»So? Nein – das habe ich vergessen. Es ist schon geläutet worden – und Du bist nicht bereit, Eva? Hab ich Dir nicht gesagt, daß Du Dich rechtzeitig fertig machen sollst? Immer diese Bandlerei – — Ich gehe voraus – die Iri kann Dich hinaufführen.« Damit schloß er die Thür wieder hinter sich zu.
Irene schüttelte langsam den Kopf.
»So habe ich mir die Gattung Turteltäuberich bisher nicht vorgestellt.« sagte sie. »Kommst Du, Eva?«
Eva war in das Nebenzimmer an den Toilettentisch getreten. »Gleich, gleich – nur noch diese Haarnadel…«
Das Bild, das ihr der Spiegel zurückwarf, das war – die junge Frau mußte es sich selber sagen – ein tadellos schönes. Reiches, goldblondes Haar – an welchem die blendend weißen Händchen eben nestelten —; zarte Gesichtsfarbe, große, von dichten aufgebogenen Wimpern umschattete Augen, kirschrothe Lippen, eine schlanke und doch in harmonischer Fülle gerundete Gestalt! – »Ja. Hübschsein ist schon angenehm,« flog es durch ihren Sinn – »aber ich habe mir den Eindruck, den dies auf den eigenen Gatten hervorbringen sollte, auch anders vorgestellt… Je nun – so ist das Leben… Ich bin fertig, Iri.«
Arm in Arm gingen die Beiden durch die Einfahrtshalle und dann die breite Haupttreppe hinauf. Eva blickte mit neugierigem Interesse um sich. Dieses Schloß sollte ja vorläufig ihr Heim sein und einst, in später Zukunft, ihr Eigenthum und noch später Eigenthum ihres Sohnes – wenn ihr der Himmel einen solchen schenkte. »So neu – Alles so neu,« mußte sie wieder denken, – die ganze Umgebung, ihr ganzes Schicksal.
»Du fragtest mich vorhin,« unterbrach sie ihr Sinnen laut, indem sie auf einem Treppenabsatz stehen blieb. »Du fragtest mich, ob das Verheirathetsein nicht sehr sonderbar ist? Ja, das ist es … Wenn ich denke: vor sechs Monaten wußte ich noch gar nicht, daß es ein Großstetten giebt, und heute bin ich hier – zu Hause. Du mußt mir Nachmittags das ganze Schloß zeigen und den Park – der scheint wunderschön zu sein – von diesem Stiegenfenster aus sieht man ja einen Teich – und im Hintergrund die bewaldeten Berge… es ist herrlich!«
»O ja – es ist recht hübsch hier. Aber daran gewöhnt man sich. Mir kommt es etwas langweilig vor . . Ich gäb‘ was drum, wenn mich die Großmama nach Karlsbad oder Ostende oder Dieppe führen wollte – aber da hat es keine Gefahr.«
Ein eben vorbeigehender Diener öffnete den jungen Damen eine Thür, und nachdem sie einen großen und einen kleinern Empfangssaal durchschritten, traten sie in das Speisezimmer, wo schon mehrere Personen um die gedeckte Tafel saßen. Der Raum war etwas dunkel, da vor den Fenstern die Rollvorhänge herabgelassen waren, um die Strahlen der heißen Mittagssonne auszuschließen. Bei ihrem Eintritt konnte Eva, welche aus der Helle kam, die anwesenden Personen nicht deutlich wahrnehmen, nur das Silber- und Krystallgefunkel auf dem Tisch fiel ihr in die Augen.
»Hierher, Eva, hierher!«
Es war Graf Ralph, welcher ihr entgegenkam und sie an der Hand zum oberen Ende des Tisches führte, wo seine Mutter bereits Platz genommen. Er rückte ihr den Sessel zurecht: »Hier neben die Mama – und ich setze mich an Deine andere Seite.«
Robert saß am untern Ende des Tisches zwischen zwei Jünglingen von vierzehn bis siebzehn Jahren. Außerdem waren noch anwesend: ein junger Mann mit einem blassen bartlosen Gesicht – der Hofmeister —, ein älterer, jovial aussehender, rundlicher Herr und eine sehr magere, grauhaarige Dame.
»Hast Du Dich schon ein wenig im Hause umgesehen?« fragte die alte Gräfin freundlich, und ohne die Antwort abzuwarten: »Nimmst Du Thee?« Seitwärts von ihr stand ein Tischchen mit Samowar und Schalen.
»Wenn ich bitten darf, Großmama …«
Eva schaute zu der alten Dame auf. Sie kannte sie wohl schon von früher: zwei oder drei offizielle Besuche waren vor der Hochzeit abgestattet worden, und auch der Trauung hatte die Gräfin beigewohnt. Aber jetzt erst war in Eva der Gedanke aufgestiegen: – »Ach könnte ich in Dir eine Mutter finden!« Wie freundlich diese blauen Augen leuchteten – wie ehrwürdig und hübsch zugleich diese hochgesteckten Silberhaare unter der schwarzen Spitzenhaube, wie vertrauenerweckend das ganze, zwar welke, aber so vornehm zarte Gesicht…
Dann wandte sie ihren Blick auf ihren andern Nachbar, der ihr eben eine Schüssel hinhielt. »Und dieser – wird er mir wohl ein Vater sein?« Aber zu diesem Gedanken mußte sie selber lächeln, und unwillkürlich machte sie eine verneinende Kopfbewegung.
»Du willst nicht?« Und er wollte die Schüssel wieder fortstellen.
»Doch, doch, ich bitte —«
»Warum hast Du denn so abweisend den hübschen Kopf geschüttelt?«
»Das war eine Antwort auf eine mir selber vorgelegte Frage.«
»Wie wäre es, wenn Du jetzt lieber frühstücktest, statt Selbstgespräche zu führen? Das wird stärkender sein.«
»Eva ist ganz entzückt von Großstetten,« nahm jetzt Irene das Wort, »obwohl sie davon noch nichts gesehen hat als das vom Stiegenfenster eingerahmte Stückchen. Der Teich hat ihr gewaltigen Eindruck gemacht – so gewaltig, daß sie mir feierlich erklärte: Verheirathet sein, sei etwas Sonderbares.«
»Iri, mein Kind, mußt Du denn immer Unsinn schwatzen?« rügte die Großmutter. »Es wird mich sehr freuen,« wandte sie sich an Eva —, »wenn es Dir hier gefällt. Ich habe den Ort, in dem ich fünfundvierzig Jahre verlebt, so lieb, daß ich gar nicht begreifen kann, wie man anderswo sein wollte – und ich nehme es meinem Herrn Sohn da sehr übel, daß er oft so weite Reisen macht und mitunter zwei bis drei Jahre abwesend bleibt.«
»O, ich begreife die Leidenschaft des Reisens,« entgegnete Eva. »Schon als Kind war es mein Traum, fremde Länder und Städte kennen zu lernen.« Und zu Ralph: »Waren Sie auch schon in Amerika?«
»Sie?« wiederholte er vorwurfsvoll. »Du wirst doch zu Deinem Schwiegervater nicht Sie sagen? Ja, ich bin schon – mit Ausnahme von Australien – in allen Welttheilen gewesen. Vielleicht geht meine nächste Reise nach Melbourne.«
»Warum nicht gar!« rief die alte Gräfin. »Dagegen protestire ich. Jetzt zähle ich sechsundsechzig Jahre, da kannst Du schon noch da bleiben, so lang ich lebe. Sag‘ Du, dort unten, Robert: Du wirst doch hoffentlich seßhafter sein als Dein Vater und hast von ihm die Wanderlust nicht geerbt.«
»Von mir hat er gar nichts geerbt,« murmelte Ralph.
Robert antwortete: »Ich finde das Herumzigeunern sehr unbequem und eigentlich fad.«
»So? Das sagst Du, nachdem Du von der Hochzeitsreise kommst? Das ist nicht liebenswürdig, Herr Vetter,« bemerkte Irene. »O, es war ja ganz hübsch – aber zu Haus ist‘s doch am besten … die fremden Leute, die fremde Sprache … das Alles ist so mühselig – und die fremde Kost kann mir schon gar nicht schmecken. Das schönste Leben ist in Wien —«
»Und in Großstetten?« meinte die Großmutter.
»Zur Jagdzeit allenfalls – jetzt, um diese Jahreszeit, ist es auch etwas öd hier.«
Ein schmerzlicher Ausdruck glitt über Evas Züge. Doch da sie fühlte, daß ihres Schwiegervaters Blick betrachtend auf sie gerichtet war, verscheuchte sie ihren Unmuth und wandte den Kopf zu Ralph, in der Absicht, eine gleichgiltige, ablenkende Bemerkung zu machen. Aber der verständnißinnige, sympathieerfüllte Ausdruck, den sie in seinem Gesicht sah, machte sie verstummen. Es war wie eine mitleidsvolle Frage, die da geschrieben stand, und sie konnte nicht anders, als auch ihrerseits durch stummes Mienenspiel gleichsam sagen: Ja, so ist es.
Nachdem die Tafel aufgehoben, begab man sich in den anstoßenden Salon und jetzt erst erhielt Eva Auskunft über die ihr noch unbekannten Tischgenossen. Der junge Mann mit dem bartlosen