Der Haziendero hatte während des Verbindens nur Zeichen des Schmerzes von sich gegeben, aber kein Wort gesprochen. Jetzt lag er ruhig atmend da. Die beiden Unglücksgefährten glaubten, daß er schlafe, und sprachen daher leise miteinander.
»Denkst du, daß er sterben wird?« fragte Marie. – »Das steht in Gottes Hand. Jammerschade wäre es.« – »Ja, der gute, liebe Señor!« schluchzte sie. – »Oh, nicht nur, weil er so lieb und gut ist, sondern auch aus einem ganz anderen Grund.« – »Aus welchem denn?«
Der Vaquero brannte vor Begierde, seine frohe Botschaft an den Mann zu bringen, aber er gab, wie diese Leute zu tun pflegen, seine Arznei in kleinsten Dosen.
»Es gibt Leute, die uns wohl befreien würden, wenn es uns gelänge, uns einige Zeit zu halten.« – »Wirklich? Glaubst du das? Wer sollte das sein?« – »Rate einmal!« – »Das könnten nur solche sein, denen Cortejo ein Feind ist. Etwa die Franzosen?« – »Nein.« – »Die Österreicher?« – »Nein.« – »Juarez?« – »Dieser eher. Wenn er wüßte, was hier vorgeht, käme er sicherlich. Aber es gibt noch ganz andere Leute hier. Da weiß ich zum Beispiel einen Señor Sternau …«
Der Vaquero hielt mit Vorbedacht inne und wartete.
»Sternau?« fragte Marie rasch. »Wer ist das?« – »Ein Mann, den ich in Fort Guadeloupe getroffen habe. Er ist Arzt und zugleich ein außerordentlicher Jäger und Krieger.« – »Mein Gott, da muß ich an jenen großen, deutschen Arzt denken, der damals auf der Hazienda so vieles erlebt hatte. Er hieß auch Sternau. Also der, den du meinst, würde kommen, um uns zu retten?« – »Ganz sicher.« – »Warum? Kennt er uns denn?« – »Freilich, du sagtest ja soeben selbst, daß jener Arzt Sternau hiergewesen sei.« – »Gewiß. Aber das ist doch nicht derjenige, den du meinst. Der ist tot!« – »Weißt du das genau?« – »Ja, denn lebte er noch, so hätte man längst etwas von ihm gehört.« – »So! Hm! Ferner war da auf dem Fort ein gewisser Señor Mariano.« – »Mariano?« fragte die Alte schnell. – »Ja, ferner ein gewisser Señor Helmers mit seinem Bruder …« – »Helmers? Geh, du schwärmst.« – »In meinen alten Tagen etwa? Es war ferner da ein gewisser Señor Büffelstirn, ein gewisser Señor Bärenherz, ferner ein …«
Da ergriff Marie die Hand des Vaqueros und sagte:
»Höre, willst du zu allem auch noch Spott mit mir treiben?«
Er aber hielt ihre Hand fest und fuhr fort:
»Ferner war da eine gewisse Señorita Emma Arbellez …«
Nun entriß Marie ihm mit Gewalt ihre Hände und zürnte:
»Schweig! Unser Unglück ist groß genug. Deine Phantasie ist gar nicht imstande, es durch trügerische Bilder zu mildern.«
Er aber fuhr unbeirrt fort:
»Ferner sah ich da einen gewissen Grafen Ferdinando de Rodriganda, von dem man gesagt hat, daß er gestorben sei; er aber lebt noch und kehrt nach Hause zurück, um seine alte, treue Marie Hermoyes zu belohnen.«
Das war der Alten denn doch zu viel.
»Ich bitte dich um Gottes Barmherzigkeit willen«, bat sie, »mir ehrlich zu gestehen, daß du dies alles nur sagst um mich hier zu trösten!« – »Fällt mir gar nicht ein!« – »Nicht trösten? Du willst dich also bloß lustig machen?« – »Fällt mir noch viel weniger ein!« – »Aber, mein Gott, wahr kann es doch nicht sein!« – »Warum nicht?«
Da faßte Marie dieses Mal beide Hände des Vaqueros, hielt sie fest und sagte:
»Höre, ich fordere dich auf, mir bei der heiligen Madonna zuzuschwören, daß du auf alle Fragen, die ich dir jetzt vorlegen werde, die Wahrheit antworten wirst.« – »Gut, ich schwöre es!« – »Nun, so sage mir, war Graf Ferdinando wirklich in Fort Guadeloupe?« – »Ja.« – »Es ist wirklich wahr, gewißlich wahr?« – »Bei Gott und allen Heiligen, es ist wahr!«
Da stieß die alte, treue Seele trotz ihrer gegenwärtigen, unglücklichen Lage einen Schrei aus, der fast einem Jauchzen glich.
»Er ist da! Er ist nicht tot!« rief sie. »Und wer war noch dort?« – »Señor Mariano …« – »Der echte Graf Alfonzo de Rodriganda!« fügte sie hinzu. – »Señorita Emma …« – »Die verloren geglaubte Tochter unseres guten Herrn! Oh, hätte er doch seine Besinnung, um es zu vernehmen. Weiter, weiter! Wer war noch da?« – »Die Señores Helmers …« – »Der Bräutigam von Señorita Emma und sein Bruder!« – »Büffelstirn und Bärenherz …« – »Die mich aus Mexiko nach der Hazienda retteten!« – »Und natürlich Sternau, der Fürst des Felsens.« – »Du hast sie gesehen?« – »Ja, alle zusammen.«
Die alte Marie schwieg; sie hätte gern gesprochen, ja, laut geschrien und gejubelt, aber sie brachte dies nicht fertig. Sie saß sprachlos da und weinte leise vor sich hin. Was sie gehört hatte, war zu groß für sie, stürmte zu mächtig auf sie ein. Sie fühlte sich förmlich erdrückt unter der Masse des Glücks, vor welcher der Gedanke an ihre gegenwärtige Lage zurücktreten mußte.
Und nun, während sie so weinte, begann der Vaquero seine so folgenschwere Unterredung mit Josefa zu erzählen. Er sprach in halblautem Ton, und Marie lauschte jedem seiner Worte.
Da erklang wie der Ton eines unsichtbaren Geistes eine leise Stimme neben ihnen:
»Sorgt Euch nicht. Ich sehe Euch frei. Die Guten siegen, sie haben dann noch eine schwere Prüfung, aber der Vater im Himmel führt sie zum Ziel.«
Der verwundete Haziendero hatte diese Worte gesprochen.
»Señor Pedro!« rief Marie
Er antwortete nicht.
»Señor Arbellez!«
Auch jetzt schwieg er.
Das Licht war niedergebrannt, darum konnten sie den Kranken nicht sehen.
»Hat er im Wachen gesprochen?« fragte sie leise. – »Dann wäre er ja sofort wieder eingeschlafen«, meinte der Vaquero. – »So hat er im Traum geredet.« – »Und der Traum hat ihm die Zukunft gezeigt.« – »Oder es ist noch anders«, sagte Marie zagend. »Hast du nicht schon einmal gehört, daß sich vor dem Auge mancher Sterbenden die Zukunft öffnet? Sie sagen dann Dinge vorher, die anderen verborgen sind.« – »So meinst du, daß unser Señor im Sterben liegt? Nein, das glaube ich nicht, der Tod ist anders. Wir haben ihn verbunden; das hat ihm wohlgetan. Er ist erwacht und hat meine Erzählung gehört, aber so, wie man etwas halb im Traum hört, so hat er auch gesprochen, und dann ist er sofort wieder eingeschlummert.«
Dieser Ansicht schloß sich schließlich auch Marie Hermoyes an.
7. Kapitel
Unterdessen hatte der eine der Mexikaner, die den Vaquero nach dem Keller gebracht hatten, eine Magd hinauf zu Josefa geschickt. Diese fand das Mädchen in der oben bereits erwähnten Stellung. Sie saß auf dem Stuhl, hatte die Stirn auf der Kante des Tisches liegen und hustete in einzelnen, schwachen Stößen Blut aus dem Mund.
»Um aller Heiligen willen, was ist mit Euch, Señorita?« fragte die Magd. »Ihr spuckt ja Blut. Seid Ihr verletzt?«
Josefa hob langsam den Kopf in die Höhe und erwiderte leise:
»Ich muß schreiben. Gib Kissen her.« – »Schreiben? Das geht unmöglich.« – »Es muß gehen.« – Aber man sagte mir, Ihr hättet mehrere Rippen gebrochen.« – »Wer sagte es?« – »Einer von den zweien, die dabeigewesen sind.«
Da fuhr sie langsam mit der Hand nach der Brust. Dann entfuhr ein Wehlaut ihrem Mund, ihr Gesicht wurde erst leichenblaß, dann blutrot, und nun hustete sie wieder so, daß das Blut ihr aus dem Mund floß.
»Seht Ihr es, Señorita, daß der Mann recht hatte?« rief das Mädchen. – »Hole ihn!«
Die Magd ging, und bald trat der ein, von dem sie soeben gesprochen hatte.
»Ihr sagtet vorhin, daß ich einige Rippen gebrochen hätte?« fragte ihn Josefa.
Man sah und hörte ihr an, daß ihr jede Silbe schwerfiel.
»Ja,