Von Gesetzeskonkurrenz spricht man, wenn die eine Anspruchsgrundlage, weil sie spezieller ist, die andere ausschließt[11].
Jeden einzelnen Anspruch prüft man in fünf Schritten:
- | Ist der Anspruch entstanden (Anspruchsgrundlage)? |
- | Ist der Anspruch, obwohl alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ausnahmsweise nicht entstanden (anspruchshindernde Gegennormen)? |
- | Ist der entstandene Anspruch erloschen (anspruchsvernichtende Gegennormen)? |
- | Ist der entstandene Anspruch gehemmt und deshalb nicht oder nur beschränkt durchsetzbar (anspruchshemmende Gegennormen)? |
- | Ist der Anspruch, obwohl alle Voraussetzungen einer Gegennorm erfüllt sind, ausnahmsweise voll erhalten geblieben (anspruchserhaltende Ausnahme von der Gegennorm)? |
Dass der Jurist alle Anspruchsgrundlagen, die auch nur entfernt in Betracht kommen, prüfen soll, heißt nicht, er müsse auch leeres Stroh dreschen. Überflüssige Prüfungen sind vielmehr falsch. So ist es in aller Regel überflüssig, nach einem Verkehrsunfall neben den §§ 7, 18 StVG auch noch § 823 heranzuziehen, denn § 823 gibt auch nicht mehr als die §§ 7, 18 StVG, verlangt aber mehr, nämlich ein Verschulden des Anspruchsgegners.
2.2 Der Prozessfall
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Die ZPO verteilt die Prozessarbeit klug auf Parteien und Gericht. Die Parteien sind für den Lebenssachverhalt, der aus Tatsachen besteht, zuständig, das Gericht für die Rechtsanwendung: Es prüft, ob die Klage zulässig und begründet sei.
Bild 6: Die Arbeitsteilung im Zivilprozess
Die Klage ist zulässig, wenn sie die Prozessvoraussetzungen erfüllt, welche ZPO und GVG aufstellen. Die unzulässige Klage wird durch Prozessurteil abgewiesen[12].
Die zulässige Klage ist begründet, wenn dem Kläger der Anspruch, den er mit der Klage verfolgt, nach materiellem Recht zusteht. Er steht ihm dann zu, wenn er wenigstens eine Anspruchsgrundlage vollständig mit passenden Tatsachen ausfüllt und diese Tatsachen unstreitig oder bewiesen sind. Im Prozess prüft das Gericht, bevor es Beweis erhebt, die Schlüssigkeit der Klagebehauptungen. Denn wenn schon die Behauptungen des Klägers die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen, helfen auch die schönsten Beweise nichts, die Klage ist unbegründet, ohne dass es noch auf die Verteidigung des Beklagten ankäme. Die schlüssig begründete Klage hingegen ist ohne Beweisaufnahme begründet, wenn der Beklagte ihr nichts Brauchbares entgegensetzt, weder die eine oder andere Klagebehauptung bestreitet noch eine schlüssige Einwendung erhebt. Beweis erhebt das Gericht nur über streitige, entscheidungserhebliche Parteibehauptungen[13].
Die Beweisaufnahme kann gelingen oder scheitern. Entweder ist die streitige Tatsache bewiesen, oder sie ist es nicht. Entweder stützt das Gericht seine Entscheidung gemäß § 286 I ZPO auf die bewiesene Tatsache, oder es entscheidet gegen die Partei, welche nach materiellem Recht die streitige Tatsache hätte beweisen müssen, aber nicht bewiesen hat (RN 20 ff.).
3. Die Auslegung des Gesetzes
3.1 Die Auslegungsmethoden
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Gesetze sind Texte und bestehen aus Wörtern und Sätzen. Die Sprache aber deckt sich weder mit den Gedanken, die sie in Worte fassen, noch mit den Dingen, die sie bezeichnen soll. Und sie ist ständigem Wandel unterworfen. Ein Gesetz auslegen heißt, den rechtlichen Gehalt des Gesetzestextes erforschen. Juristen unterscheiden eine ganze Reihe von Auslegungsmethoden: die sprachliche, die systematische, die historische und die teleologische. Diese Methoden stehen aber nicht zur beliebigen Auswahl, sondern führen nur gemeinsam zum Ziel. In der Praxis freilich bestimmt oft das gewünschte Auslegungsergebnis die Auslegungsmethode.
Am Anfang steht das Wort. Jede Auslegung beginnt mit dem Wortlaut[14]: den Sprachregeln der Grammatik, dem allgemeinen Sprachgebrauch und den Eigenheiten der juristischen Fachsprache. Gesetzliche Definitionen sind verbindlich (§§ 121 I 1, 122 II, 276 II, 434, 435, 633 II, III). Je klarer der Wortsinn, desto geringer die Freiheit der Auslegung[15]. Freilich gibt es keinen Text, der sprachlich für alle Zeiten exakt das ausdrückt, was er ausdrücken soll.
Die systematische Auslegung erforscht den Bedeutungszusammenhang mehrerer Texte. Jede Rechtsnorm hängt rechtlich mit anderen zusammen, und dieser Zusammenhang erschließt ihren Sinngehalt. Die verfassungskonforme Auslegung ist das markanteste Beispiel. Das BGB steht nicht mehr für sich allein, sondern auf dem Fundament des höherrangigen Grundgesetzes, dessen Wertordnung alle Staatsgewalten bindet. Das BGB ist, gewissermaßen optisch, „im Lichte“ des Grundgesetzes so auszulegen, dass die Grundwerte der Verfassung sich auch im Zivilrechtsverkehr durchsetzen (RN 10)[16].
Die historische Auslegung fahndet nach dem Willen des Gesetzes. Freilich hat es wenig Sinn, den Willen des modernen Gesetzgebers zu erforschen. Dieser Wille zählt nur, soweit er sich im Wortlaut des Gesetzes kundtut[17]. Letztlich fahndet man nach dem objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes[18]. Die Gesetzesmaterialien liefern wichtige Hinweise.
Gleichermaßen beliebt wie gefährlich ist die teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes (ratio legis)[19]. Sie unterstellt, dass jede Rechtsnorm nicht nur ihren speziellen Zweck verfolge, sondern auch Bestandteil einer zweckmäßigen und gerechten Gesamtregelung sei, und entscheidet sich im Zweifel für diejenige Auslegung, die im Zusammenhang der Rechtsordnung am vernünftigsten, zweckmäßigsten und gerechtesten erscheint[20]. Die Versuchung ist groß, den gesuchten Gesetzeszweck selbst in die Rechtsnorm hineinzulegen, um ihn dann als vernünftig und gerecht wieder herauszulesen[21].
3.2 Die richterliche Rechtsfortbildung
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Stößt der Richter auf eine Gesetzeslücke, darf er die Entscheidung nicht einfach verweigern, weil sein Fall gesetzlich nicht geregelt sei, sondern muss gemäß Art. 20 III GG selbst das Recht finden[22]. Voraussetzung freilich ist eine planwidrige Lücke[23], denn geplante Lücken sind zu respektieren. Das Gesetz kann von Anfang an lückenhaft sein oder durch wirtschaftliche, soziale oder technische Veränderungen nachträglich lückenhaft werden[24]. Durch ergänzende Gesetzesauslegung denkt der Richter die unvollständige gesetzliche Regelung zu Ende und schließt die Lücke aus dem Geiste des Gesetzes. In diesem engen Rahmen ist die richterliche Rechtsfortbildung auch verfassungsrechtlich unbedenklich[25]. Dagegen darf sie weder eine vollständige gesetzliche Regelung überspielen noch die Grundwerte der Verfassung missachten.[26]
Das klassische Mittel der Rechtsfortbildung ist die Analogie: die entsprechende Anwendung des Gesetzes auf einen Fall, den es planwidrig nicht erfasst[27]. Sie tritt in zwei Formen auf: als Gesetzes- und als Rechtsanalogie. Die Gesetzesanalogie besteht aus der entsprechenden Anwendung einer einzelnen Rechtsnorm, die Rechtsanalogie aus der entsprechenden Anwendung mehrerer gleichartiger Vorschriften.