»Herr, was tust du?« rief der Kaimakam. »Du brichst den Waffenstillstand, noch während ich bei dir bin!«
»Haben wir einen Waffenstillstand abgeschlossen? Habe ich dir nicht gesagt, daß wir fertig sind? Hörst du? Das waren Kartätschen – und das Granaten; dieselben Geschosse, welche für uns bestimmt waren; nun aber treffen sie euch. Allah hat gerichtet; er trifft den Sünder mit demselben Streiche, mit dem dieser gesündigt hat. Du hörst das Schreien deiner Leute. Geh zu ihnen, und befiehl ihnen, unsere Dörfer zu zerstören!«
Wirklich schien der dritte und vierte Schuß außerordentlich gewirkt zu haben; das konnte man aus dem wilden Heulen schließen, welches aus der Tiefe scholl.
»Halt ein, Ali Bey! Gib das Zeichen, mit dem Feuer wieder einzuhalten, damit wir weiter verhandeln können!«
»Du kennst den Befehl des Mutessarif, und ich kenne meine Pflicht; wir sind fertig.«
»Der Mutessarif hat seine Befehle nicht mir, sondern dem Miralai gegeben, und nun ist es meine Pflicht, meine Leute nicht wehrlos niederschießen zu lassen. Ich muß sie zu retten suchen.«
»Willst du diesen Gedanken fest halten, so bin ich bereit, die Verhandlung wieder aufzunehmen.«
»So komm herein!«
Ali Bey wand sein Turbantuch los und wehete damit nach unten, dann ging er wieder in das Zelt.
»Was verlangst du von mir?« fragte der Kaimakam.
Der Bey blickte nachdenklich zur Erde, dann antwortete er:
»Nicht du bist es, dem ich zürne, und darum möchte ich dich schonen; jedes endgültige Uebereinkommen aber, welches wir treffen könnten, würde dein Verderben sein, weil meine Bedingungen für euch mehr als ungünstig sind. Darum werde ich nur mit dem Mutessarif selbst verhandeln, und du bist aller Verantwortung ledig.«
»Ich danke dir, Bey!«
Der Kaimakam schien kein schlimmer Mann zu sein; er war froh, daß der Angelegenheit eine solche Wendung gegeben wurde, und darum kam sein Dank ganz sichtlich aus einem aufrichtigen Herzen.
»Aber eine Bedingung habe ich natürlich auch an dich,« fuhr Ali fort.
»Welche?«
»Du betrachtest dich und deine Truppen als kriegsgefangen und bleibst mit ihnen in Scheik Adi, bis ich mich mit dem Mutessarif geeinigt habe.«
»Darauf gehe ich ein, denn ich kann es verantworten. Der Miralai ist an allem schuld; er ist zu unvorsichtig vorgegangen.«
»Du gibst also die Waffen ab?«
»Das ist schimpflich!«
»Könnt ihr als Kriegsgefangene die Waffen behalten?«
»Ich erkläre mich nur insoweit für kriegsgefangen, als ich in Scheik Adi bleibe und keinen Durchbruch versuche, bis ich weiß, wie der Mutessarif über uns verfügen wird.«
»Der Durchbruch würde dein Verderben sein; er würde euch aufreiben.«
»Bey, ich will ehrlich sein und zugeben, daß unsere Lage eine sehr schlimme ist; aber weißt du, was tausend Mann vermögen, wenn sie zur Verzweiflung getrieben werden?«
»Ich weiß es, aber es kommt dennoch keiner von euch davon.«
»Aber es wird auch mancher von euch fallen! Und bedenke, daß dem Mutessarif noch das Linien- und Dragonerregiment zur Verfügung steht, dessen größter Teil in Mossul zurückgeblieben ist. Rechne dazu die Hilfe, welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah und andern Garnisonen erhalten kann; rechne dazu die Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung steht, und du wirst einsehen, daß du zwar Herr der jetzigen Situation bist, es aber wohl nicht bleiben wirst.«
»Soll ich auf einen Sieg und seine Ausnutzung verzichten, weil ich später vielleicht geschlagen werden kann? Der Mutessarif mag mit seinen Regimentern kommen; ich werde ihm sagen lassen, daß es euch das Leben kostet, wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere Hilfe zur Verfügung steht, so ist dies bei mir ebenso der Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf, um so manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dschesidi aus ganz Kurdistan und den angrenzenden Provinzen um mich versammelt und könnte die Fackel des Aufstandes unter sie schleudern; aber ich tue es nicht, sobald der Mutessarif mir erlaubt, die Rechte der Meinigen zu wahren. Ich will dir und deinen Truppen jetzt noch die Waffen lassen; aber ich habe einem Verbündeten Gewehre versprochen, und die wird der Gouverneur auf alle Fälle liefern müssen.«
»Wer ist dieser Verbündete?«
»Kein Dschesidi verrät seinen Freund. Also du behältst deine Waffen, aber alle Munition lieferst du mir ab, und dafür verspreche ich dir, für den Proviant zu sorgen, dessen du bedarfst.«
»Gebe ich dir die Munition, so ist es genau so, als ob du auch die Waffen hättest!«
Ali Bey lächelte.
»Wohl, so sollst du auch die Munition behalten; doch sage ich dir: wenn deine Leute Hunger bekommen und du mich um Proviant bittest, so werde ich dir denselben nur gegen Flinten, Pistolen, Degen und Messer verkaufen. Also auf diese Weise seid ihr nicht kriegsgefangen, sondern wir schließen nur einen Waffenstillstand ab.«
»So ist es, und darauf kann ich eingehen.«
»Du siehst, daß ich sehr nachsichtig bin. Nun aber höre meine Bedingungen: Ihr bleibt im Tale Scheik Adi; ihr bleibt ohne alle Verbindung mit außen; ihr enthaltet euch aller Feindseligkeit gegen die Meinigen; ihr ehrt unsere Heiligtümer und unsere Wohnungen; erstere dürft ihr gar nicht betreten und die letzteren nur mit meiner Erlaubnis; der Waffenstillstand dauert so lange, bis euch ein Befehl des Mutessarif zugeht, und zwar wird dieser Befehl euch in meiner Gegenwart gegeben; jeder Fluchtversuch, auch eines Einzelnen, und jede Zuwiderhandlung gegen unsere Vereinbarung hebt den Waffenstillstand sofort auf; ihr behaltet eure gegenwärtige Stellung und ich die meinige. Dagegen mache ich mich verbindlich, daß ich bis zu der angegebenen Zeit mich aller Feindseligkeiten enthalten werde. Bist du einverstanden?«
Nach einem kurzen Bedenken und einigen unwesentlichen Hinzufügungen und Ausführungen nahm der Kaimakam die Bedingungen an. Er verwandte sich sehr für den Makredsch und verlangte die Auslieferung desselben, doch ging Ali nicht darauf ein. Es wurde Papier herbei geschafft; ich entwarf den Vertrag, und beide unterzeichneten, der eine durch die Unterschrift seines Namens und der andere mit seinem Bu-ken-dium[15]. Dann kehrte der Offizier in das Tal zurück, wobei es ihm erlaubt wurde, seine drei Soldaten wieder mitzunehmen.
Nun wartete Pali auf die Befehle seines Vorgesetzten.
»Willst du mir einen Brief an den Mutessarif schreiben?« fragte mich dieser.
»Gern! Was willst du ihm mitteilen?«
»Die jetzige Lage seiner Truppen. Dann sollst du ihm sagen, daß ich mit ihm zu verhandeln wünsche, daß ich ihn entweder hier erwarte oder in Dscherraijah mit ihm zusammentreffen will. Er darf aber eine Begleitung von höchstens fünfzig Mann mitbringen und hat sich aller Feindseligkeiten zu enthalten. Die Zusammenkunft findet übermorgen bis zum Mittag statt. Versäumt er, zu kommen, so töte ich den Makredsch und lasse seine Truppen ihre eigenen Kartätschen fühlen. Dies geschieht auch dann, sobald ich bemerke, daß er gesonnen ist, die Feindseligkeiten fortzusetzen. Kannst du dies schreiben?«
»Ja.«
»Ich werde Pali noch ganz besondere Aufträge erteilen. Schreibe so schnell wie möglich, damit er bald aufbrechen kann!«
Einige Minuten später saß ich im Zelte und schrieb mit meinem Bleistifte, nach orientalischer Manier das Papier auf dem Knie, von der Rechten zur Linken hinüber den Brief an den Gouverneur, der sicher beim Lesen desselben keine Ahnung hatte, daß er von seinem Schützlinge verfaßt worden war. Und kaum eine halbe Stunde später jagte das Pferd, welches Pali trug, im Galopp auf dem Wege nach Baadri hin. —
Das Fest der Dschesidi hatte eine außerordentliche Störung erfahren,