III.[152] Im Übrigen muss er den Patienten über die
Nichtzulassung des Medikaments und die möglicherweise nicht gegebene Kostenerstattung sowie fehlende Gefährdungshaftung des Herstellers nach § 84 AMG
aufklären.[153] Denn die Zulassung eines Arzneimittels stellt ein „Gütesiegel“[154] dar und schafft einen Vertrauenstatbestand, d.h. der Patient darf sich darauf verlassen, „dass die Nutzen-Risiko-Bilanz aufgrund der vom Hersteller geführten Nachweise und der Prüfung des Bundesgesundheitsamts positiv zu bewerten ist“.[155]
6.
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Behandelt der Arzt seine Patienten nach den bereits vorhandenen medizinischen Erkenntnissen so, „wie es seiner fachlichen und durch ausreichendes Wissen fundierten Überzeugung entspricht,“[156] scheidet eine Pflichtverletzung aus. Dasselbe gilt, wenn ein Spezialist nach gewissenhaftem Abwägen des Für und Wider einen noch wenig erprobten, seiner Meinung nach aber allein Erfolg versprechenden Eingriff wagt oder eine noch unbekannte bzw. von Fachkollegen bestrittene Methode nach gründlichem wissenschaftlichem Studium und sorgfältigem Methodenvergleich einsetzt. Dabei muss der Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit zwischen Ziel und Gefahren der von ihm angewandten Methode“ gewahrt bleiben.[157] Ausdrücklich betonte der BGH,[158] dass „die Anwendung neuer Verfahren für den medizinischen Fortschritt zwar unerlässlich“ sei, aber „die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode nur dann erfolgen“ dürfe, „wenn die verantwortliche medizinische Abwägung oder ein Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt“.
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Deshalb verlangt das Recht noch ein Zweites: Der Arzt, der Neuland betritt, dem das neue Instrumentarium bzw. die neue Technik und ihre Handhabung noch ungewohnt ist, hat alle patientenfernen Übungsmöglichkeiten auszuschöpfen, bevor er in eigener Verantwortung die neue Diagnose- oder Behandlungsmethode am Patienten anwendet“.[159] Auch ein erfahrener, qualifizierter Operateur muss sich bewusst sein, dass ihm bei der Anwendung neuer Verfahren Übung und Routine fehlen und mit dem Mangel an Erfahrung die Komplikationsrate zunimmt. Dies bedeutet: Wer neue Behandlungsverfahren einführt, muss von anderen lernen, an Kursen, Workshops sowie technischem Training in entsprechenden Zentren teilnehmen, alle Einzelschritte gründlich erproben, die einschlägige Fachliteratur studieren, Empfehlungen wissenschaftlicher Gesellschaften, von Berufsverbänden oder Expertengremien sorgfältig lesen, geschultes Assistenzpersonal zur Verfügung haben und die Indikation zurückhaltend stellen. Unabdingbar ist ferner, dass der erste Einsatz unter Assistenz und Anleitung eines in dieser Technik Erfahrenen erfolgt, so dass Expertenqualität gewährleistet ist. Ein Verstoß gegen diese Sicherheitsvorkehrungen führt für den Fall eines vermeidbaren Zwischenfalls mit tödlichen Folgen oder Gesundheitsschäden zum Vorwurf des Übernahmeverschuldens mit möglichen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen (siehe dazu Rn. 123). Denn absolute Priorität vor allen anderen Aspekten haben Schutz und Sicherheit des Patienten.[160]
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Zu beachten ist schließlich: „Therapiefreiheit“ besteht nur hinsichtlich „gleich wirksamer Methoden, bei denen insgesamt von einem ähnlichen Risikoniveau auszugehen ist. Sie ist jedoch abzulehnen bei deutlichem Risikogefälle“.[161] Denn es gilt grundsätzlich das Verbot der Risikoerhöhung, so dass es zur Behandlungspflicht des Arztes gehört, unter mehreren medizinisch anerkannten Vorgehensweisen diejenige zu wählen, die das geringste Risiko für den Patienten mit sich bringt. „Grundsätzlich“ bedeutet jedoch nicht „ausnahmslos“, d.h. der Arzt muss nicht „stets den sichersten therapeutischen Weg“ einschlagen. Qualitätsstandard ist nicht gleich „Standardbehandlung“, vielmehr können „Besonderheiten des Falles oder ernsthafte Kritik“ ein Abweichen von der hergebrachten Methode fordern. Das Eingehen eines höheren Risikos muss allerdings „in den besonderen Sachzwängen des konkreten Falles oder in einer günstigeren Heilungsprognose seine sachliche Rechtfertigung finden“.[162] Nur unter dieser Prämisse ist der Arzt berechtigt, „neue Methoden in die Behandlung einzuführen, und nicht verpflichtet, strikt an den allgemein anerkannten Methoden festzuhalten,“[163] selbst wenn gewisse Risiken, Nebenwirkungen und Folgen mit dem neuen Verfahren verbunden sind, die sich aus dessen besonderer Art und Unerprobtheit ergeben.[164] Besondere Vorsicht ist hier allerdings geboten.[165]
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f) „Facharztstandard“ und Facharztqualität
103
Da der Patient Anspruch auf eine ärztliche Behandlung hat, die dem „Standard eines erfahrenen Facharztes entspricht“, muss zu jeder Zeit und an jedem Ort dieser Facharztstandard gewährleistet werden, so dass im Krankenhaus für den Nacht- und Sonntagsdienst, für Not- und Eilfälle entsprechende Vorsorge zu treffen ist.[166] „Der Sorgfaltsmaßstab wird im Rahmen eines Notfall- oder Bereitschaftsdienstes grundsätzlich nicht gemildert.[167] „Für Eil- und Notfälle kann der Standard nur dort herabgesetzt werden, wo eine sorgfältige Organisation und Vorbereitung für sie nicht vorsorgen kann“.[168] Im vertragsärztlichen Notfalldienst muss der Arzt „typischen Notfallsituationen des ärztlichen Alltags“ durch Sofortmaßnahmen gerecht werden.[169] Dies bedeutet, dass der „fachfremde Notarzt“, z.B. ein Dermatologe, sich regelmäßig für Notfallbehandlungen fortbilden und bei nicht genügendem Wissen oder ausreichender Erfahrung den Patienten an einen anderen Arzt oder an ein Krankenhaus überweisen muss. Anderenfalls droht die Haftung aus Übernahmeverschulden.[170]
aa) Formeller und materieller Facharztstatus
104
Um Missverständnisse im Anschluss an das sog. Facharzturteil des BGH[171] zu vermeiden, ist jedoch klarzustellen, dass die Erfüllung des „Facharztstandards“ nicht die Tätigkeit eines Arztes voraussetzt, der die Facharztprüfung abgelegt und damit das Facharztzeugnis in Händen hat. Der „Facharztstandard“ ist nicht formell durch den Facharztstatus bestimmt, sondern beschreibt ein materielles Kriterium, die Facharztqualität,[172] d.h. einen bestimmten Wissens- und Erfahrungsstand des Arztes, bezogen auf die jeweilige von ihm zu treffende Behandlungsmaßnahme. Diese Feststellung gewinnt insbesondere seit Inkrafttreten der erneuerten Weiterbildungsordnung im Jahre 2003 Bedeutung. Denn ein Facharzt neuer Prägung hat in einer ganzen Reihe von Fachgebieten einen anderen Leistungs- und Erfahrungsstand als bisher. Um es am Beispiel des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe zu veranschaulichen: „Beim Facharzt neuer Art kann angesichts des eingeschränkten Operationskatalogs der derzeitigen WBO weit weniger als früher davon ausgegangen werden, dass er den operativen und geburtshilflichen Anforderungen genügt, die an einen klinisch tätigen Facharzt zu stellen sind. Er kann den Facharztstatus erlangt haben, ohne je eine Hysterektomie oder einen Kaiserschnitt selbstständig ausgeführt zu haben“.[173] Deshalb treffen künftig den Chefarzt, der einen Facharzt „neueren Rechts“ einstellt, erhöhte Prüfungs-, Überwachungs- und Organisationspflichten. Aber auch der junge Facharzt muss „selbstkritisch seine Fähigkeiten und Erfahrungen prüfen“ und ggf. seinen Einsatz unter Hinweis auf seinen nicht vorhandenen Leistungsstand ablehnen,[174] da sonst im Falle der Schädigung einer Patientin der Vorwurf des Übernahmeverschuldens droht.[175]
bb) Notwendigkeit des formellen Facharztstatus
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Facharztstandard gewährleistet ein Arzt andererseits „unter Umständen schon vor dem Erwerb des verbrieften Status“, wenn er das medizinisch Gebotene „theoretisch wie praktisch so beherrscht, wie das von einem Facharzt dieses Fachs erwartet werden muss. Das kann der Arzt einer anderen Fachrichtung sein, aber auch ein approbierter