Wir bogen natürlich in dieselbe Richtung ein und erreichten den Wald an einer so lichten Stelle, daß auch ein größerer Zug als der unserige leicht passieren konnte. Nun galt es, die größte Vorsicht zu entwickeln. Ich stieg ab, um voranzugehen; der Führer, welcher mein Kamel am Halfter nahm, folgte mit den Asakern eine Strecke hinterdrein. Er hatte mir gesagt, daß die Quelle ungefähr in der Mitte des Waldes liege, und ich nahm als ganz selbstverständlich an, daß die von uns Gesuchten sich in der Nähe derselben befanden.
Der Wald bestand da, wo wir ihn durchquerten, aus hohen Cassien und Mimosen. Ich mußte nach einem Verstecke für unsere Kamele suchen und bog also zur Seite ab, wo dichte Büsche unter den Bäumen standen. Das Gesträuch bestand vorzugsweise aus Balsamodendron und stachelstämmigen Bauhinien, welche sich um die Stämme und Aeste der Bäume rankten und dichte Festons von prächtig blühenden Zweigen herniederhängen ließen. Hinter diesen dicht verschlungenen Büschen konnte uns niemand sehen; meine Gefährten stiegen vor denselben ab, um ihre Kamele hineinzuführen und da auf meine Rückkehr zu warten, da ich nun rekognoszieren wollte.
Der treue Ben Nil bot sich mir zur Begleitung an; ich lehnte dieselbe aber ab. Auch der Führer wollte mit, und als ich ihn ebenso abwies, meinte er:
»Du kennst aber den Wald nicht und den Weg zur Quelle, Effendi; ich muß ihn dir zeigen.«
»Habe keine Sorge um mich! Ich weiß schon, was ich thue. Uebrigens irrst du dich, wenn du etwa meinst, daß die Feinde am Wasser lagern.«
»Wo denn sonst?«
»Irgendwo, aber nur nicht dort. Ja, vorher haben sie sich jedenfalls dort befunden; nach Rückkehr der Posten aber sind sie wohl auf den Gedanken gekommen, den Platz frei zu geben.«
»Weshalb denn wohl?«
»Sie nehmen doch sicher an, daß wir den Brunnen aufsuchen. Dort ist die beste Gelegenheit, über uns herzufallen. Griffen sie uns unterwegs an, wo wir noch im Sattel sitzen und eine ziemlich lange Reihe bilden, so würden sie ihren Zweck nur schwer erreichen. Sie werden also warten wollen, bis wir uns gelagert haben, und darum ist ganz bestimmt anzunehmen, daß sie sich nicht mehr beim Wasser, sondern in der Nähe desselben befinden. Wie führt der Weg von hier aus nach dem Wasser? Macht er etwa viele Windungen?«
»Nein, sondern er bildet eine fast ganz gerade Linie.«
»Das ist vorteilhaft für mich. Ich gehe jetzt, und ihr habt nichts zu thun, als euch so still wie möglich zu verhalten.«
»Was thun wir aber, falls du nicht zurückkehrst?«
»Ich komme wieder!«
»Du sprichst sehr zuversichtlich, Effendi. Möge Allah dich geleiten!«
Da ich den hellen Haïk zurückließ, stach mein dunkelgrauer Anzug nicht von dem Grün der üppigen Vegetation ab. Ich hütete mich natürlich, auf der breiten Fährte zu gehen; dort konnte ich, da die Bäume weit auseinander standen, leicht gesehen werden; ich hielt mich vielmehr zur Seite, stets von Büschen gedeckt, der Fährte parallel.
Nach vielleicht einer Viertelstunde war es mir, als ob links vor mir jemand gesprochen hätte; rechts mußte der Brunnen liegen. Ich blieb stehen und horchte. Ja wirklich, das waren Stimmen! Man sprach nicht allzu laut, konnte sich also gar nicht weit von mir befinden. Ich legte mich nieder und kroch auf den Händen und Knieen weiter. Die Stimmen wurden, je weiter ich vorrückte, desto deutlicher, und sonderbarerweise kam mir eine derselben bekannt vor. Noch konnte ich die Worte, welche gesprochen wurden, nicht verstehen, aber dem Schalle nach mußten die Personen, welche redeten, sich hinter einem undurchdringlich scheinenden Sennesgebüsch befinden. Ich kroch hinzu und erkannte auch die andere Stimme; sie gehörte dem angeblichen Dschelabi, und derjenige, mit welchem dieser sprach, war, wenn ich mich nicht täuschte, kein anderer als – Abd Asl, der Vater des Sklavenjägers, der heilige Fakir, welcher mich im unterirdischen Brunnen bei Siut hatte verschmachten lassen wollen.
Das Sennesgestrüpp konnte nicht sehr breit sein, denn ich hörte und verstand die Worte jetzt so deutlich, daß ich annahm, die Entfernung zwischen mir und den beiden Genannten könne höchstens drei oder vier Ellen betragen. Aus verschiedenen Geräuschen und Tönen, welche an mein Ohr drangen, war zu vermuten, daß die zwei sich nicht allein befanden.
»Alle, alle müssen in die Hölle fahren; nur den Deutschen lassen wir leben!« sagte der Fakir, als ich nun in bequemer Stellung lag und lauschte.
»Warum das?« meinte der Dschelabi. »Gerade er müßte der erste sein, den unsere Kugeln oder Messer treffen.«
»Nein. Ihn will ich aufheben, um ihn meinem Sohne zu bringen. Er soll lange, lange Qualen erdulden. Es fällt mir nicht ein, ihn eines schnellen Todes sterben zu lassen.«
»Dann mußt du gewärtig sein, daß er dir wieder entwischt.«
»Entwischen? Unmöglich! Ich weiß, daß er ein Teufel ist; aber es giebt genug Mittel, selbst einen solchen Satan zu bändigen. Ich werde ihn wie ein reißendes Tier einsperren. Nein, entkommen, entkommen wird er mir nun und nimmermehr! Ginge es nach mir, so ließ ich auch die Asaker leben, um sie langsam zu Tode zu martern; aber da wir nicht lange Zeit zu verlieren haben, so müssen wir uns ihrer schnell entledigen. Wie wollte ich diese Halunken peinigen, welche unsere Genossen erschossen und meinen Sohn, also uns alle um einen so großen Gewinn gebracht haben!«
»Ja, für diese Fessarah-Sklavinnen wäre viel, sehr viel bezahlt worden. Man sollte diesen Menschen die Hände und die Zunge abschneiden, daß sie weder sprechen noch schreiben und also nichts verraten könnten. Dann müßte man sie an den grausamsten aller Negerfürsten verkaufen!«
»Der Gedanke ist nicht übel. Vielleicht führen wir ihn aus. Vielleicht ersinnen wir uns auch noch besseres. Es giebt keinen Schmerz, der für sie zu groß, zu schrecklich sein könnte; sie müssen täglich, stündlich sterben, ohne doch wirklich sterben zu können. Sie haben das verdient, besonders dieser fremde Hund, welcher alle, alle unsere Absichten zu erraten, alle unsere Pläne zu durchschauen weiß und mit der Hilfe des Teufels stets dann entwischt, wenn man ihn am sichersten zu haben meint.«
»Das ist es ja eben, was uns zur größten Vorsicht mahnt! Wenn er uns heute wieder entwischen sollte!«
»Habe da ja keine Sorge! Die Befehle, welche ich gegeben habe, sind so sorgfältig ausgedacht, daß ein Mißerfolg gar nicht eintreten kann. Den ersten Schuß gebe ich ab, und ich ziele auf das Bein des Deutschen. Ist er da verwundet, so kann er uns jetzt und auch später nicht entkommen. Ist dieser mein Schuß gefallen, so drückt auch ihr andern ab. Gegen siebzig Kugeln sind jedenfalls hinreichend, sie alle niederzustrecken.«
»Man sollte es denken. Eigentlich ist es eine Schande für uns, daß wir wegen zwanzig Asakern eine solche Anzahl von Kriegern aufgetrieben haben.«
»Das geschah nicht der Asaker, sondern des Effendi wegen. Unter seiner Führung sind zwanzig Männer so gut wie sonst hundert, und ich sage dir, daß wir nur durch das Unerwartete, durch die Plötzlichkeit des Ueberfalles siegen können. Wenn wir es zur Gegenwehr kommen ließen, so würde der Erfolg sicher zweifelhaft sein.«
Ich mußte leise lachen. Weder der Dschelabi noch der Fakir besaßen die Klugheit, welche zur Ausführung ihres Vorhabens unbedingt erforderlich war. Sie hatten nicht einmal jetzt eine Wache ausgestellt, um sich unsere Ankunft melden zu lassen; das vernahm ich aus ihren weiteren Worten. Auch hörte ich, daß der Ort, an welchem sie sich befanden, der Quelle so nahe lag, daß sie das Geräusch, welches sie von uns erwarteten, deutlich zu hören hofften.
Aus der Rede des Fakirs ging hervor, daß sein Sohn, der Sklavenjäger, dem Reïs Effendina eine Falle gestellt hatte. Das erfüllte mich mit Besorgnis, und ich nahm mir vor, hier schnell zu handeln und dann unsern Ritt zu beschleunigen, um möglichst rasch nach Chartum zu kommen und den Bedrohten zu warnen. Vor allen Dingen galt es, die Situation zu überschauen. Da, wo ich lag, war das Gebüsch