«Allerdings«, fuhr der Meister fort,»eben dieses Kunststück – es ist wohl mehr als das – würde Euch bewiesen haben, daß die gemeinste am leichtesten zu berechnende Mechanik oft mit den geheimnisvollsten Wundern der Natur in Beziehung treten, und dann Wirkungen hervorbringen kann, die unerklärlich, – selbst dies Wort im gewöhnlichen Sinn genommen, bleiben müssen.»Hm«, sprach Kreisler, wenn Ihr nach der bekannten Theorie des Schalls verfuhret, den Apparat geschickt zu verbergen wußtet, und ein schlaues gewandtes Wesen an der Hand hattet – «
«O Chiara», rief Meister Abraham, indem Tränen in seinen Augen perlten,»o Chiara mein süßes liebes Kind!«
Kreisler hatte noch nie den Alten so tief bewegt gesehen, wie dieser denn von jeher keiner wehmütigen Empfindung Raum geben wollte, sondern dergleichen wegzuspotten pflegte.
«Was ist das mit der Chiara?«fragte der Kapellmeister.
«Es ist wohl dumm«, sprach der Meister lächelnd,»daß ich Euch heute erscheinen muß, wie ein alter weinerlicher Geck, aber die Gestirne wollen es nun einmal, daß ich von einem Moment meines Lebens mit Euch reden soll, über den ich so lange schwieg. – Kommt her, Kreisler, schaut dieses große Buch, es ist das merkwürdigste, was ich besitze, das Erbstück eines Tausendkünstlers, Severino geheißen, und eben sitze ich da und lese die wunderbarsten Sachen, und schaue die kleine Chiara an, die darin abgebildet, und da stürzt Ihr herein, außer Euch selbst, und verachtet meine Magie in dem Augenblick, als ich eben in der Erinnerung schwelge an ihr schönstes Wunder, das mein war in der Blütezeit meines Lebens!«
«Nun erzählt nur«, rief Kreisler,»damit ich stracks mit Euch heulen kann – «
«Es ist nun eben nicht sehr merkwürdig«, begann Meister Abraham,»daß ich, sonst ein junger kräftiger Mann, von ganz hübschem Ansehn, aus übertriebenem Eifer und großer Ruhmbegier, mich matt und krank gearbeitet hatte an der großen Orgel in der Hauptkirche zu Göniönesmühl. Der Arzt sprach: ›Laufen Sie, werter Orgelbauer, laufen Sie über Berg und Tal, weit in die Welt hinein‹, und das tat ich denn wirklich, indem ich mir den Spaß machte, überall als Mechaniker aufzutreten, und den Leuten die artigsten Kunststücke vorzumachen. Dies ging recht gut, und brachte viel Geld ein, bis ich auf den Mann stieß, Severino geheißen, der mich derb auslachte mit meinen Kunststückchen, und durch manches mich beinahe dahin gebracht hätte, mit dem Volk zu glauben, er stehe mit dem Teufel oder wenigstens mit andern honetteren Geistern im Bunde. Das mehreste Aufsehen erregte sein weibliches Orakel, ein Kunststück, das eben später unter dem Namen des unsichtbaren Mädchens bekannt worden. Mitten im Zimmer, von der Decke herab, hing frei eine Kugel von dem feinsten, klarsten Glase, und aus dieser Kugel strömten, wie ein linder Hauch, die Antworten auf die an das unsichtbare Wesen gerichteten Fragen. Nicht allein das unbegreiflich scheinende dieses Phänomens, sondern auch die ins Herz dringende, das Innerste erfassende Geisterstimme der Unsichtbaren, das Treffende ihrer Antworten, ja ihre wahrhafte Weissagungsgabe, verschaffte dem Künstler unendlichen Zulauf. Ich drängte mich an ihn, ich sprach viel von meinen mechanischen Kunststücken, er verachtete aber, wiewohl im andern Sinn, als Ihr es tut, Kreisler, all mein Wissen, und bestand darauf, ich sollte ihm eine Wasserorgel bauen zu seinem häuslichen Gebrauch, unerachtet ich ihm bewies, daß, wie auch der verstorbene Herr Hofrat Meister zu Göttingen, in seinem Traktat: ›De veterum Hydraulo‹ versichre, an einem solchen Hydraulos gar nichts sei, und nichts erspart werde, als einige Pfund Luft, die man, dem Himmel sei es gedankt, doch noch überall umsonst haben könne. Endlich beteuerte Severino, er brauche die sanfteren Töne eines solchen Instruments, um der Unsichtbaren beizustehen, und er wolle mir das Geheimnis entdecken, wenn ich auf das Sakrament schwöre, es weder selbst zu gebrauchen, noch andern zu entdecken, wiewohl er glaube, daß es nicht leicht möglich sein werde, sein Kunstwerk nachzuahmen, ohne – hier stockte er und machte ein geheimnisvolles, süßes Gesicht, wie weiland Cagliostro, wenn er von seinen zaubrischen Verzückungen zu Weibern sprach. Voll Begier, die Unsichtbare zu schauen, versprach ich die Wasserorgel zu verfertigen, so gut es ginge, und nun schenkte er mir sein Zutrauen, – gewann mich sogar lieb, als ich ihm willig Beistand leistete in seinen Arbeiten. Eines Tages, eben wollte ich zu Severino gehen, war das Volk auf der Straße zusammengelaufen. Man sagte mir, ein anständig gekleideter Mann sei ohnmächtig zu Boden gefallen. Ich drängte mich durch, und erkannte Severino, den man eben aufhob und ins nächste Haus trug. Ein Arzt, der des Weges gekommen, nahm sich seiner an. Severino schlug, nachdem verschiedene Mittel angewandt, mit einem tiefen Seufzer die Augen auf. Der Blick, mit dem er unter den krampfhaft zusammengezogenen Augenbrauen mich anstarrte, war furchtbar, alle Schrecken des Todeskampfs glühten darin in düstrem Feuer. Seine Lippen bebten, er versuchte zu reden, und vermocht's nicht. Endlich schlug er einigemal heftig mit der Hand auf die Westentasche. Ich faßte hinein, und zog einige Schlüssel hervor. ›Das sind die Schlüssel Eurer Wohnung‹, sprach ich, er nickte mit dem Kopfe. ›Das ist‹, fuhr ich fort, indem ich ihm einen von den Schlüsseln vor Augen hielt, ›der Schlüssel zu dem Kabinett, in das Ihr mich niemals hineinlassen wolltet.‹ Er nickte auf's neue. Als ich aber weiter fragen wollte, begann er wie in fürchterlicher Angst zu ächzen und zu stöhnen, kalte Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne, er breitete die Arme aus, und bog sie im Zirkel zusammen, wie wenn man etwas umfaßt, und wies auf mich. ›Er will‹, sprach der Arzt, ›daß Sie seine Sachen, seine Apparate, in Sicherheit bringen, vielleicht; stirbt er, behalten sollen?‹ Severino nickte stärker mit dem Kopfe, schrie endlich: ›Corre!‹ und sank auf's neue ohnmächtig zurück. Schnell eilte ich nun nach Severinos Wohnung, vor Neugier, vor Erwartung bebend, öffnete ich das Kabinett, in dem die geheimnisvolle Unsichtbare verschlossen sein mußte, und erstaunte nicht wenig, als ich es ganz leer fand. Das einzige Fenster war dicht verhängt, so daß das Licht nur hinein dämmerte, und ein großer Spiegel hing an der Wand, der Türe des Zimmers gegenüber. Sowie ich zufällig vor diesen Spiegel trat, und meine Gestalt im schwachen Schimmer erblickte, durchströmte mich ein seltsames Gefühl, als befände ich mich auf dem Isolierstuhl einer Elektrisiermaschine. In demselben Augenblick sprach die Stimme des unsichtbaren Mädchens auf italienisch: ›Verschont mich nur heute Vater! Geißelt mich nicht so grausam, Ihr seid ja doch nun gestorben!‹ – Schnell öffnete ich die Türe des Zimmers, so, daß das volle Licht hineinströmte, aber keine lebendige Seele konnt' ich erblicken. ›Es ist gut, Vater‹, sprach die Stimme, ›daß Ihr Herrn Liscov geschickt habt, aber der läßt es nicht mehr zu, daß Ihr mich geißelt, er zerbricht den Magnet, und Ihr könnt nicht mehr aus dem Grabe heraus, in das er Euch legen läßt, Ihr möget Euch sträuben, wie Ihr wollt, denn Ihr seid doch nun ein Verstorbener, und gehört nicht mehr dem Leben.‹ Ihr könnt wohl denken, Kreisler, daß mich tiefe Schauer durchbebten, da ich niemand sah, und die Stimme doch dicht vor meinen Ohren schwebte. ›Teufel‹, sprach ich laut, um mich zu ermutigen, ›säh ich nur irgendwo ein lumpiges Fläschchen, so würd ich es zerschmeißen, und der diable boiteux stünde, seinem Kerker entronnen, leibhaftig vor mir, aber so – ‹ Nun kam es mir plötzlich vor, als gingen die leisen Seufzer, die durch das Kabinett wehten, aus einem Verschlage hervor, der in der Ecke stand, und mir viel zu klein schien, um ein menschliches Wesen zu beherbergen. Doch springe ich hin, öffne den Schieber, und zusammengekrümmt, wie ein Wurm, liegt ein Mädchen darin, starrt mich an mit großen, wunderbar schönen Augen, streckt endlich mir den Arm entgegen, als ich rufe: ›Komm heraus, mein Lämmchen, komm heraus meine kleine Unsichtbare!‹ – Ich fasse endlich die Hand, die sie emporhält, und ein elektrischer Schlag fährt mir durch alle Glieder.‹ – ›Halt, Meister Abraham«, rief Kreisler,»was ist das, als ich zum erstenmal zufällig der Prinzessin Hedwiga Hand berührte, ging es mir ebenso, und noch immer, wiewohl schwächer, fühl' ich dieselbe Wirkung, wenn sie mir sehr gnädig die Hand reicht.»Hoho«, erwiderte Meister Abraham, am Ende ist unser Prinzeßlein eine Art von Gymnotus electricus oder Raja torpedo oder Trichiurus indicus, wie in gewisser Art meine süße Chiara es war, oder auch wohl nur eine muntere Hausmaus, wie jene, die dem wackern Signor Cotugno eine tüchtige Ohrfeige versetzte, als er sie beim Rücken erfaßte, um sie zu sezieren, was Ihr freilich mit der Prinzessin nicht im Sinn haben konntet! – Doch sprechen wir ein andermal von der Prinzessin, und bleiben wir jetzt bei meiner Unsichtbaren! – Als ich, erschrocken über den