V
Die Ausreise der beiden Karavellen erfolgte im Sommer 1526. Der Tag ist nicht genau bekannt. Pizarro befehligte auf dem einen, Almagro auf dem andern Schiffe. Als Lotse diente Bartolomäo Ruiz, ein kluger, tatkräftiger, erfahrener Seemann, der die Südsee einigermaßen kannte. Er war aus Moguer in Andalusien gebürtig, einem Orte, der schon dem Kolumbus tüchtige Seeleute gestellt hatte.
Ruiz verschmähte das ängstliche Hinfahren an der Küste. Er ging in die hohe See und steuerte geradenwegs nach der Mündung des Rio de Juan, dem südlichsten bisher erreichten Punkt. Die Luftlinie zwischen beiden Orten beträgt 550 km. Ohne Unfall und in wenigen Tagen fuhr man in den Strom ein. Pizarro und Almagro landeten, überfielen mehrere Dörfer, trieben Gold und Silber in nicht unbeträchtlicher Menge bei und nahmen auch einige Eingeborene zwangsweise mit an Bord.
Pizarro, der sich dauernd Gedanken machte über die unzulängliche Gefechtskraft seines kleinen Heeres, setzte es durch, daß man diese erste Beute als Werbemittel nach Panama zurücksandte. Eins der Schiffe ging also unter Almagro ab, um weitere Mannschaften anzulocken. Das andre kleinere, unter dem Kommando von Ruiz, erhielt den Auftrag, eine Erkundungsfahrt nach Süden auszuführen. Vor allem kam es Pizarro darauf an, bestimmte Nachrichten über das Reich Peru zu erhalten. Er selber blieb mit etwa 60 Mann am Rio de San Juan, in der Absicht, an geeigneter Stelle ein festes Lager zu errichten und von da aus Streif- und Beutezüge ins Innere des Landes zu unternehmen.
Ruiz fuhr ab. Bei günstigem Wind und Wetter nahm er seinen Kurs entlang der Küste gen Süden. An der Insel Gallo (ungefähr 2 Grad nördlicher Breite) ging er vor Anker. Die Kunde von der erneuten Ankunft der weißen Männer hatte bereits das ganze Küstenland durcheilt. Dem Seemann entging dies nicht, und da er keine Eroberung, sondern nur Erkundung vorhatte, unterließ er den ursprünglich geplanten Landungsversuch, fuhr weiter und erreichte am 21. September 1526 die Bucht von Sankt Matthäus, wie er sie benannte.
Die Ufer wimmelten von Neugierigen, die das Schiff der Fremden angafften. Die Dörfer, die man von Bord aus erblickte, machten den Eindruck von gesitteten Stätten. Offenbar hatte man weder Furcht noch Feindseligkeit im Sinne. Gleichwohl verzichtete der vorsichtige Ruiz auch hier auf die Landung und ging wieder in die hohe See. Wie glücklich sein Einfall war, sollte sich alsbald zeigen.
Zur Überraschung aller kam ein Schiff mit einem großen viereckigen Segel an zwei Masten in Sicht. Es war eine sogenannte »Balsa«, ein flaches Fahrzeug aus Holz mit einem Verdeck aus Rohr. Es hatte ein Steuer und keine Ruder. Die Spanier waren um so mehr erstaunt, als man bisher weder im Nordmeere noch in der Südsee auf oiffener See fahrende Indianer angetroffen hatte.
Ruiz behandelte die Leute auf das freundlichste. Sie gewannen Zutrauen und zeigten alles, was sie in ihrer Balsa hatten: goldenes Gerät, Gefäße aus Silber, polierte Spiegel, Stoffe aus Wolle und Baumwolle. Unter anderm besaßen sie eine Wage zum Abwiegen von Edelmetall. Am bemerkenswertesten aber waren feine Gewebe, mit bunten Abbildern von Vögeln und Blumen bestickt. Damit stellte Ruiz das bisher nur vermutete Vorhandensein eines Landes mit höherer Kultur fest. Er erfuhr fernerhin, daß die Stadt Tumbez nur wenig weiter im Süden liege, daß in ihrer Nähe im Lande große Schafherden weideten, von denen die Wolle stamme, und daß in den Häusern der Herrscher und Reichen an Gold und Silber ebensoviel vorhanden sei wie an Holz und Stoffen.
Sechs der Indianer, von denen zwei aus Tumbez waren, behielt Ruiz auf seinem Schiffe, um sie als Dolmetscher auszubilden. Die übrigen ließ er auf ihrer Balsa weiterfahren. Sodann setzte er seine Erkundungsfahrt fort. Er kam bis zum Punto de Pasado, etwa einen halben Grad südlich des Äquators gelegen, und errang den Ruhm, der erste Europäer zu sein, der in dieser Gegend die Mittagslinie der Erde überschritt.
Damit hielt er seinen Auftrag für erfüllt und trat die Rückreise an. Nach insgesamt 60 bis 70 Tagen traf er wieder am Rio de San Juan ein.
Während der Abwesenheit des Ruiz hatten Pizarro und seine Schar mancherlei zu überstehen. Irregeleitet durch Eingeborene, die ihm versichert hatten, wenige Leguas hinter dem Küstengehölz läge trockenes offenes Land, waren die Spanier nach Abfahrt des Schiffes in den Urwald marschiert; aber der Erwartung entgegen wurde der Wald immer düsterer und gewaltiger. Man geriet in die Vorberge der Cordilleren und schließlich in grausige Schluchten und Felsen. Über den Hängen erblickte man die steilen Wände des Gebirges und weiter in der Ferne die hohen Gletscher und vereisten Gipfel. Die Tierwelt wurde bunter und seltsamer. Man sah Affen, Papageien, Tapire, Jaguars, riesige Eidechsen, große Schlangen, zahllose Ameisen, grellfarbige Falter, allerlei Gewürm. An einem Flusse, der auf einem indianischen Boot überschritten wurde, fiel einer der Spanier einem Krokodil zum Opfer. Als die letzten vierzehn Mann auf dem Kanoe übersetzten, strandete es, und aus dem Hinterhalt stürzten Indianer hervor, die auf der Lauer gelegen hatten, und machten alle vierzehn nieder.
Man mußte zurück an die Küste, wo endlich der Lagerplatz ausgesucht wurde. Hier flogen Moskitos in unerträglicher Zahl. Um sich vor ihnen zu schützen, grub man sich tief in den Dünensand. Man nährte sich in der Hauptsache von Kartoffeln, Kakaobohnen, Mandelbaumfrüchten. Die mitgebrachten Vorräte waren zumeist auf dem Marsche durch den Urwald und bei dem Flußübergange verlorengegangen. Die Stimmung der kleinen Schar war verzagt und verdrossen. Nur wenige nahmen sich an ihrem Führer ein Beispiel, der gelassen und zuversichtlich auf die Rückkehr der Schiffe wartete. Zuerst traf Ruiz wieder ein. Sein Bericht, gestützt durch die handgreiflichen Beweise der auf der Balsa eingetauschten Waren, ließ die fast allgemeine Verzweiflung sofort in neue Reiselust und Beutegier umschlagen. Alle diese zusammengewürfelten, meist ungebildeten, sittlich minderwertigen oder verkommenen Abenteurer fielen von Extrem zu Extrem, je nach dem die Suggestionskraft des Goldes mit ihrem Mut, ihren Hoffnungen und Launen spielte. Dann erschien auch Almagros Karavelle mit Lebensmitteln und Vorräten. Er hatte Glück gehabt. Als er im Hafen von Panamá einlief, vernahm er, daß an Pedrarias Stelle Don Pedro de los Rios getreten war. Zunächst wagte er nicht zu landen, sondern schickte erst nach dem Padre de Luque, um zu erfahren, wie der neue Statthalter dem Unternehmen in Peru gesonnen sei. Luque brachte günstigen Bescheid, und der Statthalter erschien persönlich im Hafen, um Almagro zu begrüßen. Die heimatliche Regierung hatte ihn angewiesen, neue Unternehmungen zu fördern, zum mindesten nicht zu hindern. Zufällig war aus Spanien ein Trupp frischer kriegs- und beutelustiger Leute angekommen, die den alten Ansiedlern vielfach bereits lästig geworden waren. Almagro warb sie zum beiderseitigen Vergnügen sofort an. So brachte er eine Verstärkung von 80 Mann mit. Die Kopfzahl des Heeres stieg dadurch wieder auf etwa 220.
VI
Unter allgemeiner Zustimmung traten die beiden Schiffe die Weiterfahrt nach dem Süden an. Inzwischen war es aber Spätherbst (1526) geworden, und widrige Winde peitschten das Meer. Oft war tagelang Sturm und Gewitter. Gleichwohl erreichte man die schon bekannte Insel Gallo.
Man landete, ohne daß sich die Eingeborenen irgendwie feindselig zeigten, rastete vierzehn Tage und besserte die Fahrzeuge aus. Auf der Weiterfahrt erreichte man die Bucht von Sankt Matthäus. Alle waren entzückt von dem hier freundlicheren Gestade, seinen vielfach mit Kartoffeln, Mais und Kakaobüschen bebauten Fluren und den zahlreichen Dörfern. Auf der Höhe von Takamez erkannte man schließlich eine kleine indianische Stadt mit richtigen