Trotz unserer großen Vorsicht waren mir und einigen meiner Nachbarn also wieder Pferde geraubt worden. Diesmal schloß ich mich den Nachsetzenden — und wie sich auswies, den vergeblich Nachsetzenden — nicht an; der Zustand meiner Frau bekümmerte mich zu sehr. Die Angst um ihr Kind hatte den Keim einer tödlichen Krankheit in ihre Brust gelegt, wodurch sie auf mehrere Wochen ans Bett gefesselt wurde; sie erholte sich zwar wieder etwas, doch nach vier Monaten ging der Fluch des Wilden an mir in Erfüllung, ich stand mit meinen fünf Söhnen am Sarg meiner braven, getreuen Lebensgefährtin. Ich begrub sie auf einer Schwellung der Prärie, die ich von meiner Haustür aus übersehen konnte. Um das Grab zog ich aus starken Pfosten eine Einfriedung, befestigte an derselben ein Brett, und da ich selbst nicht gut schreiben kann, so zeichnete ein Nachbar den Vor- und Zunamen meiner Frau auf dasselbe. Auch den Tag ihrer Geburt und ihres Todes ließ ich aufschreiben sowie einen schönen Spruch aus der Bibel. Ich bin kein Meister im Lesen, doch wenn ich jeden Morgen von meiner Hütte aus die Blicke nach der Ruhestätte meiner so braven Frau hinübersandte, dann las ich wie in einem Buch die Beschreibung der glücklichen Tage, die ich mit ihr verlebte, aber auch der Einsamkeit, in die ich durch ihren Tod versetzt war.«
Hier seufzte der alte Mann, rieb sich mit der Rückseite der gebräunten Hand die Augen und fuhr dann fort: »Nur noch einmal sah ich die Prärieblumen auf dem Grab blühen. Besorgt um meine Söhne, die schon anfingen, ihre Rachepläne zu schmieden, den Komantschen ewige Feindschaft gelobt hatten und dadurch sehr leicht hätten zugrunde gehen können, verkaufte ich eines Tages mein Eigentum an einen einwandernden Geistlichen. Die Sachen, von denen ich mich ungern trennen mochte, packte ich auf einen von vier tüchtigen Pferden gezogenen Wagen und trat dann auf der Gila-Straße die lange Landreise nach Kalifornien an. Seit Jahren bin ich nun schon hier, doch kann ich nicht verhehlen, daß ich vor meinem Ende noch gern einmal das Grab meiner Frau wiedersehen möchte; wahrscheinlich aber sind schon Häuser auf demselben und um dasselbe herum gebaut worden«, schloß mit rauher Stimme der alte Grenzbewohner seine Erzählung.
Der kranke Knabe, der, den Worten seines Vaters lauschend, so lange ruhig gelegen hatte, begann nun wieder zu klagen; ich untersuchte ihn und fand, daß von starkem Rheumatismus Knie und Lende angeschwollen waren. Ich riet daher zu einem Hausmittel, nämlich heiße Steine an die schmerzenden Teile zu legen, was auch wirklich etwas Linderung zu bewirken schien.
Viertes Kapitel
Der Santa-Clara-Fluß — San-Francisquito-Cañon — San-Francisquito-Paß — Der erste Schnee — Der Elisabeth-See — Spuren von Erdbeben — Das große Becken (Great Basin) — »Irish John« — Der Castecasee — Cañada de las Uvas — Fort Tejon — Ausflug nach dem Tularetal — Kern Lake — Kern River
Die Wagen langten endlich an, und herein traten meine vom kalten Wind durchwehten Gefährten, denen sogleich Platz vor dem Kaminfeuer gemacht wurde. Unsere Leute schickten wir mit dem Gepäckwagen voraus, mit der Weisung, im San-Francisquito-Cañon am ersten Wasser das Nachtlager aufzuschlagen. Wir selbst brachten noch einige Stunden in dem Blockhaus zu, und erst kurz vor Abend verließen wir Hearts Farm, von wo wir zuerst in ein breites, sandiges von Gebirgsketten eingeschlossenes Tal gelangten. Massenhaftes Treibholz auf der Ebene sowie in trockenen, sandigen Betten von Bächen bezeichnete uns den oberen Santa-Clara-Fluß, der an dieser Stelle nur beim Schmelzen des Schnees in den Gebirgen oder nach heftigen Regengüssen Wasser führt, zu anderen Zeiten aber, auf das Wasser zahlreicher Gebirgsquellen beschränkt, dasselbe streckenweise auf unterirdischem Weg der Südsee zuträgt, während auf der Oberfläche, in dem wirklichen Flußbett und den einmündenden aufgewühlten Furchen, der Wind trockenen Sand und Staub umherwirbelt.
In raschem Trab eilten unsere Pferde mit dem leichten Wagen über die acht Meilen breite Fläche gegen Norden; die Gebirgsketten rückten uns zu beiden Seiten näher, und bald befanden wir uns in dem Schatten einer sich schnell verengenden Schlucht, umgeben von nächtlicher Dunkelheit. Fast bereuten wir es, so lange bei dem alten Ansiedler gesäumt zu haben, denn zu der schwarzen Finsternis gesellte sich noch ein heftiger Sturm, der uns feinen Sand in die Augen trieb und die Pferde unlenksam machte. Wir fuhren an einer verlassenen Hütte vorbei und dann an einer anderen, aus der uns Licht entgegenschimmerte; doch hielten wir uns nicht auf, indem wir wußten, daß wir den rechten Weg nicht verfehlt hatten und im San-Francisquito-Cañon unmöglich an unseren Leuten vorbeifahren konnten. Endlich bog das enge Tal gegen Osten ab, ein fließender Bach durchschnitt mehrfach die Straße, die unebener und steiniger wurde, und bald darauf erblickten wir in geringer Entfernung vor uns die Kronen der Bäume sowie die nahen Felswände rot erleuchtet, während dichtes Unterholz das Feuer selbst noch verbarg. Wir erkannten indessen die fröhlichen Stimmen der Mexikaner; einzelne Lichtstrahlen brachen verstohlen durch das Gebüsch, und plötzlich befanden wir uns vor einem mächtigen Scheiterhaufen, um den sich unsere Leute gelagert hatten. Es war dies die erste Nacht, die wir im Freien zubringen sollten, und es gab daher manches zu suchen und zu fragen; auch die ungewohnte Arbeit des Aufrichtens der Zelte nahm längere Zeit in Anspruch, und so wurde es denn ziemlich spät, ehe wir uns in unsere Decken wickelten und vielleicht noch ein Weilchen das Geräusch in unserer Umgebung vernahmen, bis der Schlaf uns endlich alles vergessen machte. — Das trockene Holz in den Lagerfeuern knisterte, die harten Maiskörner knackten und krachten zwischen den zermalmenden Zähnen der Pferde, der Ziegenmelker ließ seine melancholischen Ruf ertönen, hoch oben im Gebirge aber heulte der Sturm seine wilde Melodie, im heftigen Andrang schmetterte er morsche Baumstämme zu Boden und fegte niedrig hängende Wolken über diese hin, während unten in der Schlucht die belaubten Bäume sich leise wiegten und die vom Herbst getöteten Blätter zitternd und lispelnd zu Boden sanken.
Am folgenden Morgen, dem 13. November, in aller Frühe rüsteten wir uns zur Weiterreise. Der Wind hatte sich gelegt, das Wetter war so schön, so klar, die Kuppen der Berge schwammen in Sonnenschein, und im Schatten der Felsen und Bäume führte die Straße dahin, die der San Francisquito Creek mit seinen Schlangenwindungen immer von neuem durchschnitt. Verlockt durch den schönen Morgen, eilte ich dem Wagen voraus und ergötzte mich bald an der malerischen Umgebung, bald an dem Treiben der kleinen Tierwelt, welche die Schlucht vielfach belebte. Es war dies das erstemal, daß ich mich seit dem Antritt meiner Reise wieder von Herzen glücklich fühlte, zum erstenmal, daß ich mich wieder ungestört einem Genuß hingeben konnte, den allein die Natur liebreich ihren warmen Verehrern zu gewähren vermag. Mit inniger Freude denke ich an jenen Morgen zurück, wo ich in der Krone jedes Baumes, in jedem hervorragenden Felsen, in jedem Spiegel und jedem kleinen Fall des klaren Baches einen Gruß für mich zu finden meinte. Ich horchte auf den lauten Flügelschlag der auffliegenden Tauben, auf das ernste Schnarren der zänkischen Häher und auf das tausendfache Locken der reizenden Rebhühner, die eben ihren Frühtrunk genommen hatten und spielend ins Gebirge eilten. Ich sah flinke Wiesel und neugierige Eichhörnchen, die bei meiner Annäherung scheu flohen und sich hinter Steinen oder in Höhlen verbargen; ich beobachtete sie, wie sie aus ihrem Versteck mit gerecktem Hals und klugen Augen zu mir herüberschauten und dann, sobald ich an ihnen vorbei war, schnell hervor- und auf einen erhöhten Gegenstand sprangen, sich aufrecht hinsetzten, mir gleichsam verwundert nachguckten und endlich in drolligen Sprüngen sich wechselseitig jagten. Ich sah alles, und von allem nahm ich eine freundliche Erinnerung mit; ich sah auch einen Wolf, aber nur in weiter Ferne; er schien dort nicht hinzugehören.
Meile auf Meile legte ich zurück auf dem vielbefahrenen Weg. Es war dies nämlich die Emigrantenstraße, die von Pueblo de los Angeles durch den Tejonpaß nach den Tularetälern und den Goldminen am San-Joaquin-Fluß führt. Zu beiden Seiten erblickte ich Sandstein und Granitfelsen, doch schien höher hinauf letzterer vorherrschend zu sein. — An den Basen der Berge und auf den Ufern des Baches erkannte ich außer Cottonwood-Bäumen auch Platanen und Eichen, während an den Abhängen der Berge sich in Gruppen der bekannt schöne Manzanitastrauch und der Sägebusch zusammendrängten, zu denen nahe den Gipfeln noch verkrüppelte Zedern kamen.
Als