3. Negativprognose
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Weiterhin muss das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten des A eine Störung in der Zukunft nahe liegen lassen (negative Prognose), damit es seiner „Weiterbeschäftigung“ i.S.d. § 1 II 1 KSchG entgegensteht.[32] Erforderlich ist daher entweder eine Wiederholungsgefahr oder eine so schwerwiegende Störung, dass sie eine gedeihliche Zusammenarbeit in der Zukunft nicht mehr möglich erscheinen lässt. A hat mehrmals und sogar nach entsprechender Aufforderung, dies zu unterlassen,[33] Downloads durchgeführt, so dass Wiederholungsgefahr und folglich eine negative Prognose für die Zukunft gegeben sind.
4. Ultima-ratio-Grundsatz
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Darüber hinaus dürfen dem Arbeitgeber keine anderen, geeigneten Mittel als die Kündigung zur Verfügung stehen, um künftige Vertragsstörungen zu verhindern (sog. ultima-ratio-Grundsatz, vgl. § 1 II 2 u. 3 KSchG sowie § 2 II 2 Nr. 2 SGB III).[34] In Betracht kommt, dass P den A vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung zunächst hätte abmahnen müssen. Möglicherweise ist eine solche Abmahnung aber bereits im Januar 2007 im Rahmen des Personalgesprächs erfolgt.
a) Form der Abmahnung
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Die Abmahnung bedarf als geschäftsähnliche Handlung keiner besonderen Form,[35] so dass die mündliche Erklärung im Personalgespräch grds. genügt.[36]
b) Inhalt der Abmahnung
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Als Mittel zur Verhinderung künftiger Vertragsstörungen muss eine Abmahnung Hinweis-, Ermahnungs- und Warnfunktion für den Arbeitnehmer erfüllen und daher eine Darstellung des vertragswidrigen Verhaltens, eine Rüge dieses Verhaltens als vertragswidrig, die Aufforderung zu vertragstreuem Verhalten in der Zukunft sowie die Drohung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen beinhalten.[37] Im Gespräch mit A wurde zwar die Vornahme der Downloads als vertragswidriges Verhalten gerügt und A zu vertragstreuem Verhalten in der Zukunft aufgefordert, es erging aber kein Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen.[38] Eine wirksame Abmahnung als milderes Mittel zur Kündigung ist damit vor dem Ausspruch der Kündigung nicht erfolgt.
c) Generelle Erforderlichkeit der Abmahnung
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Wiederholung und Vertiefung:
Die Begriffe „Erforderlichkeit“ und „Entbehrlichkeit“ der Abmahnung werden in der Literatur teilweise nicht deutlich auseinander gehalten. Überwiegend – und auch hier – wird „Erforderlichkeit“ generell, „Entbehrlichkeit“ dagegen einzelfallbezogen verstanden.
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Zunächst stellt sich die Frage, ob für Kündigungen im Vertrauensbereich eine Abmahnung überhaupt erforderlich ist. In seiner früheren Rechtsprechung differenzierte das BAG zwischen Störungen im Leistungs- und im Vertrauensbereich; bei Störungen im Vertrauensbereich sei keine Abmahnung erforderlich, da man einmal verlorenes Vertrauen durch eine Abmahnung nicht wiederherstellen könne.[39] Danach wäre eine vorherige Abmahnung durch P nicht erforderlich gewesen.
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Dagegen spricht aber, dass bei Vertrauensstörungen durch steuerbares Verhalten eine Wiederherstellung dieses Vertrauens durch späteres ordnungsgemäßes Verhalten möglich ist.[40] Das BAG hat diese Einschränkung daher zu Recht aufgegeben.[41] Das Abmahnungserfordernis ist somit bei jeder verhaltensbedingten Kündigung und damit auch für die Kündigung des A einschlägig.
d) Entbehrlichkeit der Abmahnung im vorliegenden Fall
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Die Abmahnung könnte aber ausnahmsweise entbehrlich gewesen sein. Entbehrlich ist eine Abmahnung, wenn aufgrund objektiver Umstände die an sich mögliche Verhaltensänderung in der Zukunft nicht zu erwarten ist (vgl. §§ 314 II 2, 323 II BGB).[42]
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Das ist insbesondere bei schweren Vertragsverletzungen der Fall, bei denen der Arbeitnehmer erkennen musste, dass sie – auch ohne Abmahnung – zur Kündigung führen können, weil die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist.[43] Grds. waren die Downloads keine besonders schwerwiegende Vertragsverletzung. Sie haben die betrieblichen Abläufe bei P jedenfalls nicht messbar und nur vorübergehend beeinträchtigt. Außerdem waren sie weder exzessiv[44] noch handelte es sich um „sittenwidrige“ oder „anstößige“, z.B. pornographische Downloads. Möglicherweise ist im Personalgespräch aber ein ausdrückliches Verbot ausgesprochen worden, das den erneuten Download aus dem Internet zu einer schweren Vertragsverletzung macht.[45]
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Dagegen spricht jedoch bereits die unklare Formulierung der Anweisung im Rahmen des Personalgesprächs, bei dem das Verbot auf einen Download in „derart großem Umfang“ relativiert wurde. Streng genommen hat A dieses Verbot sogar berücksichtigt, war der zweite Download doch um 40% weniger umfangreich als der vorherige. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Downloads – wenngleich in geringerem Umfang – seit 2002 zunächst beanstandungslos geduldet wurden. Schließlich würde das Erfordernis der Abmahnung im Ergebnis unterlaufen, wenn man in einer „fehlgeschlagenen“ Abmahnung ohne Weiteres ein ausdrückliches Verbot erblickte, das stets die Möglichkeit zur Kündigung ohne vorherige Abmahnung eröffnet. Eine Abmahnung war somit auch nicht entbehrlich, so dass die Kündigung des P gegen den ultima-ratio-Grundsatz verstößt.
V. Ergebnis
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Die Kündigung des P ist mangels vorheriger Abmahnung nicht sozial gerechtfertigt und somit nach § 1 I KSchG unwirksam. Die Klage des A ist folglich begründet.
Hilfsgutachten
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Hinweis zur Klausurtechnik:
Warum ist an dieser Stelle ein Hilfsgutachten erforderlich? Ohne wirksame Abmahnung kann das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung niemals das Fortsetzungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegen, da nicht auszuschließen ist, dass er durch eine Abmahnung noch zu vertragsgerechtem Verhalten angehalten werden kann. Daher ist in Form eines Hilfsgutachtens weiterzuprüfen, in dessen Rahmen zu unterstellen ist, dass eine wirksame Abmahnung stattgefunden hat.
Stehen dagegen mehrere Unwirksamkeitsgründe ohne derartige logische Abhängigkeit nebeneinander, z.B. ein Verstoß gegen § 1 I KSchG und ein Verstoß gegen § 102 I 3 BetrVG, sind im Rahmen des Gutachtens alle Unwirksamkeitsgründe nacheinander zu prüfen; ein Hilfsgutachten ist dann gerade nicht erforderlich.
5. Interessenabwägung
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Unterstellt, die Kündigung wäre doch ultima ratio, ist zur sozialen Rechtfertigung weiterhin erforderlich, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt.[46]