BGH Urt. v. 16.09.2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92.
Ges. v. 29.07.2009 (BGBl. I S. 2353), in Kraft seit 01.09.2009; hierzu Näheres Rn. 2837.
Hierzu Kirsch, StraFo 2010, 96.
Fischer, StraFo 2009, 177, s. auch Fischer, ZRP 2010, 249.
BGH Beschl. v. 25.11.2008 – 5 StR 491/08, StV 2009, 174.
Teil 1 Einführung › B. Kapitalstrafrecht und Kriminalpolitik
B. Kapitalstrafrecht und Kriminalpolitik
Teil 1 Einführung › B › I. Gesetzgebung
1. Keine Reform der vorsätzlichen Tötungsdelikte
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Die notwendige Reform der vorsätzlichen Tötungsdelikte steht nach wie vor aus[1]. Nachdem der Gesetzgeber uns mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten[2] am 31.01.1998 und dem 6. StrRG[3] am 01.04.1998 zahllose, teils gravierende Gesetzesverschärfungen (auch und gerade) im Kapitalstrafbereich beschert hat, ist trotz durchgängig hoher Aufklärungsquoten und in den letzten Jahren leicht rückläufiger[4] Fallzahlen im Mord- und Totschlagsbereich an eine Liberalisierung des Kapitalstrafrechts nicht zu denken. Die problematische Anhebung der Strafobergrenze für den sog. minder schweren Fall des Totschlags gem. § 213 StGB von 5 auf 10 Jahre hat, wie zu befürchten war, in der Praxis zu einer härteren Gangart auch gegenüber dem Konflikttäter geführt, bei dem sich kriminelles Potential und Rückfallgefahr in engsten Grenzen halten und dessen erfolgreiche Resozialisierung in kürzeren Zeiträumen eigentlich außer Frage steht.
2. Das Recht der Sicherungsverwahrung (SV)
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Die Sicherungsverwahrung ist das schärfste und zugleich rechtlich umstrittenste Instrument gegen Straffällige, die als gefährlich gelten. Der Staat nimmt sich zum Schutz der Bevölkerung das Recht, einzelne Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen auch noch nach Verbüßung ihrer regulären Strafe unter haftähnlichen Bedingungen einzusperren. Das Recht der Sicherungsverwahrung, das im letzten Jahrzehnt von immer weiteren Verschärfungen und einzelfallbezogenen, hektischen Änderungen gekennzeichnet war[5], ist zum 01.01.2011 grundlegend reformiert worden[6]. Handlungsbedarf war durch ein Urteil der EGMR vom 17.12.2009 entstanden, wonach unter den Bedingungen der Vollzugswirklichkeit in Deutschland die Maßregel der SV eine Strafe i.S.d. MRK darstelle, deren nachträgliche Verlängerung gegen das Recht auf Freiheit (Art. 5 MRK) und gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 7 MRK) verstoße[7].
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Um den Bedenken des EGMR Rechnung zu tragen, ist durch die Gesetzesnovelle v. 22.10.2010 die Sicherungsverwahrung auf Gewalt- und Sexualdelikte konzentriert worden. Während die Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung vorzubehalten, ausgebaut wurde, wurde das Instrument der nachträglichen Sicherungsverwahrung weitgehend abgeschafft. Psychisch gestörte Gewalttäter, von denen auch nach der Strafverbüßung Gefahren drohen, können künftig nach dem neuen Therapieunterbringungsgesetz (ThUG)[8] in geeigneten Einrichtungen untergebracht werden. Zugleich wurde die Führungsaufsicht erweitert. Insbesondere wurde eine elektronische Aufenthaltsüberwachung (elektronische Fußfessel) eingeführt, mit der zum Beispiel die Einhaltung von Weisungen, bestimmte Orte zu meiden, kontrolliert werden kann. Die Führungsaufsicht kann öfter als bisher unbefristet verlängert werden. Es gilt die Übergangsregelung des Art. 316e Abs. 1 EGStGB[9].
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Das BVerfG hat mit Urteil vom 04.05.2011[10] alle Vorschriften des StGB und des JGG über die Anordnung und Dauer der SV für verfassungswidrig erklärt und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31.05.2013, für die weitere Anwendbarkeit der für verfassungswidrig erklärten Vorschriften eine äußerst restriktive Übergangsregelung getroffen[11].
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Mittlerweile liegt der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung“ vom 30.03.2012[12] vor, das, sofern es die parlamentarischen Hürden nimmt, am 01.06.2013 in Kraft treten soll.
3. Sonstige Gesetzesänderungen mit Bezug zum Kapitalstrafrecht
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Daneben hat es aber auch seit 2005 weit weniger spektakuläre Gesetzesänderungen gegeben, deren Wirkung bis ins Schwurgerichtsverfahren hineinreicht. In nicht geringer Zahl kommt es im Vorfeld von tödlich endenden Beziehungsdramen zu Nachstellungen und Bedrohungen durch eifersüchtige Männer, die von ihrer Intimpartnerin verlassen worden sind. Das seit 2002 geltende Gewaltschutzgesetz (GewSchG) hat mit dem neuen § 238 StGB[13] seine konsequente Flankierung gefunden. Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unter dem englischen Begriff „Stalking“ diskutierte unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmtes Drohen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB.
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Zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber mit Gesetz vom 17.07.2007[14] durch einen geänderten § 126a Abs. 2 S. 2 StPO endlich auch für einstweilig Untergebrachte die besondere Haftprüfung eingeführt hat. Zugleich ist durch Änderung des § 64 StGB der Rechtsprechung des BVerfG[15] und des BGH[16]. Rechnung getragen worden, wonach Voraussetzung einer Anordnung nach § 64 StGB die positive Feststellung einer konkreten Erfolgsaussicht sei.
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Weitreichende Konsequenzen für Kapitalstrafverfahren hat das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 mit sich gebracht, das am 01.01.2010 in Kraft getreten ist[17]. Der festgenommene Beschuldigte, der nach bisher geltendem Recht erst zu Beginn seiner Vernehmung als Beschuldigter über seine Rechte zu belehren war, muss künftig unverzüglich nach seiner Festnahme umfassend über seine Rechte aufgeklärt werden – und dies in schriftlicher Form. Überdies ist ihm im Ermittlungsverfahren nicht erst nach Monaten, sondern bereits zu Beginn der Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger beizuordnen[18]. Und auch das Akteneinsichtsrecht des Untersuchungsgefangenen wurde den Vorgaben des EGMR entsprechend ausgebaut.
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Seit Wiedereinführung einer 1999 ausgelaufenen Kronzeugenregelung können die Gerichte jetzt wieder bei Straftätern, die zur Aufklärung oder Verhinderung anderer Taten beitragen, die Strafe mildern oder ganz von Strafe absehen[19]. Gegenüber einem Mörder kann das Gericht die Aufklärung oder Verhinderung