Fröhlichen Mutes zogen wir unsere Straße weiter; Meile auf Meile legten wir zurück, doch schienen wir uns dem See nicht zu nähern. Wir unterhielten uns, wir sangen, aber der Weg wollte dadurch nicht kürzer werden; wir wechselten jeden Augenblick unsere Stellung, um den heftigen Stößen des schnell rollenden, federlosen Wagens zu entgehen, doch vergeblich; Louis pfiff mit eigentümlicher Negerfertigkeit Hunderte von Melodien, und auch diese nahmen trotz unserer Lobeserhebungen ihr Ende. Nur die Flaschenkörbe, die Louis fast zu nahe in unseren Bereich gestellt hatte, schienen gleichgültig gegen alles zu bleiben und sich jede beliebige Handhabung gern gefallen zu lassen. Die armen Flaschen — wenn sie Gefühl hatten, mußten sie empfinden, daß sie leichter wurden, denn der Staub des Weges machte die Gaumen trocken.
Der tiefblaue Himmel hatte sich mit seinem funkelnden Sternenheer überzogen, und ein rötlicher Schimmer am nördlichen Horizont erinnerte nur matt an den hellen Sonnenschein des Tages, als wir am Kern Lake nahe einer Öffnung in den Binsen anhielten und unser Nachtlager aufschlugen. Louis, unser sorglicher Louis, den Mangel des Holzes vorhersehend, hatte sich vom Fort aus einen Vorrat mitgenommen, wodurch er in die Lage gesetzt war, uns an diesem Abend schon seine Kunstfertigkeit als Koch zu beweisen; er pflegte uns vortrefflich, wofür er von allen Seiten mit Lobeserhebungen überschüttet wurde, die er auf seine eigentümlich herablassende Weise hinzunehmen wußte.
Es war schon zu spät, um den herrlichen Abend noch lange genießen zu können; ein früher Aufbruch am folgenden Morgen war verabredet worden, weshalb denn auch jeder sich zur nächtlichen Ruhe bald in seine Decken wickelte. Die Stimmen im Lager verstummten, die gesättigten Tiere standen regungslos umher, einige Kohlen glimmten noch matt in der Asche, und leise spielte der Wind mit den beweglichen Binsen. Tiefe Ruhe herrschte überall, nur vom See herüber schallte mitunter das abgebrochene Geschnatter einer träumenden Ente oder der heisere Ruf eines wachsamen Kranichs, wenn vielleicht vertrocknete Binsen unter dem schleichenden Tritt raubgieriger Wölfe kaum hörbar knackten.
In vollster Pracht entstieg am 17. November die Sonne den eisgekrönten Gipfeln der Sierra Nevada; belebend schossen die ersten Strahlen hinter den geröteten Gebirgszacken hervor und eilten, Wärme verkündend, über die weißbereifte Ebene. Tausende von Stimmen wurden laut und erfüllten mit ihrem Jubelruf die Atmosphäre, die wie ein duftiger Schleier über der ganzen Landschaft zu schweben schien. Lange Reihen von Gänsen erhoben sich von dem breiten Wasserspiegel und eilten den grasreichen Ufern zu, Scharen von Enten kreisten mit pfeifendem Flügelschlag über dem See, während weißgefiederte Pelikane und Schwäne majestätisch die stille Flut durchschnitten und kurzbeschwingte, schwerfällige Taucher wie neidisch zu dem regen Leben in den Lüften emporschauten.
Ich feuerte einen Schuß durch die Öffnung in den Binsen auf eine Herde der harmlosen Schwimmer; der Schall rollte in Schwingungen über die weite, glatte Fläche und vermischte sich mit dem lufterschütternden Geräusch, das durch Tausende von Vögeln erzeugt wurde, die sich in dichten Schwärmen nach allen Richtungen hin erhoben und je nach ihren Eigentümlichkeiten kleine oder große Kreise über dem See beschrieben.
Nur kurze Zeit dauerte diese Aufregung, die Schwärme senkten sich, das Wasser mit den Flügeln peitschend glitten die verschiedenartigen Vögel eine kurze Strecke auf demselben fort, ließen sich dann nieder, schauten sich wie verwundert um und putzten und ordneten ihre Federn, als ob nichts vorgefallen wäre.
Ich gab nach dem ersten Versuch diese Art von Jagd auf, denn vergeblich spürte ich auf dem sumpfigen Boden nach einer festen Stelle, um zu meiner Beute zu gelangen; und so blickte ich denn traurig zu den Geschöpfen hinüber, denen ich aus Laune das Leben geraubt hatte. Ein verwundeter, schön gefiederter Pelikan wurde langsam vom Wind der Mitte des Sees zugetrieben; einige seiner Gefährten schwammen wie teilnehmend um ihn herum, und als sie sich augenscheinlich von dem Sterbenden nicht trennen wollten und dieser, wie Hilfe erflehend, den langen Hals seinen Freunden entgegenreckte, da war es mir, als hätte ich einen Mord begangen, und unwillkürlich gedachte ich der schönen Worte unseres Dichters:
Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual!
»Alles bereit!« rief der Neger, als er die dampfenden Schüsseln auf den Feldtisch stellte.
»Alles bereit!« rief bald nachher auch der Kutscher. Wir nahmen unsere Plätze ein, und fort ging es in östlicher Richtung am Ufer des Sees hin, dessen glänzender Spiegel uns fortwährend hinter den hohen Binsenwaldungen verborgen blieb. Die Reiter hatten sich von uns getrennt, nur Louis auf seinem kleinen weißen Klepper hielt gleichen Schritt mit unserem Wagen.
Ich kann es nicht leugnen, daß in dem Land, wo der Wert des Menschen vor allen Dingen nach der Hautfarbe bestimmt wird und wo die afrikanische Menschenrasse nur den Rang von brauchbaren und nützlichen Tieren einnimmt, ich mich immer ganz besonders für die Sklaven interessierte. Der Gedanke, daß der Mensch, das Meisterwerk einer schöpferischen Natur, zu einer verkäuflichen Ware herabgewürdigt sei, weil, wie der Indianer es bezeichnet, die Sonne der heißen Zone seine Haut schwarz brannte, erweckte bei mir das tiefste Mitgefühl. Sowohl aus Neigung als auch um den Andersdenkenden meine Nichtachtung, ja Verachtung ihrer unwürdigen Gesinnungen hinsichtlich der Neger vor Augen zu legen, begegnete ich daher dem Sklaven stets mit derselben Freundlichkeit wie dem freien Weißen. Die natürliche Folge hiervon war, daß erstere ihre Dankbarkeit gegen mich zur Schau trugen, wofür ich dann nicht selten auf unangenehme Weise mit letzteren verwickelt wurde.
Auf der Reise zum Tularetal war es anders; meine Gefährten waren lauter liebenswürdige Leute, die freilich meine Meinung nicht ganz teilten, jedoch die persönlichen Ansichten — aber auch nur als die eines weißen Menschen — zu hoch achteten, als daß dieselben zu einer Streitfrage hätten werden können. Es verstand sich also von selbst, daß Louis mein guter Freund wurde, mit dem ich mich vielfach beschäftigte und unterhielt. Seine einfältigen Ideen, mehr aber noch sein komisch linkisches Benehmen ergötzten mich, doch stimmte es mich auch wieder trübe, in ihm einen offenen Kopf zu entdecken, dessen geistige Fähigkeiten systematisch unterdrückt und in eine Richtung geleitet waren, die aus ihm nichts als einen guten Sklaven werden ließ; das heißt einen Menschen, der nicht imstande ist, selbständig zu handeln. Louis war freilich seinem Äußeren nach kein Muster von Schönheit, doch ein so gesunder, kräftiger Negerbursche, wie man ihn nicht besser finden kann. Er ritt also neben dem Wagen, pfiff und sang und gab mir durch Zwinkern mit den Augen sowie durch sein merkwürdiges Lachen zu verstehen, daß er sich gern mit mir unterhalten möchte.
Ich wandte mich zu ihm mit der Frage: »Nun, Louis, was hast du auf dem Herzen?«
Louis drehte sich auf dem Sattel, warf beide Beine nach der einen Seite hinüber, zeigte alle seine elfenbeinartigen Zähne und antwortete: »Master, ich kann’s nicht sagen!«
»Warum denn nicht?« rief ich ihm zu. »Nur heraus mit der Sprache!«
»Well, ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen!«