5 › II. Das dualistische System
II. Das dualistische System
5 › II › 1. Dualistische Leitungsstrukturen
1. Dualistische Leitungsstrukturen
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Nach § 38b SE-VO verfügt eine SE im dualistischen System über ein Leitungsorgan und ein Aufsichtsorgan. Dies entspricht dem deutschen Modell der Trennung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Die in Art. 39–42 SE-VO zum dualistischen System enthaltenen Regelungen weisen jedoch eine deutlich geringere Regelungsdichte auf als die Vorschriften des deutschen AktG für Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 76–116 AktG).
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Da es eine Spezialverweisung in der SE-VO für das dualistische System nicht gibt, ist das deutsche AktG über Art. 9 Abs. 1 c iii SE-VO anwendbar. Dies folgt daraus, dass nur für die Staaten, die ein dualistisches System in ihrem nationalen Aktienrecht nicht kennen, in Art. 39 Abs. 5 SE-VO die Möglichkeit geschaffen wird, entsprechende Vorschriften für die SE zu erlassen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass in den Staaten, in denen ein dualistisches System nach nationalem Aktienrecht bereits besteht, keine speziellen die SE betreffenden Ergänzungsvorschriften erlassen werden können, sondern das nationale Aktienrecht ergänzende Anwendung findet.[1]
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In der SE-VO sind lediglich zu einigen Spezialfragen (Mitgliederzahl der Organe, Wahrnehmung der Geschäftsleitung durch Mitglieder des Aufsichtsorgans, Informationsverlangen) spezielle Regelungen vorgesehen, die auch für diejenigen Staaten gelten, deren nationales Recht bereits ein dualistisches System kennt. Der deutsche Gesetzgeber hat in §§ 15–19 SEAG von diesen Regelungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, sich dabei aber bemüht, einen möglichst weitgehenden Gleichlauf mit dem nationalen Aktienrecht herzustellen. So entsprechen die Zahlen der Mitglieder der Leitungsorgane in §§ 16, 18 SEAG den Regelungen in §§ 76 Abs. 2, 95 AktG.[2]
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Die dualistische Leitungsstruktur der SE wird demnach durch die eigenverantwortliche Leitung der SE durch den Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG) und die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat (§ 111 AktG) bestimmt. Art. 39 Abs. 1, 40 Abs. 1 SE-VO sind mit den deutschen Bestimmungen inhaltsgleich.
2. Leitungsorgan
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Leitungsorgan i.S.d. Art. 39 Abs. 1 SE-VO ist bei einer deutschen SE der Vorstand.
2.1 Zahl und Zusammensetzung
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Der Vorstand einer SE kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Bei einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. EUR hat er aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, dass er aus einer Person bestehen soll (§ 16 SEAG, § 76 Abs. 2 AktG). Bei einer mitbestimmten SE muss der Vorstand aus zwei Personen bestehen, von denen einer der Arbeitsdirektor ist (§ 38 Abs. 2 SEBG).
2.2 Bestellung und Abberufung
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Die Bestellung und Abberufung des Vorstands erfolgt durch den Aufsichtsrat (Art. 39 Abs. 2 S. 1 SE-VO, § 84 Abs. 1 S. 1 AktG). Von der Möglichkeit, die Bestellungskompetenz vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung zu übertragen (Art. 39 Abs. 2 S. 2 SE-VO) hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Dies beruht auf seinem Bestreben, einen möglichst umfassenden Gleichklang zwischen den auf die deutsche AG und den auf die SE anwendbaren Vorschriften herzustellen.[3]
2.2.1 Bestellung
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Die Bestellung der Vorstandsmitglieder einer SE kann gem. Art. 46 Abs. 1 SE-VO auf höchstens sechs Jahre ab Amtszeitbeginn erfolgen.[4] Eine vom Aufsichtsrat für längere Zeit ausgesprochene Bestellung ist für die den Sechsjahreszeitraum überschreitende Zeit unwirksam.[5] Umstritten ist, ob es wie im deutschen Aktienrecht ausreichend ist, wenn die Satzung anstelle einer festen Amtsdauer nur eine Höchstdauer vorgibt.[6] Es wird vertreten, dass der Wortlaut des Art. 46 SE-VO, der von einem festgelegten Zeitraum spricht, eindeutig ist, weshalb die Bestimmung einer Höchstdauer nicht genügen soll.[7] Diese Ansicht überzeugt nicht. Dem Wortlaut wird entsprochen, wenn die Amtsdauer hinreichend bestimmbar und dadurch festgelegt ist.[8] Zudem würde andernfalls zumindest in dualistisch organisierten SE die Kompetenz zur Festlegung der Amtsdauer von Vorständen vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung übertragen werden. Dies würde bei einer SE mit Sitz in Deutschland zu einer unnötigen Veränderung des Kompetenzgefüges führen.[9] Es reicht deshalb aus, wenn die Satzung nur eine Höchstdauer vorgibt und der Aufsichtsrat die individuelle Amtszeit im Rahmen dieser Höchstdauer festlegt. Dies gilt ebenfalls für die Amtszeit des Aufsichtsrats und des Verwaltungsrats, da gesetzliche Grundlage in beiden Fällen Art. 46 SE-VO ist.
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Eine Mindestdauer der Bestellung ist gesetzlich nicht festgelegt. Der Aufsichtsrat verletzt aber seine Sorgfaltspflichten, wenn er eine zu kurze Bestellung wählt. Die Grenzen sind hier fließend. Im Allgemeinen wird eine Bestellung von mindestens einem Jahr zu erfolgen haben, um dem Vorstand eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Leitungsaufgaben zu ermöglichen.[10]
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In den seltenen Fällen, in denen der Aufsichtsrat einen Vorstand nicht bestellen kann oder nicht bestellen will und die Bestellung eines Vorstandsmitglieds dringend erforderlich ist, kann das Gericht gem. § 85 Abs. 1 AktG einen sog. Notvorstand bestellen. Das Amt des Notvorstands erlischt, sobald der Mangel behoben ist (§ 85 Abs. 2 AktG), d.h. in dem Moment, in dem der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied ordnungsgemäß bestellt. Das erforderliche Vorstandsmitglied fehlt, wenn es aus dem Vorstand tatsächlich durch Tod, Amtsniederlegung oder Widerruf der Bestellung ausgeschieden ist. Eine nur vorübergehende Verhinderung ist kein Fehlen i.S.d. § 85 Abs. 1 AktG.[11] Die Bestellung des Vorstands ist dringlich, wenn der Gesellschaft, ihren Aktionären oder Gläubigern, der Belegschaft oder der Öffentlichkeit erhebliche Nachteile drohen und der Aufsichtsrat nicht oder nicht schnell genug tätig werden kann.[12] Ein solcher Fall ist regelmäßig bei der Spaltung anzunehmen, bei der der Vorstand für die Einberufung der Hauptversammlung benötigt wird.[13] Art. 39 SE-VO enthält keine dem § 85 Abs. 1 AktG vergleichbare Regelung für die Bestellung eines Notvorstands. Art. 39 Abs. 2 S. 1 SE-VO sieht lediglich die Bestellung durch das Aufsichtsorgan vor und entspricht insoweit § 84 Abs. 1 AktG. Da das geschilderte Regelungsbedürfnis für die Bestellung des Notvorstands in den Ausnahmefällen jedoch besteht, ergibt sich die Bestellungskompetenz des Gerichts aus Art. 9 c ii SE-VO.