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Bankkredite sind schon in wirtschaftlich „gesunder“ Zeit für Unternehmen von besonderer Bedeutung. Sie ermöglichen erforderliche Investitionen, damit unternehmerische Tätigkeit. Zwischen dem Kreditgeschäft der Banken und den Gründen einer Insolvenz besteht ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang. Der Kredit selbst ist häufig Ursache einer „bilanziellen Überschuldung“, die Zins- und Tilgungsverpflichtung fördert Zahlungsunfähigkeit. In der Unternehmenskrise besitzt zudem die „Kreditentscheidung“ von Banken große Bedeutung. Bankverantwortliche sind in dieser Konstellation, eben wegen einer „wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Kreditnehmers und der damit verbunden Kreditgefährdung, regelmäßig berechtigt, Kredite außerordentlich zu kündigen. Die Krise des Bankkunden beschränkt das Kündigungsrecht der Banken nicht, sondern ist Kündigungsgrund. Die Kreditkündigung ist in dieser Situation dementsprechend auch rechtstatsächlich der Regelfall.
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Die Entscheidung, von dem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen und Darlehen in der Krise zurückzuführen, vertieft die wirtschaftliche Krise häufig irreversibel. Zugleich werden hierdurch nicht selten die tatsächlichen Voraussetzungen der Insolvenzeröffnungstatbestände von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) und, sofern auch bilanzielle Überschuldung vorliegt, der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) begründet. Unternehmern gelingt in der Krise nur selten und rechtzeitig (Drei-Wochen-Frist)[2] eine Umschuldung, um das Liquiditätsdefizit auszugleichen. Kündigung und Rückführung von Krediten in der Krise bewirken durch den damit verbundenen Liquiditätsentzug häufig ebenfalls, dass die wirtschaftliche Ertrags- und Leistungsfähigkeit in einer Weise beeinträchtigt ist, dass eine positive Fortführungsprognose (§ 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO) nicht (mehr) gestellt werden kann. Die „existenzielle“ Bedeutung der Kreditentscheidung von Banken in der Krise des Bankkunden führt allerdings nicht nur den engen Zusammenhang zwischen dem Kreditgeschäft, wirtschaftlicher Krise und den Gründen einer Insolvenz vor Augen. Banken gewinnen in dieser Lage vielmehr eine „einflussreiche Position“ gegenüber dem Bankkunden, da Entscheidungen der Bankverantwortlichen den weiteren Krisenverlauf maßgeblich beeinflussen. Bankmitarbeiter haben es in der Hand, dem Unternehmen in der Krise wirtschaftlich den „Todesstoß“ zu versetzen.[3]
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Die Krisensituation wird damit insbesondere durch zwei Faktoren geprägt, die die Gefahr begründen, dass ein drohender wirtschaftlicher Schaden der Bank „auf Kosten“ der übrigen Gläubigerschaft vermieden werden soll: Einerseits besitzen die Bankverantwortlichen einen zeitlichen und qualitativen Informationsvorsprung, andererseits haben sie die Möglichkeit, wegen der „existenziellen“ ökonomischen Bedeutung der Kreditentscheidung auf unternehmerische Entscheidungen ihres Kunden weitgehenden Einfluss nehmen zu können. Das gesteigerte Kreditrisiko in der Krise des Kreditnehmers ist Anlass und Motiv möglicher Insolvenzdelikte. Der Informationsvorsprung gegenüber der übrigen Gläubigerschaft des Bankkunden begründet faktisch die Möglichkeit hierzu. Die Bedeutung und wirtschaftliche Auswirkung der Kreditentscheidung für das betroffene Unternehmen eröffnet Bankverantwortlichen die Möglichkeit, unternehmerische Entscheidungen des Bankkunden im Interesse der Bank zu beeinflussen, in die Geschäftsführung einzugreifen, sogar das Unternehmen in der Krise durch „Vertrauensleute“ der Bank weitgehend zu steuern. Die Krise des Bankkunden begründet so gesehen zugleich Anlass und Gelegenheit für Eingriffe in die Geschäftsführung des Bankkunden, die insolvenzstrafrechtliche Risiken beinhalten, sofern sie wirtschaftlich zum Nachteil der übrigen Unternehmensgläubiger wirken, in dem sie den wirtschaftlichen Schaden der drohenden Insolvenz des Unternehmers einseitig auf diese verlagern.
Anmerkungen
Batereau WM 1992, 1517: „Banken verfügen regelmäßig über Informationsvorsprünge gegenüber anderen Gläubigern, insbesondere Lieferanten“.
Hierzu oben Rn. 20 ff.
Mit vergleichbaren Formulierungen BGH WM 1965, 475, BGH NJW 1970, 657 (658); Batereau WM 1992, 1517; Ganz in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 27 Rn. 2.
Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale
Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale
Inhaltsverzeichnis
A. Normzweck der §§ 283 ff. StGB
B. Krise des Bankkunden – bankrottstrafrechtliche Einordnung
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Die Rückführung eines Kreditengagements entzieht dem betroffenen Unternehmen Liquidität. Durch die Verwertung von Kreditsicherheiten zu diesem Zweck werden ebenfalls Wirtschaftsgüter aus dem Betrieb entfernt. Für den Fall eines anschließenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bankkunden ist die potentielle Insolvenzmasse hierdurch geschmälert. Verhaltensweisen, die nur eine kurzfristige Erhöhung der Liquidität bewirken, das Schuldnervermögen jedoch im Ergebnis reduzieren, etwa um eine Darlehensrückführung zu fördern oder den Eintritt einer Krise bzw. Vermögensbestandteile durch unrichtige Auskünfte zu „verschleiern“, sind ebenfalls geeignet, wirtschaftliche Nachteile für die Gläubigerschaft zu begründen. Diese Erwägungen führen zu der Frage, ob Bankmitarbeiter, die im wirtschaftlichen Interesse des durch sie vertretenen Kreditinstituts an derartigen Vorgängen beteiligt sind, möglicherweise Insolvenzdelikte im engeren Sinn,[1] namentlich den Tatbestand des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 StGB), verwirklichen können. Bevor das Risiko der Bankverantwortlichen, strafrechtliche Verantwortung als Täter eines Bankrotts zu tragen, sowie mögliche Bankrotthandlungen im Einzelnen untersucht werden, sollen der Schutzzweck dieses Delikts sowie die bankrottstrafrechtlichen „Krisenbegriffe“ näher beleuchtet werden, um auf diese Weise den sachlichen Anwendungsbereich von § 283 Abs. 1 StGB in der Krise des Bankkunden zunächst einzugrenzen.
Anmerkungen
Die im Schrifttum gebrauchte Terminologie sieht eine Unterscheidung zwischen Insolvenzdelikten im engeren sowie im weiteren Sinne vor. Als Insolvenzdelikte im engeren Sinne werden danach die Tatbestände des Bankrotts (§§ 283, 283a StGB), der Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB), der Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) sowie der Schuldnerbegünstigung (§ 283d StGB) bezeichnet. Zu den Insolvenzdelikten im weiteren Sinne zählen dagegen Delikte, die typischerweise im Zusammenhang mit einer Insolvenz verwirklicht werden, etwa der Tatbestand der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO n.F.) und das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB); im Einzelnen Moosmayer Auswirkungen der Insolvenzordnung 1999, S. 53 ff.; LK-StGB-Tiedemann Vor § 283 Rn. 2; NK-StGB-Kindhäuser Vor § 283 ff. Rn. 1; MK-StGB-Radtke Vor §§ 283 ff. Rn. 1; Pelz Strafrecht in Krise