»Er ist ebenso breit wie tief. Man hat über eine Stunde zu reiten, um hindurch zu kommen.«
»Sind die Bäume hoch?«
»Mitunter sehr hoch.«
»Giebt es Unterholz?«
»Stellenweise viel. Es liegt ein Brunnen da, welcher viel Wasser spendet und zahlreiche Sträucher und Schlingpflanzen nährt.«
»Kann man mit den Kamelen durch?«
»Ja, wenn man die offenen und lichten Stellen des Waldes aufsucht.«
»So weiß ich einstweilen genug, und wir wollen aufbrechen.«
»Wollen wir nicht erst nach Westen reiten und dem Dschelabi folgen, um zu erfahren, ob er wirklich sich rückwärts wendet?«
»Das ist überflüssig; ich bin überzeugt, daß er es thut, und wir werden bald auf seine Fährte treffen.«
Er war, da er schnell ritt, unsern Augen längst entschwunden. Wir sattelten, stiegen auf und ritten östlich davon, ich mit dem Führer neben mir voran und die Asaker in der bekannten, bei Karawanen gebräuchlichen Einzelreihe hinterdrein. Diese letzteren hatten in unserer Nähe gesessen und alles gehört. Sie waren neugierig, ob meine Voraussetzungen sich bewähren würden, und brannten, falls dies der Fall sein sollte, darauf, ihren guten Flinten Arbeit zu geben.
Wir verließen den Brunnen auf der Fährte, welche der Dschelabi bei seinem Kommen gemacht hatte. Schon nach einer halben Stunde sahen wir eine andere Fährte von rechts herüberkommen und sich mit der ersten vereinigen. Ich stieg ab, um sie zu untersuchen. Der Führer gesellte sich mir aus Wißbegierde zu. Ich hatte sie in gebückter Haltung betrachtet; als ich mich aufrichtete, erklärte ich:
»Es war der Dschelabi, ganz so, wie ich vermutet habe.«
»Wie kannst du das behaupten, Effendi? Es kann doch auch ein anderer sein.«
»Nein, er ist es. Sieh auf der ersten Fährte das Gras! Es sind einzelne Halme ausgerauft. Bei der zweiten Spur kannst du genau dasselbe beobachten.«
»Das ist richtig, aber – —«
»Es giebt kein aber dabei. Das Kamel des Dschelabi hat empfindliche Ballen, und »rupft«. Die zweite Fährte zeigt deutlichere und nach hinten ausgeschleuderte Eindrücke. Daraus ist zu schließen, daß er jetzt viel schneller reitet, als er vorher geritten ist; er ist umgekehrt und hat Eile.«
Der Führer schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Wir stiegen wieder auf und ritten weiter, der jetzt doppelten Fährte nach. Als vielleicht eine Stunde vergangen war, kamen wir an eine Stelle, an welcher der Reiter gehalten hatte. Das Gras war in einem beträchtlichen Umkreise niedergetreten und niedergelagert. Geradeaus führte eine alte Spur von drei Kamelen und eine neue von einem Tiere nach Osten; rechts und links wich je eine Einzelfährte nach Süden und Norden ab. Als meine Begleitung die Sache nicht begreifen konnte, erklärte ich:
»Was ihr hier seht, ist der vollste Beweis dafür, daß meine Vermutungen ganz richtig gewesen sind. Da weit vor uns im Cassiawald liegen unsere Gegner, und der Anführer hat eine Postenlinie vorgeschickt. Drei Mann kamen hierher; zwei von ihnen lagerten sich, während einer, nämlich der Dschelabi, weicher am unternehmendsten war, weiterritt. Als er zurückkehrte, teilte er ihnen mit, daß er uns gefunden hatte, und ritt auf der dreifachen Fährte nach dem Walde zurück, um seinem Anführer dieselbe Meldung zu machen. Die beiden andern aber eilten, einer nördlich und der andere südlich davon, um die übrigen Posten nach dem Walde zu beordern. Seht euch diesen Platz mit dem niedergedrückten Grase an! Müssen die Kerle nicht denken, daß wir entweder blind oder Dummköpfe sind? Wenn sich hier ein Posten von drei Männern befand, so steht zu erwarten, daß die andern Posten ebenso stark gewesen sind. Da der eigentliche Kriegerhaufen stets größer ist als die sämtlichen Posten zusammen, so können wir auf die Anzahl der Männer schließen, mit denen wir es zu thun haben werden. Wir haben es mit einem zwar unvorsichtigen, wie die Spur beweist, aber auch sehr zahlreichen Feinde zu thun. Aus diesem Grunde will ich meine eigenen Wünsche zurückhalten und euch um eure Meinung befragen. Wollt ihr den Kampf aufnehmen, oder wollen wir demselben ausweichen, was nun, da die Gegner sich alle an einem Punkte versammelt haben, sehr leicht sein würde?«
»Kämpfen, kämpfen!« lautete die allgemeine Antwort.
»Gut, so gehen wir links ab, um von Norden her an den Wald zu kommen, während wir von Westen her erwartet werden. Da dies einen Umweg ergiebt, werden wir schneller als bisher reiten müssen.«
Jetzt ging es weiter, und zwar so schnell, wie unsere Kamele laufen konnten; die weniger raschen wurden mit den Stäben angetrieben. Nach einiger Zeit stießen wir abermals auf eine Fährte, dann auf eine zweite, dritte, vierte und fünfte. Die Spuren hatten alle eine mehr oder weniger südöstliche Richtung und liefen auf den Wald zu. Ich konnte, auch ohne abzusteigen, sehen, daß jede derselben aus den Hufeindrücken von drei Kamelen bestand.
»Ob das lauter Vorposten gewesen sind?« fragte der Führer, welcher wieder an meiner Seite ritt.
»Natürlich!« antwortete ich. »Du siehst, daß ich recht gehabt habe. Angenommen, daß die Spur des Dschelabi in der Mitte der Kundschafterlinie gelegen hat, so giebt es in Summa elf Fährten, jede von drei Reitern; das ergiebt dreiunddreißig Mann. Wie viele mögen da im Walde geblieben sein? Es ist anzunehmen, daß wir es wenigstens mit der doppelten Anzahl, also mit sechzig Gegnern zu thun haben werden.«
»Dann dürfen wir uns auf einen harten Kampf gefaßt machen.«
»Auf gar keinen; wir werden so klug sein, ihnen gar keine Zeit zur Gegenwehr zu lassen.«
»Du meinst, daß wir sie umzingeln und niederschießen, ehe sie dazu kommen, ihre Waffen zu gebrauchen?«
»Umzingeln werden wir sie wahrscheinlich, töten aber nicht. Ich will kein Blut vergießen. Ueberhaupt dürfen wir sie nicht eher angreifen, als bis wir ihnen beweisen können, daß sie es auf uns abgesehen haben.«
»Wie sollen wir diesen Beweis liefern?«
»Das laß meine Sache sein! Und selbst dann, wenn wir ihnen ihre feindlichen Absichten in das Gesicht sagen können, haben sie dieselben noch nicht ausgeführt, und wir sind nicht berechtigt, einem von ihnen das Leben zu nehmen. Selbst für den Fall, daß wir dieses Recht besäßen, würde ich sie möglichst schonen, um sie dem Reïs Effendina ausliefern zu können.«
»Das ist schade! Wir müssen dir freilich gehorchen, aber wenn ich daran denke, was in unsern Dörfern geschehen ist, so erfaßt mich ein Grimm, welcher von Schonung nichts wissen will.«
»Die Thäter sind bestraft; sie haben ihr Verbrechen mit dem Tode gebüßt, und du mußt bedenken, daß die Leute, welche wir vor uns haben, nicht diejenigen sind, welche eure Frauen und Töchter raubten.«
»Gut, aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß du uns durch deinen Entschluß selbst in Gefahr bringst, uns und auch dich. Räumen wir mit unsern Kugeln plötzlich unter ihnen auf, so bleiben wir unverletzt; wie aber willst du dich ihrer lebendig bemächtigen, ohne daß sie sich wehren und verschiedene von uns töten oder doch wenigstens verwunden?«
»Was ich beschließen werde, kann ich jetzt noch nicht wissen; ich muß mich nach den Verhältnissen, welche wir vorfinden, richten. Du weißt, daß ich mich im Wadi el Berd der Sklavenräuber bemächtigt habe, ohne daß einem von uns die Haut geritzt worden ist.«
Er schüttelte bedenklich den Kopf, zog es aber vor, auf weitere Einwendungen, welche doch erfolglos gewesen wären, zu verzichten.
Wir hielten uns zunächst nordöstlich, dann gerade östlich und bogen nach ungefähr zwei Stunden nach Süden um, denn der Führer meinte, daß der Bogen uns nun gerade auf den Wald zuführen werde. Bald erblickten wir am Horizonte einen dunklen Streifen, welcher mehr rechts von uns lag. Wir waren also so schnell geritten, daß wir den Wald beinahe halb umgangen hatten. Dies brachte mich, da wir noch hinreichend Zeit bis zum Untergange der Sonne hatten, auf den Gedanken, nicht von der Seite, sondern vom Rücken her auf die Feinde zu kommen. Aus diesem Grunde hielten wir uns wieder mehr links, und zwar