»Noch mehr.«
»So warte noch. Ich muß erst sehen, ob ihr noch einen Stoff habt, den ich dazu brauche.«
»Welchen meinst du?«
»Kül kurschuni[4]. Das ist freilich ein seltenes Metall. Solltest du es haben?«
»Kül kurschuni haben wir nicht, aber Kül kalaji[5], welches wir brauchen, um eine schöne, weiße Schminke daraus zu bereiten.«
»Auch das geht an. Hast du ein Vikiey davon, so gib es mir und zwei Vikiey Quecksilber dazu.«
»Soll ich es dir auch gleich hier in die Düte gießen?«
»O nein! Das Quecksilber würde uns sofort entwischen.«
»Ach freilich! Es ist wie die Liebe der Männer, die auch sofort verschwindet, wenn – wenn – —«
»Wenn man sie in eine solche Düte schüttet?«
»Ja, aber die Düte ist das Herz. Es vermag eure Liebe nicht festzuhalten. O, die Liebe, die Liebe! Die hat schon manches arme Weib unglücklich gemacht.«
Sie warf einen wütenden Blick auf ihren Mann, riß ihm die Haube vom Kopf, schwang sie auf ihr eigenes Haupt und zürnte:
»Mensch, wie kannst du dich mit einer Zienet müenneslükün[6] schmücken! Willst du die Seele deines Weibes entweihen?«
Er bedeckte seine Glatze schnell mit beiden Händen und schrie:
»Weib, du versündigst dich an der heiligen Würde des Mannes! Weißt du nicht, daß es uns verboten ist, das Haupt unseres Körpers zu entblößen!«
Aber die geistreiche Frau wußte sich zu helfen. Sie antwortete:
»Bunda, jokary kaldyr haß kutuju – da, setze die Mehlschachtel auf!«
Zu gleicher Zeit griff sie nach einer runden Pappschachtel, in welcher sich noch ein Rest feines Mehl befand, und stülpte ihm dieselbe, ohne auf das Mehl zu achten, verkehrt auf das »Haupt seines Körpers«. Sein Angesicht war sofort bepudert; er wagte aber nicht, ein Wort zu sagen, und behielt diese Kotillonmütze ruhig auf dem kahlen Wohnsitz seiner Gelehrsamkeit. Als strenger Moslem, der sein Haupt nicht entblößen darf, war er ganz glücklich, daß es wieder bedeckt war. Welchen Eindruck aber diese Bedeckung auf mich machte, das schien ihm sehr gleichgültig zu sein.
Er kniete auf den Boden nieder und wirrte in den alten Gefäßen herum.
»Was suchst du denn?« fragte ihn seine schönere Hälfte.
»Eine Flasche, um dem Effendi das Quecksilber hinein zu tun; hier ist eine.«
Er erhob sich und reichte seiner Frau die Flasche. Dieselbe war so groß, daß sie wohl seinen ganzen Quecksilbervorrat gefaßt hätte, und vielleicht auch noch mehr. Die Frau hielt sie gegen das Licht, schaute nach dem Inhalt und sagte:
»Da ist ja noch alter Firnis drinnen!«
»Was schadet es?«
»Sehr viel. Nimm Wasser und wasche sie aus!«
Er entfernte sich sehr gehorsam mit der Flasche.
Nach einer Weile, während welcher ich mich mit der gelehrten Frau unterhalten hatte, kehrte er zurück, hochrot im Gesicht vor Anstrengung, und sagte im Ton der Verzweiflung:
»Ich bringe sie nicht rein; versuche du es selbst.«
»Du bist ein Tolpatsch!« sagte sie. »Ihr Männer habt zu nichts Geschick.«
Sie entfernte sich mit der Bouteille. Ich ließ es geschehen, ohne ein Wort zu sagen. Er erzählte mir im Vertrauen einige Beispiele seines großen Eheglückes, bis sie zurückkehrte, noch viel röter, als er vorhin war.
»Effendi,« klagte sie, »die Flasche ist verzaubert. Der Firnis geht nicht heraus.«
»Das habe ich gewußt.«
»Wie? – Wirklich?«
»Ja. Er ist nicht mit Wasser, sondern nur mit Terpentinöl zu entfernen. Der Firnis nimmt kein Wasser an.«
»Das konntest du uns doch sagen!«
»O nein; das hätte euch ja beleidigt.«
»Warum denn?«
»Ein Apotheker muß das wissen; überhaupt weiß das auch einer der nicht grad Chemie studiert hat. Hätte ich euch darauf aufmerksam gemacht, so wäre dies eine Unhöflichkeit gewesen, denn es hätte so geklungen, als ob ich nicht glaubte, daß ihr zweitausend und ein Arzneimittel studiert habt.«
»Da hast du recht. Du bist ein höflicher und sehr rücksichtsvoller Mann. Dafür sollst du nun auch den Firnis umsonst bekommen. Ich schütte dir das Quecksilber darauf. Wo hast du die Wage, Mann?«
»Sie ist im Hof. Ich habe gestern das Kaninchen damit gewogen, welches wir heute essen wollen.«
»Hole sie herein!«
O weh! Eine Apothekerwage, auf welcher man ein geschlachtetes Kaninchen wiegen kann! Als er sie brachte, sah ich, daß er sich den Wagebalken wohl selbst aus Holz zurechtgeschnitzt hatte. Die Zunge war ein Stück Draht, welches sich zwischen den beiden Zinken einer Speisegabel bewegte. Die Schalen bestanden aus einer runden Holzschachtel und ihrem Deckel. Doch war das wunderliche Instrument ganz leidlich ins Gleichgewicht gebracht worden.
Mit dieser Wage wurde mir nun das Verlangte abgewogen, und ich war sehr zufrieden mit dem Preis, den mir die Frau Apothekerin stellte, zumal das Wismut in sehr gut ausgebildeten Rhomboëdern kristallisiert war.
Nachdem ich mir auch Blei gekauft hatte, verließ ich den sonderbaren Laden und erhielt die besten Wünsche für mein Wohlergehen mit auf den Weg.
Von da begab ich mich zu der guten Nebatja, die auch schon wach war und mich mit großer Freude empfing.
Sie zeigte mir ihren Distelkönig, den ich nun beim Tageslicht genau betrachtete. Sie wollte mir ihn schenken, aber ich nahm ihn nicht an. Natürlich bedankte ich mich wegen ihrer Warnung und erklärte ihr, wie wichtig mir dieselbe sein werde. Als ich ihr sagte, daß sie durch dieselbe wohl meine Lebensretterin sei, zeigte sie sich ganz entzückt darüber.
Das brave Weib hatte mir die herzlichste Teilnahme abgerungen. Schon gestern war mir der Gedanke gekommen, wie leicht ich ihr die Zukunft minder schwer machen könne, und jetzt führte ich diesen Gedanken aus.
Ich besaß das Geld, welches bei Manach el Barscha, Barud el Amasat und dem Gefängniswärter gefunden worden war. Eigentlich sollte ich dasselbe abgeben. Aber an wen? An die saubere Behörde von Ostromdscha? Pah! An die Oberbehörde? Persönlich hätte ich dies nicht tun können, denn dazu war keine Zeit vorhanden. Und einen Boten senden? Der Mann hätte sich wohl in das Fäustchen gelacht. Uebrigens waren die drei, denen wir es abgenommen hatten, entflohen. Ihnen das Geld wieder zu geben, dieser Gedanke wäre Wahnsinn gewesen. Ich konnte jedenfalls gar nichts Besseres tun, als es armen, bedürftigen Leuten schenken. Und zu denen gehörte die Nebatja an erster Stelle.
Freilich durfte ich ihr nicht sagen, woher ich es hatte; sie hätte sich vielleicht geängstigt. Die ganze Summe wollte ich ihr freilich nicht geben; ich konnte sicher sein, noch genug ebenso Bedürftige zu finden, und ich wußte, daß der für sie bestimmte Anteil völlig ausreichen würde, um sie vor Not zu bewahren.
Sie war ganz starr vor freudigem Staunen, als ich ihr unter vier Augen das Geld gab. Sie wollte gar nicht glauben, daß eine solche Summe, welche für sie ein Reichtum war, ihr gehören könne. Die Tränen rollten ihr über die Wangen herab. Ganz besonders entzückt war sie davon, daß sie nun einen wirklichen Arzt für ihren Knaben haben könne. Ich mußte mich ihren Worten und Händedrücken mit Gewalt entziehen.
Halef hatte mich unterdessen mit Ungeduld erwartet. Er stand unter dem Tor und rief mir von weitem entgegen:
»Endlich, endlich, Sihdi! Wir haben‘s so eilig, und doch bleibst du so lange fort! Wie steht es denn mit dem Kunststück?«
»Sehr gut.