D. Haftung von Unternehmen und Unternehmensverantwortlichen
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Das Arbeitsstrafrecht ist Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts.[1] Es gewinnt rasant an Bedeutung, wie nicht nur die mittlerweile zahlreichen Ermittlungsverfahren, sondern auch die zunehmende Beachtung in Wissenschaft[2] sowie der höchstrichterlichen Rechtsprechung[3] zeigt. Im öffentlichen Bewusstsein sind insoweit nach wie vor insbesondere sämtliche Erscheinungsformen der so genannten Schattenwirtschaft. Aber auch andere bislang eher als „exotisch“ eingestufte arbeitsstrafrechtliche Normen wie etwa § 119 BetrVG haben im Zuge der Fälle Volkert und Schelsky Aufmerksamkeit erregt.[4]
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Das Arbeitsstrafrecht kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Auch wenn neueren Abhandlungen ihre Bedeutung für die (Wieder-)Entdeckung dieser Materie nicht abgesprochen werden soll, so darf nicht verkannt werden, dass bereits in der Weimarer Republik eine Fülle von Monographien und Beiträgen zum Arbeitsstrafrecht publiziert wurden.[5]
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Im Rahmen des 1. Kapitels werden nach einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des Arbeitsstrafrechts (A.) sowie einer kurzen Darstellung der Entwicklung und Bedeutung dieses Rechtsgebiets (B.) die für dieses Rechtsgebiet grundlegenden Begriffe, insbesondere der des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers dargelegt (C.); anschließend folgt ein Überblick über die Haftung des Unternehmens und seiner Verantwortlichen (D.). Das Kapitel schließt mit einer Darstellung prozessualer Besonderheiten, die kennzeichnend für Verfahren in Arbeitsstrafsachen sind (E.).
Anmerkungen
Ignor/Rixen NStZ 2002, 510, 511.
Vgl. nur die Darstellungen von Ignor/Mosbacher, Brüssow/Petri und Bross sowie den Tagungsband von Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Arbeitsstrafrecht im Umbruch.
Vgl. etwa BGH NJW 2003, 1821; 2009, 528; wistra 2011, 426; 2012, 489; 2014, 23; 2018, 339; 2019, 198.
Vgl. hierzu die Darstellung bei Rieble/Giesen/Junker/Vogel S. 58 ff.
Vgl. etwa Alsberg sowie Geisseler; vgl. ferner die Nachweise bei Hahn S. 17 i.V.m. Fn. 1.
1. Kapitel Grundlagen › A. Begriff des Arbeitsstrafrechts
A. Begriff des Arbeitsstrafrechts
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1933 hielt Geisseler prägnant wie folgt fest: „Arbeitsstrafrecht ist zunächst nichts als ein leeres Wort.“[1] 2009 stellte de Vriess die wohl nicht nur rhetorisch gemeinte Frage, ob es überhaupt etwas gebe, „was es rechtfertigt, dass es ein Arbeitsstrafrecht gibt, was der Gesetzgeber so als Titel nicht kennt“.[2] Keine Frage: Das Arbeitsstrafrecht kann bislang – wohl auch aufgrund seiner Bandbreite – nicht mit einer wissenschaftlich anerkannten abschließenden Begriffsbestimmung aufwarten. Gleichwohl wird seit den 1920er Jahren versucht die bloße Begriffshülse mit Inhalten zu füllen, wobei die Motivation durchaus unterschiedlich ist.[3]
Anmerkungen
Geisseler S. 3.
Diskussionsbeitrag von Rieble/Giesen/Junker/de Vriess S. 42.
Vgl. etwa den Diskussionsbeitrag von Rieble/Giesen/Junker/Rieble S. 42.
1. Kapitel Grundlagen › A. Begriff des Arbeitsstrafrechts › I. Die unterschiedlichen Ansätze zur Begriffsbestimmung
I. Die unterschiedlichen Ansätze zur Begriffsbestimmung
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In der Weimarer Republik, in der das Arbeitsstrafrecht bereits als fester Bestandteil des Nebenstrafrechts galt,[1] wurde das Arbeitsstrafrecht de facto als Arbeits- bzw. Arbeiterschutzrecht verstanden;[2] materielles Arbeitsstrafrecht umfasst nach Alsberg danach „alle diejenigen Deliktstatbestände, die dem Schutz des Interessenkreises des Arbeitnehmers dienen.“[3] Erfasst werden hiervon demnach Arbeitszeit-, Arbeitsfürsorge(sozial)-, Arbeitsbetriebs-, Arbeitsbeschaffungs-, Arbeitskampf- sowie das Sozialversicherungsstrafrecht.[4]
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Dieser rein materiellen Betrachtungsweise hat Geisseler in seiner 1933 erschienenen Monographie „Arbeitsstrafrecht“ die prima facie bestechende Definition vom Arbeitsstrafrecht als dem „Strafrecht des Arbeitsrechts“, vergleichbar dem Steuerstrafrecht als dem Strafrecht des Steuerrechts, gegenüber gestellt.[5] Diese formal anmutende Bestimmung füllt Geisseler mit vier Fallgruppen des Arbeitsstrafrechts materiell wie folgt aus: (1) typisch gegen den Arbeitnehmer gerichtete Delikte, (2) typisch gegen den Arbeitgeber gerichtete Delikte, (3) Delikte des Arbeitskampfs sowie (4) schließlich das Sozialversicherungsstrafrecht.
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Es ist der Verdienst von Hahn in den 1990er Jahren die Begriffsbestimmung des Arbeitsstrafrechts erneut auf die Tagesordnung gebracht zu haben – interessanterweise in Anlehnung an einen Beitrag von Herschel[6] aus den 1970er Jahren unter dem Postulat einer Auseinandersetzung mit einer möglichen Entpönalisierung des Arbeitsrechts von strafrechtlichen Normen.[7] Dass das Arbeitsstrafrecht weit von einer Entpönalisierung entfernt ist, sondern stattdessen eine stetige Ausweitung straf- und bußgeldrechtlicher Sanktionen zu konstatieren ist, sei bereits an dieser Stelle schon vorweggenommen.
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Ebenso wie später auch Brüssow/Petri definiert Hahn das Arbeitsstrafrecht nach formalen Kriterien: Danach könne das Arbeitsstrafrecht „als die Summe aller Strafrechtsnormen bezeichnet werden, die uns im Arbeitsrecht begegnen“.[8] Nach Brüssow/Petri umfasst die Materie gar „sämtliche Delikte, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz jedenfalls in einem akzessorischen Verhältnis hierzu stehen“.[9]
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Demgegenüber wird heute wohl überwiegend der Begriff des Arbeitsstrafrechts ähnlich wie bereits bei Alsberg in der Weimarer Republik nach materiellen Kriterien