Wie bereits oben[1] betont, befasst sich die gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafprozess zentral mit der Urteilsabsprache. Die bereits früher bestehenden und praktisch enorm bedeutsamen Möglichkeiten konsensualer Verfahrensbeendigung, namentlich die §§ 153 ff., die Diversion im Jugendstrafverfahren und auch das Strafbefehlsverfahren, das zumindest der Sache nach Wahrheitsfindung durch Unterwerfung des Beschuldigten ersetzt, sind davon im Grundsatz nicht berührt.
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Allerdings hat der Gesetzgeber es für richtig gehalten, noch zusätzliche Vorschriften in die StPO aufzunehmen, die die Urteilsabsprache nicht unmittelbar betreffen und durch die die Möglichkeit konsensualer Verfahrensweisen im deutschen Strafprozessrecht nunmehr ausdrücklich vorgesehen wird.
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Der Regelungsgehalt ist allerdings sehr begrenzt:
Regelungsgehalt der §§ 160b, 212, 257b
– | § 160b und § 202a bestimmen im Grunde nur, dass im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, im Zwischenverfahren das Gericht, mit den Verfahrensbeteiligten „den Stand des Verfahrens erörtern“ kann, „soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“, und dass „der wesentliche Inhalt“ jeweils aktenkundig zu machen ist. |
– | § 212 verweist für das Stadium nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf § 202a und |
– | § 257b betrifft die Erörterung des Verfahrensstandes während der Hauptverhandlung. |
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Analysiert man die Vorschriften genauer, so zeigt sich, dass sie im Wesentlichen deklaratorischen Charakter haben: Dass man miteinander sprechen darf, hatte noch nie jemand bezweifelt, und dass niemand dies tun wird, wenn es aus seiner Sicht nicht „geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“, liegt auf der Hand. Auch die Einschränkung in § 202a, eine Erörterung dürfe nur stattfinden, sofern das Gericht „erwägt“, das Hauptverfahren zu eröffnen, ist keine: Zum einen kann das Gericht nach wie vor Kontakt mit der Staatsanwaltschaft aufnehmen, um eine Nachbesserung der Anklageschrift anzuregen.[2] Zum anderen wird diese Vorschrift nie praktisch werden, weil das Gericht dann, wenn es ohnehin schon sicher weiß, wie es sich verhalten will, kaum Gespräche mit den anderen Verfahrensbeteiligten als förderlich ansehen wird. Dementsprechend entspricht es der h.M., dass das Gericht jedenfalls dann i.S.d. § 202a die Eröffnung erwägt, wenn es auch die Nichteröffnung erwägt.[3]
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Auch wenn die hier in Rede stehenden Vorschriften also wenig Neues und noch weniger Bedeutendes enthalten, so ist es natürlich erforderlich, das Wenige, was man dazu im Detail wissen kann, auch tatsächlich zu wissen. Deswegen im Folgenden ein näheres Hinsehen. Ob man im Übrigen nun die Auffassung vertritt, der Gesetzgeber habe gut daran getan, das dialogische Element in der StPO in dieser Weise ausdrücklich zu stärken, oder ob man die Vorschriften für verzichtbar hält, dürfte bei der Auslegung und Anwendung der Vorschrift keine große Rolle spielen.[4]
Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › A › II. Einzelheiten
1. Verfahrensbeteiligte
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Anders als bei § 257c[5] findet sich in den §§ 160b, 202a keine Erwähnung bestimmter Verfahrensbeteiligter (Staatsanwaltschaft, Angeklagter), sondern es ist nur allgemein von „Verfahrensbeteiligten“ die Rede. Die h.M. zieht daraus den Schluss, dass das Gesetz auch andere Personen meint als den Beschuldigten und die Staatsanwaltschaft, und zwar auch schon im Ermittlungsverfahren.[6] Nach einer verbreiteten, allgemeinen und recht weiten Definition des Verfahrensbeteiligten ist jeder verfahrensbeteiligt, dem das Gesetz eine eigene Rolle im Strafverfahren zubilligt, in dem Sinne, dass er durch die Ausübung von Rechten auf das Verfahren Einfluss nehmen kann oder gar muss.[7] Hiernach ist klar, dass etwa Zeugen oder Sachverständige nicht Verfahrensbeteiligte sind, weil sie nicht durch eigene Willenserklärung auf das Verfahren Einfluss nehmen können, und auch, dass die Rolle als Verfahrensbeteiligter vom Verfahrensstadium abhängen kann. Nebenkläger wird man durch Anschluss an die öffentliche Klage, nicht aber schon im Ermittlungsverfahren: Der Anschluss ist zwar nach § 395 Abs. 4 in jeder Lage des Verfahrens zulässig, wird nach dem klaren Gesetzeswortlaut aber erst wirksam, wenn die öffentliche Klage erhoben (§ 396 Abs. 1 Satz 2) oder der Antrag im Sicherungsverfahren gestellt ist (§ 395 Abs. 1).
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Problemlos zu bejahen ist auch die Erforderlichkeit der Einbeziehung
– | der Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren (§§ 403, 407 AO), |
– | der Jugendgerichtshilfe sowie der Erziehungsberechtigten und der gesetzlichen Vertreter des Beschuldigten im Jugendstrafverfahren (§§ 38 Abs. 3, 50 Abs. 2 und Abs. 3, 67 Abs. 1 JGG) sowie |
– | der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren auch nach Übernahme durch die Staatsanwaltschaft (§ 63 OWiG). |
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Angehörigen der Gerichtshilfe (§ 160 Abs. 3 Satz 2)[8] und der Bewährungshilfe hingegen kommen keine eigene Rechte und Pflichten in diesem Sinne zu. Das bedeutet, dass sie an Erörterungen im Sinne der §§ 160b, 202a, 257b nicht beteiligt werden müssen.
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Im Schrifttum kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der nicht nebenklageberechtigte Verletzte in Erörterungen nach §§ 160b usw. einbezogen werden muss.[9] Definitorisch wäre dies jedenfalls dann zu bejahen, wenn man das für die Position als Verfahrensbeteiligter allgemein anerkannte Kriterium der eigenständigen prozessualen Rechte und Pflichten auch dann im konkreten Fall für gegeben hält, wenn diese im Wesentlichen als Informations- und Abwehrrechte, aber nicht oder nur sehr eingeschränkt als Gestaltungsrechte ausgeformt sind.[10] Die Auffassung, nach der nicht nebenklageberechtigte Verletzte keine Verfahrensbeteiligte im hier interessierenden Sinne sind, kann sich zwar auf die Materialien stützen.[11] Die Gegenauffassung aber zumindest darauf, dass der Wortlaut eine Erstreckung auf alle „Verletzten“ im Sinne der StPO nahelegt. Schließlich haben alle Verletzten – seien sie nun nebenklageberechtigt oder nicht – eigene Rechte, wie beispielsweise das Akteneinsichtsrecht. Den nicht nebenklageberechtigten Verletzten in Erörterungen nach §§ 160b usw. einzubeziehen, kann nach dem Sinn und Zweck der §§ 160b usw. durchaus sinnvoll sein, etwa wenn ein Täter-Opfer-Ausgleich (§ 155a) in Betracht kommt. Wenn im Übrigen mit den neuen gesetzlichen Vorschriften insgesamt bezweckt wird, die Akzeptanz der strafgerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Entscheidung zu erhöhen,[12] so könnte der vermeintlich Geschädigte durchaus auch in die Erörterungen einbezogen und gefragt werden, ob er denn mit dem Ergebnis des Strafverfahrens leben könnte.
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Zeichnet sich im Strafverfahren ab, dass eine (natürliche oder juristische) Person als Verfalls- oder Einziehungsbeteiligter in Betracht kommt, kann es jedenfalls sinnvoll sein, diese Personen in Erörterungen i.S.v. §§ 160b usw. einzubeziehen. Angesichts dessen, dass das Gesetz dem Einziehungs- bzw. Verfallsbeteiligten bereits im Vorverfahren Anhörungs- und Schweigerechte gewährt, die den Vorschriften über die Vernehmung