der städtischen Soldknechte, Wams und Hosen bunt gezwickelt, wie es bei den Kriegsleuten in der großen Welt da draußen neue Mode wurde. Er ging barhäuptig, das braune Langhaar gescheitelt. Den flachen, mit einer gelben Kräuselfeder umwundenen Hut hatte er an einer Kordel auf der Brust hängen, neben dem Knauf des hochgebundenen Zweihänders. Den Dolch und das Kurzeisen trug er am Gürtelgehenk. An dem langen Spieß, den er geschultert hatte, schleppte er eine Last, die man auf einen Zentner und darüber schätzen konnte: den Eisenhut, die Brustplatten und Armschienen, den braunen Gugelmantel und dazu das dicke, stamm gedrosselte Lederbündel seiner Kriegsmannshabe. Einen schwächlichen Menschen hätte solche Last erdrückt. Doch dieser lange Kerl hatte trotz der heißen Sommersonne keinen Tropfen Schweiß auf der sonnverbrannten Stirn und ging unter dem schweren Gewicht mit so federndem Schritt, als trüge er Schwanenflaum auf seinem Rücken. Und Augen hatte er, die heiter in den schönen Morgen schauten. Sein von Narben zerfetztes Gesicht erzählte, wie oft dieser Fröhliche schon unter dem Streich des Todes gestanden. Die jüngste seiner Narben, noch dunkel gerötet, ging von der Stirn über das rechte Auge mit geradem Strich herunter bis zum Kinn und wäre schrecklich anzusehen gewesen, wenn sie in diesem gesunden und vergnügten Mannsgesichte nicht eine Art von groteskem Humor bekommen hätte.
Als dieser fahrende Söldner den berittenen Hofmann kommen sah, blieb er breitspurig stehen und fing zu lachen an.
Auch Marimpfel lachte. »Wenn eins den Wolfen nennt, kommt er gerennt! Malimmes! Kein halbes Stündl ist’s her, da hab ich mit dem Mareiner geredet von dir. Und jetzt bist da. Herzbruder! Gottes Gruß im Land!«
Malimmes streckte dem Reiter die Hand hinauf. »Gott grüß dich, Bruder! Ich hab dich schon gesucht im Gaden draußt. Hätt gern zum Einstand ein Häflein mit dir gelupft. Und hab gehört, du wärst in der Ramsau. Bist bei der Mutter gewesen? Wie geht’s dem guten Weibl?«
Marimpfel erkannte in den Augen des Bruders die ehrliche Sehnsucht, wurde ein bißchen verlegen und sagte: »Es geht der Mutter nit schlecht. Allweil schnauft sie noch.«
Das Gesicht des andern strahlte. »Gute Botschaft! Will dem lieben Herrgott danken dafür. Am Sonntag werf ich dem Meßpfaffen einen Goldpfennig in den Bettelsack. Ich hab’s. Einen Winter lang kann ich mich auf die Faulhaut legen und kann der Mutter ein gutes Leben machen. Komm, Bruder, kehr um! Laß uns selbander heim!«
»Ich kann nit, hab eilfertigen Herrendienst. Aber auf ein Ständerlein beim Leutgeb hab ich Zeit.«
»So komm! Ein Bruder ist auch ein kostbar Ding. Dreh dich, Schätzlein, dreh dich!« Malimmes faßte lachend den Zügel und wandte den Gaul des Bruders. »Auftragen laß ich dir, als wärst ein römischer Delegat. Friß und sauf und tu mich anlachen! Not und Hader sind draußen in der Welt. Daheim ist daheim. Und was ich anguck, ist liebreich und friedsam.« Er schrie einen Jauchzer in die sonnige Luft hinaus, so gellend, daß Marimpfels Gaul einen scheuenden Sprung machte.
Auf dem Wege zum nahen Leuthaus schwatzte Malimmes in seiner frohen Laune immerzu. Marimpfel war nachdenklich geworden. Und plötzlich, den Bruder von der Seite musternd, fragte er: »Einen Winter lang willst feiern? Bist in Ehren ledig worden von Herr und Dienst? Oder mußt dich verstecken? Hat’s eine Sauerei gegeben?«
Malimmes sah ernst an dem Reiter hinauf. »Da wär alleweil ein andrer die Sau gewesen.«
»Meine Frag war nit schiech gemeint.«
»Muß ich halt dumm gehört haben.« Malimmes lachte schon wieder. »Ich will einmal für ein Zeitl mein eigner Herr sein. Viel Grund sind gewesen, daß ich gegangen bin. Der letzte war, daß mich das Heimweh angefallen hat, derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin. Wegen dem da!« Er deutete auf den frischen Narbenriß, der wie ein roter Feuerstrich in dem braunen Gesichte glomm.
»Ein böser Streich! Bruder, da mußt dich schlecht gedeckt haben?«
Lustig zwinkerte Malimmes mit den Augen und schüttelte den Kopf. »Es hätt ein feiner Hieb sein können! Hätt aus meinem Hirndach schier zwei Äpfelschnitten gemacht. Aber grad, wie der Hieb schön kunstvoll ansetzt, hat der ander, ein Pegnitzer Heckenreiter, meinen Spieß in der Seel gehabt. Seine Faust hat nur noch ein lützel rutschen können. Für sechs Wochen hat’s bei mir noch ausgegeben. Aber der ander ist nimmer aufgestanden. Ist ein braver Kerl gewesen, mit dem ich oft gebechert und geknöchelt hab. Hat mir’s nit schlecht vermeint, hat halt auch nur seinem Fähnl die Treu gehalten. Wegen sieben Ballen flandrisch Tuch, die sein Edelherr gekrapst hat.« Malimmes lachte nimmer.
Verwundert guckte Marimpfel auf den Bruder hinunter.
»Kriegsmann sein, war ein gutes Handwerk!« sagte Malimmes. Er hob den belasteten Spieß auf die andre Schulter. Die Eisenstücke klirrten. »Man sollt nur allweil wissen, daß es hergeht um eine Sach, die nötig und ehrlich ist. Da war das Dreinhauen eine Freud. Aber die meisten Händel müßten nit sein. Und geht’s nit um einen städtischen Pfeffersack, so geht’s um einen herrischen Hennendreck. Mich freut’s schon lang nimmer. Im Ausland solden, wie’s andere tun, das mag ich nit. Ich mag nit welschen, hab das Deutsche lieb. Aber bei uns im Reich, da ist’s ein Elend. Der König, sagen die Leut, wär bloß ein Schatten noch. Die Fürsten reißen ihm den letzten Fetzen aus dem Mantel. Von denen trachtet ein jeder nach dem wärmsten Hosenfleck für seinen eignen Hintern. Jeder ist seines Nachbarn Feind und Neider. Daß man zusammengehört im Reich, das weiß man nimmer. Ein Grausen, wo man hinschaut! Hab mir’s oft schon denken müssen. Und jetzt, derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin und es hat der Feldscher so grob geschustert an meinem Hirnkastl, da hat mich allweil gedürstet nach einer Hand, die linder nähen tat.« Nun lachte Malimmes wieder. »Da ist mir die Mutter nimmer aus dem Sinn gefallen. Und jetzt bin ich daheim. Und will meinen lustigen Fried haben ein Zeitl.«
Marimpfel gab dem Bruder einen Puff. »Ein Kerl wie du! Wirst doch kein Sinniervogel sein! Elend im Reich? Was geht denn uns das an? Wie mehrer das Gold, so fester der Sold, wie feiner der Brei, so besser die Treu, wie größer die Ehr, so blanker die Wehr! Die als Kriegsleut anders denken, sind Rindviecher.«
Malimmes lachte. »So bin ich halt eins.«
»Geh, Bruder, sei ein lützel stolzer! Aber ich weiß schon, wo’s fehlt bei dir. Als Stadtknecht bis du gut bei Gold und Brei gewesen, aber mager bei der Ehr. So was wurmt einen festen Kerl, der aufwärts möcht. Tu den Kopf heben! Ich schaff dir einen fürnehmen Herren. Hofmann sein bei guter Farb, das ist allweil das Beste. Da kannst herunterspeien auf die, wo minder sind.«
Die beiden lenkten von der Straße in den Hof des Leuthauses ein. Und wieder hob Malimmes das braune, von dem feurigen Strich durchsägte Gesicht und sah