Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kurt Schellhammer
Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783811487345
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Besitz des Antragsgegners nach § 858 II (RN 56).

      Unerheblich ist, ob der entzogene Besitz rechtmäßig oder unrechtmäßig war[79] mit der einzigen Ausnahme des § 861 II.

      Entzogen ist der Besitz erst, wenn der bisherige Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft vollständig verloren hat[80]. Unterhalb dieser Schwelle handelt es sich nur um eine Besitzstörung nach § 862.

5. Die Besitzstörungsansprüche

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      Gegen Besitzstörungen gibt § 862 I dem unmittelbaren Besitzer je einen Anspruch auf Beseitigung der Störung (S. 1) und auf Unterlassung weiterer Störungen (S. 2). Auch diese Ansprüche klagt man ein oder verfolgt sie nach §§ 935, 940 mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung. Die Ansprüche sind nur zusammen mit dem Besitz übertragbar[81].

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      Rechtsfolge des § 862 I 1 ist ein Anspruch auf Beseitigung einer bestimmten Besitzstörung. Vollstreckungsrechtlich ist das eine vertretbare oder unvertretbare Handlung nach §§ 887, 888 ZPO. Beseitigen lässt sich eine Störung nur, wenn sie noch fortwirkt, weil die Disco weiterhin lärmt oder die Schweinemästerei weiterhin stinkt. Man nennt dies eine Störquelle oder Störanlage[82].

      Anspruchsteller ist der unmittelbare Besitzer, Anspruchsgegner ist der Störer. Das ist jeder, der selbst stört, durch andere stören lässt[83] oder eine fremde Störung duldet, obwohl er sie verhindern kann und soll[84]. Letztlich kommt es darauf an, wer die Störung und ihre Beseitigung willentlich beherrscht (RN 222 ff.).

      Anspruchsvoraussetzung ist eine Störung des unmittelbaren Besitzes durch verbotene Eigenmacht bis an die Grenze der Besitzentziehung (RN 54, 57).

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      Rechtsfolge des § 862 I 2 ist ein Anspruch auf Unterlassung weiterer Störungen. Das Unterlassungsurteil ist nach § 890 ZPO vollstreckbar. Vollstreckungsrechtlich klagt auch derjenige auf Unterlassung, der bestimmte Schutzvorkehrungen gegen weitere Störungen verlangt[85].

      Anspruchsberechtigt ist wiederum der unmittelbare Besitzer, Anspruchsgegner der Störer (RN 65).

      Anspruchsvoraussetzung ist die begründete Furcht vor weiteren Besitzstörungen durch verbotene Eigenmacht, kurz: die Wiederholungsgefahr[86]. In der Praxis wird sie nach der ersten Störung oft vermutet[87], und diese Vermutung kann nur durch ein vertragliches Unterlassungs- und Vertragsstrafeversprechen entkräftet werden[88].

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      Obwohl sich nur eine bereits verübte Störung wiederholen kann, muss der Besitzer nicht sehenden Auges die erste Störung geduldig abwarten, bevor er auf Unterlassung klagt, sondern darf schon der ersten Besitzstörung mit einem Anspruch auf Unterlassung vorbeugen. Neben die Wiederholungsgefahr tritt die konkrete Gefahr einer ersten Besitzstörung[89].

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6. Einwendungen des Störers gegen die Besitzschutzansprüche

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      Die Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 sind ausgeschlossen:

- nach § 858 I, wenn die Eigenmacht ausnahmsweise gesetzlich erlaubt ist (RN 58);
- nach §§ 861 II, 862 II, wenn der entzogene oder gestörte Besitz dem Störer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber nach § 858 II fehlerhaft war und im letzten Jahr vor der Entziehung oder Störung erlangt worden ist;
- nach § 864 I, wenn der Anspruch nicht binnen eines Jahres eingeklagt wird (RN 69);
- nach § 864 II, wenn rechtskräftig feststeht, dass der Anspruchsgegner zum Besitz berechtigt ist (RN 69).

       Es sind dies anspruchsfeindliche Einwendungen, die der Anspruchsgegner beweisen muss.

      Mit Einwendungen aus seinem Recht zum Besitz hingegen kann der Anspruchsgegner nach § 863 die Besitzschutzansprüche nicht abwehren (RN 70), es sei denn nach § 864 II (RN 69).

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      Nach § 864 I erlöschen die Ansprüche aus §§ 861, 862 nach Ablauf eines Jahres. Die Jahresfrist ist eine Ausschlussfrist[90]. § 864 I besteht deshalb aus zwei Rechtssätzen. Der erste lautet: Der Anspruch erlischt mit Ablauf eines Jahres nach der verbotenen Eigenmacht[91]. Der zweite lautet: Der Anspruch erlischt ausnahmsweise nicht, wenn er rechtzeitig vor Fristablauf eingeklagt wird.

      Der erste Rechtssatz begründet eine anspruchsvernichtende Einwendung, die der Anspruchsgegner beweisen muss, der zweite eine anspruchserhaltende Gegeneinwendung, die der Anspruchsteller beweisen muss. Also muss der Anspruchsgegner den Zeitpunkt der verbotenen Eigenmacht und der Anspruchsteller den Zeitpunkt der Klageerhebung oder die Voraussetzungen des § 167 ZPO beweisen.

      Gewahrt wird die Frist nur durch Klage auf Herausgabe der Sache, auf Beseitigung der Besitzstörung oder auf Unterlassung weiterer Störungen, nicht durch Klage auf Feststellung und nicht durch Antrag auf eine einstweilige Verfügung.

      Nach § 864 II erlischt der Anspruch auch durch die rechtskräftige Feststellung, der Anspruchsgegner habe ein Recht zum Besitz[92].

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      Da erst einmal die verbotene Eigenmacht rückgängig gemacht werden soll, bevor über das bessere Recht zum Besitz gestritten werden darf, schlägt § 863 dem Anspruchsgegner den Einwand aus der Hand, er habe ein Recht zum Besitz. Der Anspruchsgegner darf nicht einwenden, er sei Eigentümer, Anwartschaftsberechtigter, Mieter oder Pächter. § 863 hindert ihn freilich nicht, sein Recht zum Besitz mit einer Feststellungswiderklage geltendzumachen