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Soviel zur Theorie. Was die Merkmale (von vornherein fehlendes oder beseitigtes) „öffentliches Interesse“ sowie „geringe“ bzw. „nicht entgegenstehende Schuld“ in der Praxis bedeuten, ist bei beiden Vorschriften eher von den tatsächlichen Gepflogenheiten und im jeweiligen Bezirk bzw. dem jeweiligen Bundesland herrschenden politischen oder moralischen Grundauffassungen abhängig als rationaler rechtlicher Prüfung unterworfen. So existieren beispielsweise nicht selten Weisungen von Generalstaatsanwaltschaften zur Handhabung des § 153a bei bestimmten Tatbeständen, in denen – rechtlich sehr fragwürdig – teilweise sogar ganz schematisch und ohne Rücksicht auf den Einzelfall präsumtive Schadens- oder Hinterziehungsbeträge genannt werden, bei deren Überschreitung die Anwendung des § 153 oder des § 153a nicht mehr erfolgen darf.[15] Die gesetzlichen Voraussetzungen speziell des § 153a ermöglichen fraglos bei einer großen Zahl von Verfahren eine Einstellung nach dieser Vorschrift.
c) Zustimmungserfordernisse
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In beiden Vorschriften sind schließlich Elemente des Konsenses verankert, indem die Verfahrenseinstellung vom erklärten Einverständnis der Verfahrensbeteiligten abhängig gemacht wird. Dies ist allerdings erneut sehr verschieden ausgestaltet:
– | Die Einstellung im Ermittlungsverfahren nach § 153 Abs. 1 kann die Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Beschuldigten und unter den in § 153 Abs. 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen auch ohne Mitwirkung des Gerichts vornehmen. Nach Anklageerhebung entscheidet das Gericht, und hier wird die Zustimmung des Beschuldigten benötigt, § 153 Abs. 2 Satz 1; auf die Ausnahmefälle des § 153 Abs. 2 Satz 2 sei lediglich hingewiesen. |
– | § 153a hingegen fordert schon wegen der zu erfüllenden Auflagen bzw. Weisungen durchweg die Einwilligung des Beschuldigten. |
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Im Falle des § 153 Abs. 2 Satz 1, vor allem aber durchweg für Einstellungsentscheidungen nach § 153a, ist also schon nach dem Gesetzeswortlaut die Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten, also das Vorliegen übereinstimmender Willenserklärungen, erforderlich. Dadurch wird deutlich, dass die StPO hier ein konsensuales Verfahren nicht ausdrücklich regelt, aber voraussetzt.[16] Die Verteidigung steht dementsprechend bei § 153a stets, aber auch bei § 153 vielfach vor der gemeinsam mit dem Mandanten zu treffenden Entscheidung darüber, ob dieser seine Zustimmung zur Einstellung erteilen soll oder nicht.
a) Vorläufige Einstellung, Auflage und Auflagenerfüllung
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Die jeweils in einem ersten Schritt erfolgende vorläufige Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a hat für den Beschuldigten zunächst nur die Folge, dass er es in der Hand hat, durch die Erfüllung der Auflagen und Weisungen[17] die endgültige Verfahrenseinstellung herbeizuführen.
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Folgende, mit Auflage und Auflagenerfüllung zusammenhängende Details der Vorschrift seien besonders hervorgehoben, weil sie gerade im Zusammenhang mit Verständigungen auf Verfahrenseinstellungen nach § 153a immer wieder relevant werden:
Hinweis
Geldauflage, Auflage und Auflagenerfüllung bei § 153a
– | Die Höhe der Geldauflage ist gesetzlich nicht geregelt. Ziffer 93a RiStBV stellt nun zwar in erster Linie auf die Abschöpfung des durch die Verdachtstat vermeintlich erlangten Vermögensvorteils ab. Dem Verteidiger bleibt aber zumeist nicht viel übrig, als auf ein angemessenes Verhältnis zwischen Verdachtstat, Verdachtsgrad, (hypothetischer) Schuldschwere auf der einen und Geldauflage auf der anderen Seite zu achten und sich damit abzufinden, dass Ermittlungsbehörden und Gerichte zumeist eine fiktive Tagessatzanzahl als Rechengröße veranschlagen und sich bei der Bestimmung der Geldauflage dementsprechend an der Höhe des verfügbaren Monatseinkommens orientieren. Die Verteidigung steht dabei vielfach vor der Frage, ob nach Maßgabe der von den Mandanten erteilten Informationen zur Sachaufklärung beigetragen oder insoweit das Schweigerecht in Anspruch genommen werden soll. Entgegen der Auffassung mancher Staatsanwälte und Amtsrichter gehört die Einkommens- und Vermögenssituation des Beschuldigten nicht zu den obligatorischen Angaben zu Person.[18] |
– | § 153a Abs. 1 Sätze 3, 4 sehen vor, dass Fristen für die Auflagenerfüllung gesetzt werden. Bei Geldauflagen beträgt die Höchstfrist sechs Monate. Manche Strafverfolgungsorgane, insbesondere Finanzbehörden, neigen dazu, diesen Zeitraum nicht auszuschöpfen und teils lächerlich kurze Zahlungsziele, etwa im Bereich weniger Wochen zu bestimmen. Hier kann durch entsprechende Vereinbarungen vorgebeugt werden. Die Fristen können aber nach dem klaren Gesetzeswortlaut auch nachträglich einmalig um bis zu drei Monate verlängert werden. |
– | Bei Ausbleiben fristgerechter Erfüllung der Auflagen oder Weisungen erfolgt der Widerruf der vorläufigen Einstellungsentscheidung, wobei es auf ein Verschulden an der Nichtleistung nicht ankommt.[19] Möglich ist dann aber die erneute Verfahrenseinstellung nach § 153a. Ansonsten wird das Strafverfahren weitergeführt. |
– | Im Nachhinein sind nach § 153a Abs. 2 Satz 4 mit Zustimmung des Beschuldigten auch Änderungen von Auflagen und Weisungen möglich. Dies kann z.B. bei dramatischer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Mandanten in Betracht kommen[20] und ist auch nach Fristablauf so lange möglich, bis die vorläufige Einstellungsentscheidung formal widerrufen ist.[21] |
– | Der bereits früher erwähnte Täter-Opfer-Ausgleich ist im Übrigen in § 153a dadurch integriert, dass nach § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 auch die Weisung erteilt werden kann, sich ernsthaft um einen solchen Ausgleich zu bemühen.[22] Das kann insbesondere bei Mandanten, die sich in wirtschaftlicher Bedrängnis befinden, gegenüber der Wiedergutmachungsauflage des § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 in Betracht zu ziehen sein, setzt allerdings wegen der Einbindung in den Täter-Opfer-Ausgleich die Mitwirkung des Verletzten voraus[23] und soll üblicherweise auch ein Geständnis erfordern.[24] |
b) Endgültige Einstellung
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Die Auflagenerfüllung führt dazu, dass das Verfahren im Hinblick auf die eingestellten, auf ein Vergehen gerichteten Vorwürfe endgültig abgeschlossen ist: Es entsteht ein nicht behebbares Verfahrenshindernis. Anderes gilt nur, wenn die Erfüllung eines Verbrechenstatbestandes durch „die Tat“ in Betracht kommt (beschränkter Strafklageverbrauch, § 153a Abs. 1 Satz 5)[25]. Neuaufnahme der Strafverfolgung wegen des Verbrechensvorwurfs ist dann aber auch zulässig, sofern der Verbrechensvorwurf bloß übersehen worden war, neue Tatsachen und Beweismittel müssen dafür nicht vorliegen.[26]