Ich zog es vor, ihm nicht zu antworten, und kehrte zu dem Fakir zurück, welcher, wie ich sah, die Augen geöffnet hatte und nun den entsetzten Blick auf seine Umgebung richtete. Auch der Dschelabi war erwacht und schaute ebenso erschrocken wie der andere umher. Während die Asaker die Gefangenen und die Kamele nach Beute untersuchten, was ich ihnen nicht verwehren konnte, setzte ich mich neben dem Fakir nieder. Er schloß die Augen, ob aus Schwäche, vor Wut oder Scham, das war mir gleichgültig.
»Sallam, ia Weli el kebir el maschhur – sei gegrüßt, du großer, berühmter Heiliger!« sagte ich. »Ich freue mich, dich hier zu sehen, und hoffe, daß auch du dich glücklich fühlst, mein Angesicht zu schauen.«
»Sei verflucht!« knirschte er halblaut und ohne die Augen zu öffnen.
»Du hast dich versprochen. »Sei gesegnet!« wolltest du sagen, denn ich weiß, wie groß deine Sehnsucht nach mir war. Du sandtest doch sogar Boten aus, welche meinen Aufenthalt erforschen sollten. Leider aber sollte deine Sehnsucht eine mir verderbliche sein, denn du wolltest meine Asaker erschießen und mir die Zunge und die Hände abschneiden lassen, um mich dann an den grausamsten Negerfürsten zu verkaufen.«
»Er ist allwissend!« entfuhr es ihm, indem er die Augen öffnete und diesen Ausruf gegen seinen Gefährten richtete. Der Blick des letzteren ruhte groß, offen und mit dem Ausdrucke tödlichen Hasses auf mir. Ich nickte ihm freundlich zu und sagte:
»Du hattest vollkommen recht, als du mir sagtest, daß ich dich bald wiedersehen und dich dann kennen lernen würde. Wir sind, obgleich du nach EI Fascher wolltest, schon nach so kurzer Zeit wieder bei einander. Ich bin ganz entzückt darüber, denn es ist der Beweis, daß ich dich ganz richtig beurteilt habe. Du bist es, der den Gedanken, mir die Zunge und die Hände zu nehmen, erfunden hat, und du täuschest dich nicht, wenn du die frohe Ueberzeugung hegst, daß ich dir meinen Dank für diese Erfindung nicht vorenthalten werde.«
»Ich verstehe dich nicht!« antwortete er. »Warum bin ich gebunden? Warum habt ihr uns überfallen? Was könnt ihr uns beweisen? Ich verlange, losgebunden zu werden.«
»Diesen Wunsch wird man dir auf das bereitwilligste erfüllen, und zwar in dem Augenblicke, in welchem man dich dem Henker übergiebt.«
Er machte eine hastige Bewegung des Widerspruches und öffnete die Lippen zu einer Entgegnung; ich ließ es aber nicht zu derselben kommen, indem ich schnell fortfuhr.
»Ereifere dich nicht, und gieb dir keine Mühe! Du bist viel zu dumm, mich zu täuschen. Ein Mensch wie du sollte daheim bleiben und ja nichts anderes thun als seine eigene Albernheit beweinen. Du warst, als du heute zu uns kamst, noch nicht vom Kamele gestiegen, so wußte ich schon, weß Geistes Kind du bist. Kennst du die Fabel von der Bakkal[6], welche den Bu husain[7] überlisten wollte?«
»Was geht mich diese Fabel an, welche jedem Kinde bekannt ist!« fuhr er mich an.
»Sehr viel, denn du gleichst dieser Bakka, indem du auf den geradezu verrückten Gedanken gekommen bist, mich übertölpeln zu wollen. Das würde selbst einem tausendmal klügern Menschen nicht gelungen sein. Wie du, dessen Kopf nicht eine Spur von Gehirn enthält, annehmen konntest, daß es dir gelingen werde, mich zu täuschen, das kann ich mir nur durch deine unendliche Albernheit erklären. Du und einen deutschen Effendi überlisten! Das ist ganz genau so wie in der Fabel von der Bakka, welche sich an den Bu husain wagte.«
Es war nicht etwa Ueberhebung von mir, daß ich den Mund so voll nahm; eine weniger hochmütige Ausdrucksweise hätte ihren Zweck nicht erreicht. Der Erfolg blieb nicht aus, denn er antwortete im zornigsten Tone.
»Wie kann ein Giaur sich einem wahren Gläubigen gegenüber in dieser Weise überheben! Wärst du so klug, wie du dich dünkst, so würdest du längst von deinem Irrglauben abgewichen sein. Nimm uns sofort die Fesseln, welche durch deine Hände beschmutzt sind, ab, sonst – —«
»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Wage nicht etwa, mir zu drohen; ich würde dir mit der Peitsche antworten! So hündisches Gezücht bekommt Hiebe, wenn es bellt. Und wenn du deine jetzige Lage so wenig begreifst, daß du es wagst, zu fordern anstatt demütig zu bitten, so werde ich sie dir auf eine Weise zur Erkenntnis bringen, daß dir der Hochmut schnell vergehen soll!«
»Das wirst du unterbleiben lassen, denn ich bin Scheik!« wendete er ein.
»Pah! Ein armseliger Beduinenscheik ist gegen das, was ich bin, gar nichts. Uebrigens hast du behauptet, ein Dschelabi zu sein, und bist nebenbei Mitglied einer Mörderbande; danach wirst du behandelt.«
»Dann wehe dir! Du wärst verloren; mein Stamm würde euch alle vernichten!«
»Was, dieser Mensch ist so frech, dich zu bedrohen, Effendi?« rief Ben Nil aus, welcher hinzugetreten war und die Worte gehört hatte. »Soll ich ihm den losen Mund stopfen?«
»Thue es!«
Er wendete ihn mit dem Fuße um, so daß sein Rücken nach oben zu liegen kam, und zog die Peitsche aus dem Gürtel. Ich wendete mich ab. Mein Auge sträubte sich, Zeuge der Züchtigung zu sein; das Ohr sagte mir aber doch, daß Ben Nil seinem Zorne in einer Weise, welche nichts zu wünschen übrig ließ, Luft machte. Indessen erteilte ich den andern die Weisung, die Gefangenen und deren Tiere nach dem Brunnen zu schaffen. Als dies geschehen war, wurden auch unsere Kamele nach demselben gebracht.
Er lag an einer Stelle, von welcher man, um Platz zum Lagern zu bekommen, die Bäume und das Gesträuch entfernt hatte; es gab da Raum für noch mehr Leute, als wir nun zusammen waren; auch Wasser war genug vorhanden.
Meine Asaker hatten sehr gute Beute gemacht und befanden sich infolgedessen in ausgezeichneter Stimmung. Es kamen auf einen jeden die Kamele, Waffen und sonstigen Habseligkeiten von wenigstens drei Gefangenen. Ich beanspruchte natürlich nichts, und Ben Nil folgte, obgleich er ein armer Teufel war, diesem Beispiele. Als ich ihn nach der Ursache dieses Verzichtens fragte, antwortete er:
»Warum nimmst du selbst nichts, Effendi? Ist es nur aus Güte gegen die Asaker, damit diese deinen Anteil mit bekommen? Oder ist es Stolz? Ich weiß von dir, daß die Krieger des Abendlandes keine Beute machen. Auch ich verschmähe es, Gegenstände zu besitzen, welche sich in den schmutzigen Händen dieser Hundesöhne befunden haben.«
Das war eine sehr brave Gesinnung von ihm, und er verdiente es, daß ich seine mir erwiesene Anhänglichkeit durch ein beinahe freundschaftliches Verhalten erwiderte.
Es war geboten, dafür zu sorgen, daß die Gefangenen uns gesichert blieben; sie wurden in die Mitte genommen und sehr scharf im Auge behalten. Für die Nacht waren Wachen vorgesehen. Jetzt war es noch Tag, doch durften wir den Anbruch des Abends in einer halben Stunde erwarten. Ich hielt es für geraten, noch vor dem Beginne der Finsternis die Umgebung des Brunnens abzuschreiten. Es war dies eine Vorsichtsmaßregel, deren Ausführung ich bei meinen Reisen nur in Fällen, in denen ich mich ganz sicher weiß, zu versäumen pflege. Darum schritt ich, um nach etwaigen Spuren zu suchen und mich überhaupt zu orientieren, den Umkreis langsam ab. Zugleich hatte ich einige Leute in den Wald nach Brennholz geschickt. Da die Zahl der Gefangenen dreimal größer als diejenige der Asaker war, mußten wir, um sie bewachen zu können, nicht ein, sondern mehrere Feuer haben. Material zu denselben wurde schnell und genug zusammengetragen. Ich kehrte von meinem Gange zurück, ohne etwas Verdächtiges gefunden zu haben. Dafür aber brachte mir einer der Holzleser zwei Gegenstände, welche unter einem Baume gelegen und notwendigerweise seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
»Siehe doch einmal diese beiden Knochen an, Effendi,« sagte er. »Es scheinen die Ueberreste eines Kalbes zu sein, und da niemand ein lebendes Kalb, um es zu schlachten, mit in die Steppe nimmt, so müssen hier Leute, welche Rinderdiebe sind, gelagert haben.«
Ich nahm die Knochenstücke aus seiner Hand, um sie zu betrachten und erschrak. Das eine war ein halbes Schulterblatt und das andere der Fortsatz eines oberen Schenkelknochens.
»Das