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Andere Studien sind methodisch noch fragwürdiger. Im kriminologischen Bereich kennt man die sog. Dunkelfeldanalyse, bei der versucht wird, die Zahl nicht aufgeklärter, unentdeckter Taten abzuschätzen. Solche Dunkelfeldanalysen sind als Aufgabe natürlich vor allem deshalb stets dankbar, weil niemand Genaues weiß und man deshalb als Autor nur wenig Gefahr läuft, widerlegt zu werden. Es fällt schwer, nicht zu unterstellen, dass teilweise versucht wird, unter Verwendung umfangreicher Annahmen zur Faktenlage und zu anwendbaren statistischen Methoden zu im Ergebnis recht hohen Ergebnissen zu kommen. Bussmann beispielsweise zieht in seiner Dunkelfeldanalyse[32] einige spärliche empirisch gewonnene Hinweise zur Gewinnung einer Schätzung heran. Doch anstatt diese Schätzung für sich als Aussage stehen zu lassen, wird diese Zahl – so merkwürdig es sich auch anhört – im Wege der Hochrechnung und der spekulativen Vermutung einfach verdoppelt, abermals verdoppelt und dann wiederum verdoppelt, so dass unter dem Strich eine gegenüber seiner Empirie verachtfachte Zahl herauskommt; die Aufmerksamkeit der Presse und der Politik war ihm damit jedenfalls sicher.
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Diese Problematik wird allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung ignoriert. Die Medien jedenfalls stürzen sich mit Vorliebe und ausschließlich auf die in der ECOLEF-Studie genannte Größe von 100 Mrd. EUR Geldwäschevolumen in Deutschland. Das klingt in Schlagzeilen gut und löst Reaktionen der Leserschaft aus. Doch man muss ehrlich fragen: Was ist daran Fakt, was ist Fiktion?
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Letztlich ist bei der Abschätzung der Bedrohungslage vor allem Vorsicht geboten. Insgesamt wird man hierbei davon ausgehen können, dass den in Studien genannten Zahlen mit gesundem Misstrauen begegnet werden sollte. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Studie eine plakative, pressewirksame Zahl, die man sich besonders leicht merken kann, produziert hat.[33] Denn dies deutet regelmäßig darauf hin, dass nur sehr dürftiges empirisches Datenmaterial vorhanden war und der Verfasser der Studie diesen Mangel durch eigene Hochrechnungen zu heilen versuchte. Wie häufig es zu Geldwäschestraftaten in Deutschland kommt und welche Summen davon betroffen sind, kann nicht belastbar abgeschätzt werden, da zur Dunkelziffer keine verlässlichen Aussagen möglich sind.[34]
1. Kapitel Einleitung › B. Aktuelle Bedrohungslage › II. Risikoabschätzung
II. Risikoabschätzung
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Trotz aller methodischen Schwierigkeiten und der Dominanz fragwürdiger Zahlen in den Schlagzeilen ergeben sich bei Zugrundelegung vernünftiger Maßstäbe durchaus sinnvolle Risikoabschätzungen. Man kann plausibel vermuten, welche Gefährdungspotentiale im Wirtschaftskreislauf vorhanden sein können, solange man sich aber dabei bewusst ist, dass es sich um Schätzungen mit einer breiten Fehlertoleranz handelt. Des Weiteren muss man sich darüber im Klaren sein, ob man die sukzessive Ausweitung der Vortaten der Geldwäsche in den letzten Jahren (Steuerdelikte, Sozialversicherungsbetrug etc.) schon in der Schätzung enthalten sehen will oder nicht.
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Unter diesen Voraussetzungen ist das Gefährdungspotential keinesfalls gering! Auch wenn man dabei ohne Schätzungen nicht auskommt, können wir einen Korridor von zwei bis vier Prozent des BIP an Geldwäschepotential in der Volkswirtschaft vermuten, weil die Summe aller durch kriminelle Handlungen erlangten Vermögenswerte in dieser Größenordnung liegen könnte; damit liegen wir zumindest einmal in einem realistischen Bereich.[35] Dabei sollte man aber von dem Verständnis ausgehen, dass die inzwischen erfolgte schrittweise Ausweitung des Vortatenkatalogs und insbesondere dessen Ausweitung auf Steuerdelikte schon berücksichtigt ist.
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Die Gefahr der Geldwäsche ist deshalb natürlich ein latenter Grund zur Sorge und eine Gefahrenquelle für den Finanzsektor. Medienwirksame Einzelfälle befördern die Problematik immer wieder vorübergehend in das kollektive Bewusstsein.[36] Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Gefährdungslage insgesamt über die Jahre relativ konstant geblieben ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
1. Kapitel Einleitung › B. Aktuelle Bedrohungslage › III. Geldwäsche-Verdachtsfälle
III. Geldwäsche-Verdachtsfälle
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Werfen wir einen Blick auf die Zahlen, die die Financial Intelligence Unit Deutschland in ihrem Jahresbericht von 2018 veröffentlicht hat, um ein Gefühl für die aktuelle Lage zu bekommen.[37] Im Jahr 2016 wurden rund 46 000 Verdachtsmeldungen gem. §§ 11 und 14 GwG[38] an die FIU übermittelt, gefolgt von etwa 60 000 im Jahr 2017 und etwa 77 000 im Jahr 2018, wobei jeweils ca. 99 % des Meldeaufkommens auf den Finanzsektor entfiel. Der schon in den Vorjahren zu beobachtende exponentielle Anstieg hat sich demnach fortgesetzt. Die jährlichen Steigerungsraten betragen im Jahr 2016 ca. 40 %,[39] im Jahr 2017 ca. 31 % und im Jahr 2018 ca. 29 %. Die Verdopplungsrate erreicht daher zurzeit etwa 2–3 Jahre.
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Deutet die jeweils nach 2–3 Jahren verdoppelte Anzahl von Verdachtsmeldungen auf eine sich jeweils in 2–3 Jahren verdoppelte Geldwäschetätigkeit im Wirtschaftsleben hin oder spielen andere Faktoren eine Rolle? Hierzu lassen sich dem Bericht eine Reihe von Indizien entnehmen.
1. Kapitel Einleitung › B. Aktuelle Bedrohungslage › III. Geldwäsche-Verdachtsfälle › 1. Erhöhte Meldezahlen aus dem Finanzsektor
1. Erhöhte Meldezahlen aus dem Finanzsektor
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Korrespondierend mit dem gleichbleibend hohen Anteil der Verdachtsmeldungen, die der Finanzsektor liefert, verwundert es nicht zu sehen, dass auch der Anstieg der letzten Jahre fast vollständig auf erhöhte Meldezahlen aus dem Finanzsektor zurückzuführen ist. Zwar erfährt auch die Meldetätigkeit aus dem Nichtfinanzsektor gewisse Steigerungen, trägt jedoch auf absoluter Basis kaum zum starken Anstieg bei.[40]
1. Kapitel Einleitung › B. Aktuelle Bedrohungslage › III. Geldwäsche-Verdachtsfälle › 2. Ergebnisse der Verdachtsmeldungen
2. Ergebnisse der Verdachtsmeldungen
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Ein Blick auf die Ergebnisse, die die Meldepflichtigen mit ihren Verdachtsmeldungen ausgelöst haben, verschafft weitere Klarheit. Betrachten wir zunächst das Jahr 2016, um ein Gefühl für die zeitliche Entwicklung zu bekommen. Hierzu muss man wissen, dass die Verdachtsmeldungen früher Clearingverfahren bei den Landeskriminalämtern auslösten.[41] Dabei wurde untersucht, ob ein hinreichender