»Ja, diese Idee befällt mich auch stets beim Anblick von Ahnenbildern. Befindet sich kein Portrait von Roberts Mutter im Hause?
»Nein. Auch in Onkel Ralphs Zimmer nicht. Ich rathe Dir übrigens, lieber nicht von ihr zu reden – es wird ihrer hier niemals erwähnt. Komm, jetzt wollen wir weiter gehen.«
Nunmehr ward Eva durch das ganze Haus geleitet. Stiegen auf und Stiegen ab; in sämmtliche Empfangs-, Wohn- und Nebenräume – mit Ausnahme des vom Grafen Ralph bewohnten Flügels – in Billardsaal, Bibliothek, Gastzimmer, Kapelle, Küche, Vorrathsräume, Dienerwohnungen, Badekabinet, Garderobe- und Wäschekammer, alles elegant und wohlhabend, jedoch ohne Luxus eingerichtet. Großstetten war ein schöner, großer, vornehmer Wohnsitz, aber eine Stätte künstlerischer oder fürstlicher Pracht war es nicht.
Auf die Besichtigung des Schlosses folgte ein Rundgang durch die unweit liegenden Wirtschaftsgebäude, durch Kuh- und Pferdeställe, Milch- und Sattelkammern, Maschinen- und Wagenremisen, durch Park und Küchengarten, durch glasgedeckte Warm- und Kalthäuser und es war schon gegen vier Uhr Nachmittags, als Eva von ihrer Führerin frei gegeben ward.
»So, hier sind wir vor Deiner Wohnungsthür – ich lasse Dich jetzt allein: Du wirst müde sein, ich bin es gleichfalls. Ah, da kommt gerade auch Dein Mann nach Haus – so mache ich mich desto rascher aus dem Staube. Junge Eheleute soll man so wenig als möglich stören, habe ich mir sagen lassen. Adieu.«
Robert und Eva traten gleichzeitig in ihre Wohnung. Der junge Mann warf sich auf einen Stuhl und streckte die Glieder:
»Uff! Ist das eine Hitz‘! Ich war auf den Feldern draußen und da brannte mir die Sonne ins Genick … Das ist ein hartes Handwerk, wie es scheint, die Oekonomie – auch nicht viel besser wie die Kasernenschinderei.
Er gähnte geräuschvoll. Dann stand er auf und näherte sich der Thür des Nebenzimmers.
»Robert – willst Du nicht ein wenig hier bleiben? Ich möchte Dir gern erzählen, wie es mir in Großstetten gefällt. – Irene hat mich überall herumgeführt.«
»Wie soll Dir‘s gefallen? Es ist so wie hundert andere Schlösser auch. Bis Du erst Dornegg gesehen haben wirst, das unsern nächsten Nachbarn – den Dürrenbergs – gehört, das ist etwas anderes.«
»Ich finde es sehr schön hier – und, Robert, es soll ja unser Heim sein … Der Gedanke hat etwas eigenthümlich Ergreifendes Nicht?«
»Geh, sei nicht sentimental.«
»Du hast mir eigentlich noch kein herzliches Wort gesagt, seitdem wir in Großstetten eingefahren. Ein »Willkommen zu Hause!« hättest Du mir doch bieten können.«
»Erstens sind wir gar nicht zu Hause da. Der Herr bin nicht ich – sondern der Vater; Schloßfrau bist nicht Du – sondern die Großmutter. Wir sind eigentlich Gäste hier – und das nicht einmal: ich soll da als Wirthschafts-Praktikant fungiren – hübsche Unterhaltung!«
»Wie Du Alles von der schlimmen Seite auffassest! Auch auf unserer Reise, wo ich über so Vieles entzückt war, hast Du so viel auszustellen gefunden,«
»Das glaube ich. Mich bringt man auch nicht so bald wieder dazu, den Strapazen, Unbequemlichkeiten und Langweiligkeiten einer solchen Wanderschaft mich auszusetzen. Kein Wort von der Sprache verstehen – die elenden italienischen Waggons, die faden Orangen- und Zitronenbäume – die ekelhaften tables-d‘hôtes. Gut, daß wenigstens das überstanden ist. – Ich geh jetzt meine Sachen auspacken.«
Eva hielt ihn nicht mehr zurück.
»Ja,« sagte sie sich mit einem bitteren Seufzer, »die Hochzeitsreise ist »überstanden« – aber das ganze lange Eheleben liegt vor uns: wie wird das zu überstehen sein?«
II
Eva Siebeck hatte keine Familie: Geschwister hatte sie nie besessen, und die Eltern waren seit mehreren Jahren gestorben. Sie war – obgleich als Sproß eines angesehenen freiherrlichen Hauses geboren – in beschränkten Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater, ein vermögensloser Offizier, hatte eine gleichfalls vermögenslose Cousine geheirathet. Als Eva ungefähr zehn Jahre alt war, stürzte der damals Majorsrang bekleidende Baron Holten mit dem Pferde, wobei er sich den Fuß brach, und wurde – mit Obersten-Charakter – in den Ruhestand versetzt. Seine Pension und eine von reichen entfernten Verwandten gewährte Apanage gaben nunmehr die ganzen Hilfsquellen ab, mit welchen die Gatten ihr Leben und die Erziehung ihres Töchterchens bestreiten mußten. Um dies auf halbwegs standesmäßige Weise zu ermöglichen, ließen sich Baron und Baronin Holten in einer kleinen Kreisstadt nieder. Hier waren die Lebensmittel billig und die allgemein herrschenden Lebensgewohnheiten sehr einfach.
Dennoch wurde Eva nicht nur nicht einfach, sondern geradezu glänzend erzogen. Freilich kostete das nicht viel, denn Gouvernante und Meister gaben die Eltern selber ab. Baronin Holten besaß umfassende Sprach- und Musikkenntnisse, konnte auch recht hübsch malen, welche Talente sie auf die kleine Eva übertrug; und der Baron – der seit jeher ein Freund geistiger Anregung gewesen und nunmehr, seit der Unterbrechung seiner militärischen Laufbahn, sich ganz und gar verschiedenen Studien widmete und seine größte Zerstreuung in der Lektüre wissenschaftlicher und dichterischer Werke fand – beschäftigte sich seinerseits mit Evas litterarischer Ausbildung.
Das kleine Mädchen war sehr begabt, und mit jedem Tage wuchsen ihre Fertigkeiten und Kenntnisse. Nebenbei entfaltete sich auch ihre Schönheit zu frühzeitiger Blüte. Mit dreizehn und vierzehn Jahren besaß sie die Erscheinung einer erwachsenen Jungfrau. Schon hatten – als sie ihren fünfzehnten Geburtstag feierte – ein Apothekergehilfe, ein dicker k. k. Major a. D., ein Hausherrensohn und ein Gymnasial-Unterlehrer, welche sich aus der Entfernung in die junge Baronesse verliebt, schriftlich und schwärmerisch um ihre Hand angehalten und waren ebenso schriftlich und lächelnd abgewiesen worden.
Daß die so herrlich begabte Kleine bestimmt sei, eine glänzende Stellung in der Welt einzunehmen, das stand bei den Eltern fest. Auch in ihr selber regten sich allerlei ehrgeizige Wünsche und Hoffnungen. Damals war es, daß die Idee, als große Tragödin die Welt zu erobern, in ihrem Innern keimte. Davon aber wollten Vater und Mutter nichts wissen. Die Trägerin des Namens Holten konnte sich – so meinten sie – nicht dazu erniedrigen, die Bühnenbretter zu betreten; ihr würde eine viel passendere und zugleich sicherere Möglichkeit geboten sein, ihr Glück zu machen: nämlich dasjenige, was in der Gesellschaftssprache eine »gute Partie« heißt. Aus diesem Ziele machten übrigens die Eltern dem Töchterchen gegenüber kein Hehl. Eva selber hatte nichts dagegen einzuwenden. Eine große Dame zu werden, ihre angeborenen Gelüste nach vornehmer Lebensführung befriedigen zu können: eine solche Aussicht lächelte ihr wohl zu. Aber als wichtigste Bedingung zur Annahme einer »guten Partie« behielt sie – die Poesie-Belesene – sich im Geiste vor, daß dabei auch das Herz seine Rechnung finden, daß ihr einstiger Gatte so liebend und so geliebt sein müsse, als nur irgend möglich. In dem kleinen Städtchen, das die Holtens bewohnten, hätte sich zur Verwirklichung dieser Pläne schwerlich Gelegenheit gefunden. Daher ward beschlossen, daß Eva, wenn herangewachsen, ein oder zwei Winter in Wien zubringen sollte, um dort in die große Welt, welcher sie der Geburt nach ja angehörte, eingeführt zu werden. Die hierzu nöthigen Mittel – nämlich ein paar Tausend Gulden für Toiletten, Wohnung u. s. w. – konnten in einigen Jahren zurückgelegt werden. Große Summen waren ja nicht erforderlich; denn die Eltern