Zur Verteidigung in Geständnis-Widerrufs-Fällen vgl. Stern, StV 1990, 563.
StatBA – Gesundheit – Todesursachen in Deutschland, 2010, S. 1.
BGH Urt. v. 28.10.2010 – 4 StR 285/10, NStZ-RR 2011, 50.
Jüngling, Kriminalistik 1986, 524: „Um 2500 Jahre verschätzt“.
Hierzu etwa Lange, Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren, 1980, S. 66/67.
BGH Beschl. v. 27.10.2005 – 1 StR 218/05, NStZ-RR 2006, 48 = StV 2006, 62.
Harbort, Ein Täterprofil für multiple Raubmörder, Kriminalistik 1998, 481; Pead, Psychologische Täterprofile, Kriminalistik 1994, 335.
Vgl. BGH Beschl. v. 16.12.2008 – 3 StR 453/08, NStZ 2009, 284 [285] = StV 2009, 231; OLG Braunschweig Beschl. v. 24.06.2009 – Ws 86/09; Nichteröffnungsbeschluss.
Vgl. Stern, StraFo 2/1992, S. 58.
Teil 1 Einführung › D. Befähigung zur Verteidigung in Kapitalstrafsachen
D. Befähigung zur Verteidigung in Kapitalstrafsachen
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Das Schwurgerichtsmandat ist besondere Bürde und Herausforderung zugleich. Seit Einführung des Fachanwalts für Strafrecht und Inkrafttreten der Fachanwaltsordnung (FO)[1] im Frühjahr 1997 ist die Verteidigung in Schwurgerichtsverfahren auch offiziell fester Bestandteil anwaltlicher Aus- und Weiterbildung. In einem so schwierigen und gewichtigen Wirkungskreis, in dem es oft genug um lebenslange Haftstrafe, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder Sicherungsverwahrung geht, war ein solcher Schritt zur Eindämmung fundamentaler Wissens- und Erfahrungsdefizite längst überfällig.
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Sieht man einmal von Ballungszentren wie Berlin, Bremen, Dortmund, Hamburg, München oder Frankfurt/M. ab, werden in einer durchschnittlichen Großstadt mit über 200.000 Einwohnern alljährlich selten mehr als ein bis zwei Dutzend vorsätzliche vollendete Tötungsdelikte registriert[2]. Entsprechend niedrig ist auch die Anzahl der zu den Schwurgerichten erhobenen Mord- oder Totschlagsanklagen. Im Jahr 2010 wurden bundesweit „lediglich“ 217 Personen wegen vollendeten Mordes, 112 wegen versuchten Mordes, 469 wegen Totschlags (einschließlich Versuchs) und 73 wegen Körperverletzung mit Todesfolge abgeurteilt[3], darunter waren immerhin rund 44 Freisprüche[4]. Die Wahrscheinlichkeit, in einem dieser Fälle als Verteidiger beauftragt oder bestellt zu werden, ist folglich – rein statistisch betrachtet – alles andere als hoch. Es mangelt nicht nur dem Berufseinsteiger auf diesem speziellen Sektor an Gelegenheiten, sein theoretisches Grundwissen praktisch anzuwenden und zu vertiefen sowie profunde neue Erfahrungen und Kenntnisse zu sammeln. Die Chance, sich am authentischen Fall fortzubilden und zu erproben, schrumpft zudem angesichts einer kleinen Gruppe überregional gefragter Strafverteidiger, die zumindest die spektakulären Fälle – zumal mit prominenten oder besonders betuchten Beschuldigten – unter sich aufzuteilen scheinen.
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Doch das in der Öffentlichkeit verfestigte Bild vom allgegenwärtigen „Starverteidiger“, der von einem Sensationsprozess zum anderen eilt, trügt. Die verfügbaren knappen empirischen Daten lassen den vorsichtigen Schluss zu, dass in unseren Schwurgerichtssälen nicht einige wenige versierte Monopolisten dominieren[5], sondern in der Mehrheit „Allround-Anwälte“, die, ob vom Gericht beigeordnet oder vom Beschuldigten hinzugezogen, zwar analytische Fähigkeiten und Engagement mitbringen, aber längst nicht immer über ausreichende Routine und spezielles Know-how in der Verteidigung von Totschlagsverdächtigen verfügen dürften. Manch einer dieser „Generalisten“ ist vielleicht rückschauend auf eine glücklose Verteidigung nachdenklich und voller Selbstzweifel, er habe ein äußerst kniffliges Schwurgerichtsmandat womöglich allzu unbekümmert übernommen und fatalerweise trotz aufkeimenden Unbehagens im Alleingang zu Ende geführt.
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Unprofessionelle Betreuung wirkt sich extrem verheerend im Anfangsstadium des Verfahrens aus, in dem der Tatverdächtige besonders schutzbedürftig ist. Die unbedarfte Empfehlung, den Verhörspezialisten der MoKo oder dem vom Staatsanwalt beauftragten Psycho-Gutachter in der Exploration vorbehaltlos Rede und Antwort zu stehen, ist womöglich eine der Todsünden, die im Einzelfall später kaum mehr wieder gutzumachen sind. Aber auch in der Hauptverhandlung zu verzeichnende Versäumnisse und Fehleinschätzungen des Verteidigers, die zuweilen mit großer Rat- und Konzeptionslosigkeit einhergehen, bleiben nicht folgenlos. Vielleicht erst der in letzter Not konsultierte Revisionsspezialist oder noch später der Wiederaufnahmeexperte erkennen beim Aktenstudium, dass schwere Verteidigungsmängel zu einer vermeidbar harten Bestrafung, wenn nicht sogar zur Verurteilung eines womöglich Unschuldigen beigesteuert haben.
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Anwälte, die nie einen Schwurgerichtssaal von innen erblickt haben, übersehen leicht die mit der Mandatsübernahme verknüpfte besondere Verantwortung und Belastung:
• | Überdurchschnittlicher administrativer Aufwand. |
• | Große zeitliche Opfer durch Betreuung des inhaftierten Mandanten und seiner Angehörigen. |
• | Intensives Studium voluminöser Akten und Sichtung von Fachliteratur. |
• | Notwendigkeit eigener zeitraubender Ermittlungsbemühungen. |
• | Beträchtliche Anzahl und Dauer von Hauptverhandlungsterminen. |
• | Hohe emotionale Belastung (Fotos, Tatschilderung, Leid der Hinterbliebenen). |
• | Persönliche Anfeindungen seitens der Nebenkläger. |
• | Medienrummel u.U. mit Verteidigerschelte. |
• | Vergütungsdefizite. |
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Verheerende Folgen bei Fehlbeurteilungen
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