»Cethegus«, sprach die bedrängte Frau, »du beherrschest die Menschen leicht! Wer, sage mir, wer bürgt mir für die Patrioten, für deine Treue«
»Dies Blatt, Königin, und dieses! Jenes enthält eine genaue Liste der römischen Verschworenen — du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die Glieder des gotischen Bundes, die ich freilich nur erraten konnte. Aber ich rate gut. Mit diesen beiden Blättern geb’ ich die beiden Parteien, geb’ ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick bei den Meinen selbst als Verräter entlarven, der vor allem deine Gunst gesucht, kannst mich preisgeben dem Haß der Goten — ich habe jetzt keinen Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden deiner Gunst.«
Die Königin hatte die Rolle mit leuchtenden Augen durchflogen. »Cethegus«, rief sie jetzt, »ich will deiner Treue gedenken in dieser Stunde!« Und sie reichte ihm gerührt die Hand.
Cethegus neigte leise das Haupt. »Noch eins, o Königin. Die Patrioten, fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens, des Hasses der Barbaren über ihren Häuptern hangen. Die Erschrocknen bedürfen der Aufrichtung. Laß sie mich deines hohen Schutzes versichern: stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und laß mich ihnen dadurch ein sichtbares Zeichen deiner Gnade geben.«
Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen Augenblick noch zögerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurück: »Hier, sie sollen mir treu bleiben, treu wie du.«
Da trat Cassiodorus ein: »O Königin, die gotischen Großen harren dein. Sie begehren dich zu sprechen.«
»Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen«, sprach sie heftig: »du aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der Präfekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron.«
Staunend führte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam folgte Cethegus. Er hob die Wachstafel in die Höhe und sprach zu sich selbst: »Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser Liste trennt dich auf immer von deinem Volk.«
ZWEITES KAPITEL
Als Cethegus aus dem unterirdischen Gewölbe wieder zu dem Erdgeschoß des Palastes aufgetaucht war und sich anschickte, der Regentin zu folgen, ward sein Ohr berührt und sein Schritt gefesselt durch feierliche, klagende Flötentöne. Er erriet, was sie bedeuteten.
Sein erster Antrieb war, auszuweichen. Aber alsbald entschloß er sich zu bleiben. »Einmal muß es doch geschehen, also am besten gleich«, dachte er. »Man muß prüfen, wie weit sie unterrichtet ist.«
Immer näher kamen die Flöten, wechselnd mit eintönigen Klagegesängen. Cethegus trat in eine breite Nische des dunklen Ganges, in welchen schon die Spitze des kleinen Zuges einbog. Voran schritten paarweise sechs edle römische Jungfrauen in grauen Klageschleiern, gesenkte Fackeln in den Händen. Darauf folgte ein Priester, dem eine hohe Kreuzesfahne mit langen Wimpeln vorangetragen wurde. Hierauf eine Schar von Freigelassenen der Familie, angeführt von Corbulo, und die Flötenbläser. Dann erschiene von vier römischen Mädchen getragen, ein offener, blumenüberschütteter Sarg: da lag auf weißem Linnentuch die tote Kamilla, in bräutlichem Schmuck, einen Kranz von weißen Rosen um das schwarze Haar, ein Zug lächelnden Friedens spielte um den leicht geöffneten Mund. Hinter dem Sarg aber wankte, mit gelöstem Haar, stier vor sich hinblickend, die unselige Mutter, von Matronen umgeben, welche die Sinkende stützten. Eine Reihe von Sklavinnen schloß den Zug, der sich langsam in das Totengewölbe verlor.
Cethegus erkannte die schluchzende Daphnidion und hielt sie an. »Wann starb sie?« fragte er ruhig. — »Ach, Herr, vor wenigen Stunden! Oh, die gute, schöne, freundliche Domina!« — »Ist sie noch einmal erwacht zu vollem Bewußtsein?«
»Nein, Herr, nicht mehr. Nur ganz zuletzt schlug sie die großen Augen nochmal auf und schien rings umher zu suchen. ‘Wo ist er hin?’ fragte sie die Mutter. ‘Ach, ich sehe ihn’, rief sie dann und hob sich aus den Kissen. ‘Kind, mein Kind, wo willst du hin?’ weinte die Herrin. ‘Nun, dorthin’, sagte sie mit verklärtem Lächeln: ‘nach den Inseln der Seligen!’ und sie schloß die Augen und sank zurück auf das Lager, und jenes holde Lächeln blieb stehen auf ihrem Mund — und sie war dahin, dahin auf ewig!« — »Wer hat sie hier herabbringen lassen?« — »Die Königin. Sie erfuhr alles und befahl, die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm auszustellen und zu bestatten.«
»Aber was sagt der Arzt? Wie konnte sie so plötzlich sterben?« — »Ach, der Arzt sah sie nur flüchtig; er hatte alle Gedanken bei der Königsleiche und die Herrin litt ja gar nicht, daß der fremde Mann ihre Tochter berühre. Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still, sie kommen.« Der Zug ging in derselben Ordnung ohne den Sarg zurück. Daphnidion schloß sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten.
Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. »Rusticiana, fasse dich!«
»Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie ermordet!« Und sie brach auf seiner Schulter zusammen. »Schweig, Unselige!« flüsterte er, sich umsehend.
»Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getötet. Ich habe den Trank gemischt, der ihm den Tod gebracht.«
Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, daß sie getrunken, geschweige, daß ich sie trinken sah. »Es ist ein grausamer Streich des Geschicks«, sagte er laut; »aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte ihn!« — »Was werden sollte?« rief Rusticiana, von ihm zurücktretend.
»Oh, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Wäre sie sein geworden, sein Weib — seine Geliebte, wenn sie nur lebte!« — »Aber du vergißt, daß er sterben mußte.« — »Mußte? Warum mußte er sterben? Auf daß du deine stolzen Pläne hinausführst! O Selbstsucht ohnegleichen!« — »Es sind deine Pläne, die ich ausführe, nicht die meinen; wie oft muß ich dir’s wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser. Lebe wohl.«
Aber Rusticiana faßte heftig seinen Arm: »Und das ist alles? Und weiter hast du nichts, kein Wort, keine Träne für mein Kind? Und du willst mich glauben machen, um sie, um mich zu rächen habest du gehandelt? Du hast nie ein Herz gehabt. Du hast sie auch nicht geliebt — kalten Blutes siehst du sie sterben — ha, Fluch — Fluch über dich.« — »Schweig, Unsinnige.« — »Schweigen? Nein, reden will ich und dir fluchen. Oh, wüßt’ ich etwas, das dir wäre, was mir Kamilla war! Oh, müßtest du, wie ich, deines ganzen Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln. Wenn ein Gott im Himmel ist, wirst du das erleben.«
Cethegus lächelte.
»Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? Wohlan, glaub’ an die Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! Ich eile zur Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!« — »Und du stirbst mit mir.«
»Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe.« Und sie wollte hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. »Halt, Weib. Glaubst du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? Deine Söhne, Anicitis und Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem Hause. Du weißt, auf ihre Rückkehr steht der Tod. Ein Wort — und sie sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Söhne, wie die Tochter, als durch dich gefallen zuführen. Ihr Blut über dein Haupt.« Und rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden.