Der Kapitän und die Matrosen standen um den Geretteten und freuten sich des zurückkehrenden Lebens.
»Ein Seemann bist du wohl nicht, Junge?« fragte Jansen. Die zarten Hände, welche niemals rauhe Arbeit verrichtet zu haben schienen, rechtfertigten diese Frage.
»Nich de Bohne, ick bin Zuschneider.«
Herzlich lachte der Kapitän bei der nicht ohne Selbstgefühl gegebenen Antwort.
»Na, recht, mein Junge, es muß auch Schneider geben. Wie befindest du dich denn?«
»Een bißken dösig, sonst janz jut. Bitte noch um een Schluck.«
Wieder gab man ihm etwas Wasser.
»Kannst du mir sagen, wie dein Schiff hieß?« fragte der Kapitän, der begierig war, dies zu erfahren.
»Allemal. Et war der Rostocker Schoner ›Goliath‹, Kapitän Merks, von Sidney nach Hongkong, und von da sollte et weiterjehn. Denn kam der jroße Wind mit det Wellenjebrause, und die langen Mastenstangen knickten man so wie Haselruten. Die Herrn Seematrosen setzten sich, als et zu doll wurde und det Wasser schonst von unten rauf buddelte, in zwee Jondeln und dampften ab, und mir ließen se mitten mang det Wellenbad janz alleene.«
Der Bursche sagte dies mit einem Humor, der etwas bitter Schmerzliches an sich hatte; die Nachwirkung der ausgestandenen Todesangst und die Leichtlebigkeit der Berliner Natur kämpften hier miteinander.
»Was bist du denn für ein Landsmann?«
»Icke?« fragte er ganz erstaunt. »Een Berliner, klar. Fritze Fischer, Reezenjasse Numero siebenundzwanzig, vierte Stiege in't zweete Hinterhaus.«
»Es freut mich, Fritz Fischer, daß wir dich noch zeitig genug übergeholt haben. Nun geh hinunter, laß dir zu essen geben und schlafe dich aus. Später wollen wir mehr darüber reden.«
Mit großer Sorgfalt vom Koch bewirtet, kroch er dann nach vollendetem Mahle in die ihm angewiesene Koje und schlief mit den Worten: »Der liebe Jott verläßt keenen Berliner nich,« alsbald ein.
Die Entdeckung des Wracks und die Rettung des jungen Mannes wurden auf Deck noch lebhaft besprochen, während der »Roland« seinen Kurs wieder aufnahm, um die Insel, welche höher und höher aus dem Wasser stieg, links seines Weges liegen zu lassen. Der Wind, welcher aus West stand, frischte etwas auf, und das Schiff machte gute Fahrt. Der Kapitän, der das Auffinden des Wracks mit der ihm allein bekannten Länge und Breite und den von dem Schneider angegebenen Namen des Schiffes ins Logbuch eingetragen hatte, erschien wieder an Deck.
Kapitän Jansen hatte, wie bereits berichtet, in Neuhannover einen Eingeborenen an Bord genommen, einen hochgewachsenen, kräftigen Mann, der den ganzen Tag still an Deck saß und seine Pfeife rauchte. Der braune, stark tätowierte Geselle hatte das Interesse Henriks erregt, und da er auch einigermaßen mit dem Englischen vertraut war, hatte er sich wiederholt mit dem Insulaner zu unterhalten versucht, was bei der Wortkargheit Aturas – so nannte er sich – indessen sehr schwierig war.
Als der Kapitän durch das Glas eine neuauftauchende Insel betrachtet hatte, rief er Atura an, machte ihn auf das Land aufmerksam und unterhielt sich leise mit ihm. Die Antworten des Mannes schienen ihn zu befriedigen. Das Schiff blieb auf Südkurs und passierte nach einigen Stunden auch diese Insel, welche stattliche dicht bewaldete Berge zeigte. Und wiederum sprach der Matrose, der in den Vortopgeschickt war, Land an. Nach einigen Stunden war es deutlich, daß man hier eine Insel von beträchtlichem Umfang und hoch emporragenden Gebirgszügen vor sich hatte. Das Land lag über Backbord und erstreckte sich weithin von Nordwest nach Südost. Wenn man den Kurs beibehielt, mußte man in wenigen Stunden darauf laufen. Findling betrachtete die noch ferne Küste durch das Glas und rief dann dem Mann im Vortopzu, scharf nach weißem Wasser auszulugen.
Als Findling nach dem Achterdeck kam, wo Kapitän Jansen, eine Zigarre rauchend, auf und ab ging, fragte dieser, was er dem Mann zugerufen habe. Der Obersteuermann sagte es ihm.
»Nichts zu besorgen, Findling. Riffe finden sich zwar überall in diesen Gewässern, aber wir treffen, was die Küste da drüben angeht, bald auf eine Strömung, die uns von den Riffen abbringt. Lassen Sie die Buganker klarmachen, wir wollen zu Nacht an der Küste bleiben.«
»Zu Befehl, Kapitän«, und Findling ging, um die Anker klarmachen zu lassen, so daß sie auf den ersten Befehl niedergehen konnten.
Am Steuer stand während der Unterredung der beiden Befehlshaber ein alter wettergebräunter Seemann, der jedes Wort vernahm. Als er gewahrte, daß Findling die Anker gleich ausbringen ließ, flog ein Zug der Befriedigung über sein derbes Gesicht und er murmelte: »Er versteht's, der Junge.«
Dann handhabte er sein Rad ruhig und still wie bisher.
Der Koch meldete dem Kapitän, daß der gerettete Schneider ganz munter erwacht sei.
»Na, laß ihn achter kommen, ich will mir das Gewächs mal ordentlich betrachten.«
Gleich darauf tauchte Fritze Fischer aus dem Mannschaftslogis auf und ging nach hinten. Bekleidet war er, wie man ihn aufgefunden hatte, nur mit einem wollenen Hemd und einer leinenen Hose. Aber sein rascher Schritt verriet, daß er sich durch Nahrung und Schlaf wesentlich gekräftigt hatte. Bald stand er in bescheidener Haltung vor dem Kapitän. Der sonst ganz unverfrorene Berliner hatte auf seinen Seereisen gelernt, daß auf dem Hinterdeck und vor dem Kapitän die größte Ehrerbietung geboten sei. Jansen musterte den Jungen von oben bis unten. Fritz Fischer war mager und von schmächtiger Gestalt. Sein Gesicht, welches er in diesem Augenblick in ehrfurchtsvolle Falten gelegt hatte, nahm für ihn ein; es lag viel Gutmütiges und durch die etwas aufgestülpte Nase, den Ausdruck der wasserblauen Augen und der Mundwinkel, doch etwas Drolliges darin.
»Nun, wie fühlst du dich, Bursche?«
»Janz passabel, Herr Kapitän; ick habe sehr anständig gefuttert und een Schläfchen jemacht.«
»Kann ich mir denken«, sagte Jansen lächelnd. »Wie alt bist du?«
»Über achtzehn, Herr Kapitän.«
»Und Schneider deines Zeichens?«
»So is et«, er wollte hinzusetzen: »sagt Neumann«, schluckte es aber, als für die Person, vor der er stand, nicht geeignet, hinunter.
»Nun erzähle mir mal, wie du hierher in die Südsee kommst?«
Fritz Fischer kratzte sich etwas in seinem nicht gerade glatten, semmelblonden Haar und sagte dann: »Det is so, Herr Kapitän: Vater is schon lange tot, und mein' liebe olle Mutter mußte uns vier alleene uffbringen. Und det hat sie auch redlich jetan, Herr Kapitän, det wird jeder sagen, der ihr kennt. Sie macht Feinwäscherei un die beeden guten Stuben vermietet sie an Zimmerherrn, die ooch nich allemal berappen. Ick bin der Älteste un de Line is erst dreizehn. Wilhelm is Tischler, Jule wird Buchbinder un ick habe de Schneiderakademie bei Meister Pietsch in de olle Jakobsgasse abserviert. Nu hatt' ick 'n Onkel in det olle Australien, in Sidney, un der schrieb, ick solle man kommen, et wäre ville Arbeit da, un die würde jut bezahlt. Ick wollte doch meiner lieben Ollen 'n bißken unter de Arme jreifen, un in Berlin jing det Geschäft nich recht von wejen zu ville Arbeitskräfte, da entschloß ick mir, rüber zu machen. Die liebe Verwandtschaft legte det Reisejeld vor mir zusammen un denn habe ick so 'n Sticker sechs Monat uff so 'n ollen Sejelkasten rumjeschaukelt. Wie ick nu nach Sidney kam, war mein juter Onkel tot und de liebe Verwandtschaft dort verleugnete mir, weil ick nich standesgemäß ufftreten konnte, un mit de Arbeit war et ooch nischt. Ick war jerade an't Verhungern, als mir Kapitän Dierks sah. Jott habe ihm selig, er war jut zu mir. Ick dauerte ihm in meine Not, un er sagte, er wolle mir mitnehmen nach Rostock; ick könnte mir unterwegs als Schneider un als Schiffskellner un sonst nützlich machen. Da dachte ick, det olle Australien, wo se nich emal 'n Berliner Schneiderjesellen richtich ästimieren, kann der Kuckuck holen, ick jehe wieder nach Berlin, un so kam's, det Sie mir uff det jroße Salzwasser jefunden haben, Herr Kapitän.«
Der Junge erzählte dies in seinem unverfälschten Berliner Dialekt mit unverkennbarer Treuherzigkeit, und das gefiel Kapitän Jansen. Ernst fragte er dann: