Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felsen gelangten, der sich ein weniges über den Rand des Tales hervor streckte. Hier saß der Bey mit seinem Stabe, welcher nur aus drei barfüßigen Dschesidi bestand. Er kam mir erfreut entgegen.
»Ich danke dem Allgütigen, der dich gesund und unversehrt erhalten hat!« sagte er herzlich. »Ist dir Uebles begegnet?«
»Nein, sonst hätte ich dir das Zeichen gegeben.«
»Komm her!«
Ich stieg ab und folgte ihm auf den Felsen. Man konnte von hier aus alles deutlich sehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Verschanzung und die beiden Seitenwände des Tales.
»Siehst du die weiße Stelle auf meinem Hause?« fragte er.
»Ja. Es ist der Shawl.«
»Wäre er verschwunden, so hätte ich ein Zeichen gegeben, und fünfhundert meiner Leute wären Sturm hinabgelaufen, unter dem Schutze der Kanonen, welche den Feind zurückgehalten hätten.«
»Ich danke dir, Bey. Es ist mir nichts geschehen, als daß der Miralai einmal nach mir schoß; aber ohne mich zu treffen.«
»Das soll er büßen!«
»Er hat es bereits gebüßt.«
Ich erzählte ihm alles, was ich gesehen hatte, und berichtete ihm auch die Worte, in denen der Abschied des Pir von mir enthalten war. Er hörte aufmerksam und in tiefster Bewegung zu; aber als ich geendet hatte, sagte er nichts als:
»Er war ein Held!«
Dann versank er in ein tiefes Sinnen, aus welchem er erst nach einer Weile wieder erwachte.
»Und was sagst du? Sie haben meinen Boten getötet?«
»Sie haben ihn hingerichtet, erschossen.«
»Wer hat den Befehl dazu erteilt?«
»Jedenfalls der Miralai.«
»O lebte er noch!« knirschte er. »Ich ahnte, daß dem Boten etwas widerfahre. Ich hatte ihm gesagt, daß ich den Kampf wieder beginnen werde, wenn er binnen einer halben Stunde nicht zurückgekehrt sei. Aber ich werde ihn rächen; ich werde jetzt das Zeichen geben, daß nun endlich Ernst gemacht werden soll!«
»Warte noch, denn ich habe vorher mit dir zu reden. Der Kaimakam, welcher jetzt das Kommando führt, hat mich zu dir gesandt.«
Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unterredung mit dem Oberstleutnant und dem Makredsch. Als ich nun den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Augenbrauen finster zusammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an.
»Also der Makredsch ist dabei! O, nun weiß ich, wem wir das alles zu verdanken haben! Er ist der schlimmste Feind der Dschesidi; er haßt sie; er ist ihr Vampyr, ihr Blutsauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden ist, durch diesen Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber meine Gesandtschaft, welche nach Stambul gegangen ist, wird auch zum Anadoli Kasi Askeri[13] gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geschrieben hat. Beide kannten sich und hatten sich lieb, und der Pir ist lange Zeit sein Gast gewesen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden und wird uns Hilfe bringen.«
»Das wünsche ich dir von Herzen. Aber wen wirst du zu dem Kaimakam senden? Ein gewöhnlicher Mann darf es nicht sein, sonst wird er überlistet.«
»Wen ich senden werde, fragest du? Niemand werde ich senden, keinen Menschen. Nur ich selbst werde mit ihm sprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er ist der Anführer der Seinen, und wir beide haben zu entscheiden. Aber ich bin der Sieger, und er ist der Besiegte; er mag zu mir kommen!«
»So ist es recht!«
»Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten nicht zur Stelle ist, so lasse ich die Beschießung beginnen und halte nicht eher ein, als bis keiner der Osmanly mehr lebt!«
Er trat zu seinen Adjutanten und sprach kurze Zeit mit ihnen. Darauf entfernten sich zwei von ihnen. Der eine ergriff einen weißen Shawl, legte seine Waffen ab und stieg links da hinab, wo ich jetzt heraufgekommen war; der andere aber schritt längs des Randes der Höhe hin und klimmte dann rechts hinab nach dem Punkte hin, an welchem die Geschütze standen.
Nun gab Ali Bey einigen Dschesidi, welche in der Nähe hielten, den Befehl, ein Zelt für uns zu errichten. Die zu demselben gehörigen Requisiten lagen bereit. Während sie seinem Gebote Folge leisteten, bemerkte ich, daß sich unten die Verschanzung öffnete. Die Kanonen wurden durch die entstandene Lücke vorgezogen und avancierten längs des Baches bis an die Linie derjenigen Dschesidi, welche auf der Sohle des Tales festen Fuß gefaßt hatten. Dort gab es mehrere Felsblöcke, welche mit einigen schnell umgehauenen Bäumen eine neue Verschanzung bildeten.
Es waren seit der Absendung des Dschesidi noch nicht zwanzig Minuten vergangen, so nahte sich der Kaimakam. Er war von drei türkischen Soldaten begleitet, und an seiner Seite ritt – der Makredsch. Das war eine große Unklugheit von dem letzteren; ich sah es dem finsteren Blicke an, mit welchem Ali Bey ihn betrachtete.
Der Bey trat in das Zelt, welches mittlerweile aufgerichtet worden war, und ließ sich auf den Teppich nieder, welcher den Fußboden desselben bildete. Ich empfing die Kommenden. Die drei Soldaten blieben vor dem Zelte halten; die beiden andern aber traten ein.
»Sallam!« grüßte der Kaimakam.
Der Makredsch grüßte nicht. Er als der Vorsteher eines großherrlichen Gerichtshofes erwartete, daß der Bey der Teufelsanbeter ihn bewillkommnen werde. Dieser aber nahm weder von ihm Notiz, noch beantwortete er den Gruß des Oberstleutnants. Er deutete nur auf den Teppich und meinte:
»Kaimakam, komar-sen – du darfst dich setzen!«
Der Angeredete nahm in würdevoller Weise Platz, und der Makredsch ließ sich an seiner Seite nieder.
»Du hast uns gebeten, zu dir zu kommen,« begann der Offizier. »Warum bist du nicht zu uns gekommen?«
»Du irrst!« antwortete Ali Bey sehr ernst. »Ich habe dich nicht gebeten, sondern ich habe dir nur kund getan, daß ich die Osmanly niederkartätschen lassen werde, wenn du nicht kommst. Ist das eine Bitte? Du fragst ferner, warum ich nicht zu dir gekommen bin. Wenn ich von Scheik Adi nach Mossul komme, werde ich dich aufsuchen und nicht verlangen, daß du dich zu mir bemühest; du bist von Mossul nach Scheik Adi gekommen und wirst die Gesetze der Höflichkeit kennen, welche dir gebieten, dich zu mir zu bemühen. Deine Frage veranlaßt mich übrigens, dir gleich die Stellung klar zu machen, von welcher aus wir gegenseitig zu einander sprechen werden. Du bist ein Diener, ein Beamter des Großherrn und des Mutessarif, ein Offizier, der im günstigen Falle ein Regiment kommandiert; ich aber bin ein freier Fürst der Kurden und Oberfeldherr aller meiner Krieger. Glaube darum nicht, daß dein Rang höher sei, als der meinige —«
»Ich bin nicht ein Diener des – — —«
»Schweige! Ich bin gewohnt, daß man mich hört und mich ausreden läßt; merke dir das, Kaimakam! Du bist ohne alles Recht und ohne vorherige Ankündigung in mein Gebiet eingebrochen, wie ein Dieb, wie ein Räuber mit bewaffneter Hand. Einen Räuber fange und töte ich, ganz wie es mir gefällt; da du aber ein Diener des Großherrn und des Mutessarif bist, so will ich vorher, ehe ich meine ganze Macht entwickle, in Güte mit dir reden. Daß du noch lebst, du und die Deinen, das habt ihr nur meiner Milde und Nachsicht zu verdanken. Nun sage, wer das Recht hat, zu erwarten, daß der andere zu ihm komme, du oder ich!«
Der Kaimakam machte ein ganz erstauntes Gesicht, denn eine solche Ausführung hatte er jedenfalls nicht erwartet. Er besann sich noch, was er sagen solle; doch der Makredsch, über dessen Stößerphysiognomie