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Veröffentlichungen zur Suggestionsproblematik finden z. B. bei Ceci & Bruck[38]; Goodman et al.[39]; Sporer & Bursch[40]; Volbert[41]; Volbert & Pieters[42], Yapko[43], in Greuel/Fabian/Stadler[44] und Greuel[45]. Schade[46] zeigt die Bedeutung der Aussageentstehungsgeschichte am Beispiel des Wormser-Mißbrauchsverfahrens und verdeutlicht das weitreichende aussagepsychologische Suggestionskonzept anhand anschaulicher Beispiele.
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Köhnken[47] berichtet über Forschungsergebnisse, wonach suggerierte Informationen in das Gedächtnis „implantiert“ werden können, die als tatsächlich selbst erlebt empfunden werden, wobei die beeinflussten Personen subjektiv von der Richtigkeit der Falschinformationen überzeugt sind.
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Greuel[48] stellt in ihrer Habilitationsschrift die Grundlagen und den Stand der Suggestionsforschung sowie eine hypothesenzentrierte Auswertung empirischer Befunde dar. Es geht dabei nicht um „generelle Suggestibilität“ sondern um die Beantwortung der Frage:
„Unter welchen spezifischen Suggestionsbedingungen können Aussagen über spezifische Erlebnisrepräsentationen in welcher spezifischen (und forensisch relevanten) Hinsicht beeinflusst werden?“[49]
Im Handbuch der Rechtpsychologie ist der aktuelle Stand der Forschung in dem Beitrag von Volbert „Suggestion“ aufgezeigt, die sich in zahlreichen Veröffentlichungen mit Fragen der Suggestion und Suggestibilität befasst hat[50].
Interessant sind auch die Beiträge zur Beeinflussbarkeit älterer Menschen[51] und zur Langzeitentwicklung suggerierter Pseudoerinnerungen bei Kindern[52].
Beachtenswert – denn äußerst praxisnah – erscheint die von Volbert[53] aufgezeigte „Wandlung“ der bewussten Falschaussage zur Falschaussage aufgrund autosuggestiver Prozesse.
(Straf-)Juristen wissen meist nicht um den Umfang des Suggestionskonzepts. Dies mag daran liegen, dass ihnen die Prüfung der Entstehungsgeschichte der Aussage nicht vertraut ist und juristische Lehrbücher sich vielfach auf die Darstellung suggestiver Frageformen beschränken.
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Kindliche Zeugen – Jugendliche Zeugen. Lange Zeit wurde Kindern die Fähigkeit, verlässliche Zeugen zu sein, abgesprochen, weil sie Fantasiertes von Erlebtem noch nicht unterscheiden könnten, sie erhöht suggestibel seien und keine zusammenhängende und geordnete Darstellung des Geschehens erbringen könnten[54].
Müller-Luckmann[55], Undeutsch[56], Kühne[57], Endres/Scholz/Summa[58] und Steller[59] zeigen die historische Entwicklung der Beurteilung kindlicher Zeugenaussagen seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf.
Nach einer Entscheidung des Reichsgerichts[60] konnten auch Kinder Zeugen sein, wenn von ihnen eine verständliche Aussage zu erwarten war.
In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde in der aussagepsychologischen Forschung erkannt, dass in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Angaben von Kindern der Wahrheit entsprechen[61]. In einem Grundsatzurteil hat der BGH[62] 1955 klargestellt, dass „Kinderaussagen nicht häufiger unglaubwürdig sind, als die Aussagen von Erwachsenen, dass Kinder oft sogar die besten Zeugen sind“.
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Mitte der achtziger/Anfang der neunziger Jahre gewann die Frage der Beeinflussbarkeit von Kindern wieder an Bedeutung. Auslöser waren in dieser Zeit gegründete Selbsthilfevereine, die sich die Aufdeckung des sexuellen Missbrauches zum Ziel gesetzt hatten. Die dort kreierte – höchst suggestiv wirkende – Aufdeckungsarbeit löste eine Debatte um den „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“[63] aus.
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Aufdeckungsarbeit. Anfang der neunziger Jahre meinten selbsternannte Kinderschutzvereine, allen voran „Wildwasser e.V.“ und „Zartbitter e.V.“, durch nicht entsprechend qualifizierte Mitarbeiter mit Hilfe anatomisch korrekter Puppen und selbst kreierter einseitig parteiisch ausgerichteter Befragungs- und Deutungsweise den sexuellen Missbrauch „aufdecken“ zu können. Verfahren wie das sog. Montessori-Verfahren in Münster und kurz danach die spektakulären Wormser Mißbrauchsverfahren Mitte/Ende der neunziger Jahre haben nicht nur die Unzulänglichkeit ideologisch gesteuerter Aufdeckungstechniken deutlich gemacht. In diesen Verfahren wurde die Justiz durch Hinzuziehung wissenschaftlicher ausgewiesener Sachverständiger in dieser Ausführlich- und Deutlichkeit erstmals über die Erkenntnisse der modernen Aussagepsychologie informiert. Im Vordergrund stand damals das aussagepsychologische Suggestionskonzept[64].
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Eine bestimmte Altersgrenze, ab der die Zeugenkompetenz von Kindern noch nicht bzw. schon gegeben ist, lässt sich nicht festlegen. Ab dem dritten Lebensjahr steigt die sprachliche Fähigkeit und die Wirklichkeitserfassung kontinuierlich an[65]. Nach Arntzen[66] können kindliche Äußerungen in diesem Alter in der Regel Angaben von älteren Personen aber nur „stützen“. Die Grenze wird im Allgemeinen bei etwa vier Jahren angenommen. Unterschiede bestehen in der Einschätzung von Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren. Nach Arntzen[67] sind Kinder im Alter von viereinhalb Jahren nur unter günstigen Umständen aussagetüchtig. Das OLG Zweibrücken[68] sieht Kinder, die jünger als 4 ½ Jahre sind, kaum als aussagetüchtig an.
Nach Volbert/Steller[69] können Kinder zwischen drei und vier Jahren mit minimaler Unterstützung schon eine halbwegs zusammenhängende Aussage über ein vergangenes Ereignis machen, vier bis fünfjährige Kinder sollen schon über Ereignisse berichten können, die ein oder zwei Jahre zurückliegen.
Greuel[70] erläutert zum autobiographischen Gedächtnis: „In der aktuellen Diskussion wird … das Ende der Kindheitsamnesie auf dreieinhalb bis vier Jahre datiert (Malinoski, Lynn & Sivec 1998). Einschränkend muß hier jedoch darauf hingewiesen werden, daß für einen spezifischen Bereich von Kindheitserinnerungen, namentlich für trauma memories, diese Altersgrenze angezweifelt wird. So problematisieren Browne, Scheflin und Hammond (1998), daß es, eingedenk der defizitären Erkenntnisbasis bezüglich der (möglichen) Distinktheit des Trauma-Gedächtnisses, zu einfach sei, das vierte Lebensjahr generell als cut-off-point für die Kindheitsamnesie anzunehmen.“
Undeutsch[71] schreibt 1967: „Als höchst bedenklich galten von alters her ‚Mädchen um die Zeit der Geschlechtsreife‘, wenn sich ihre Aussagen auf geschlechtliche Vorgänge beziehen. Es heißt, daß um diese Zeit ihre Phantasie besonders lebhaft sei und mit Vorliebe um geschlechtliche Dinge kreise.“
Volbert[72] gibt eine grobe Orientierung nach Altersangaben (unter 4, 4-5 und ab 6 Jahre) zur Beurteilung der Aussagetüchtigkeit.
Teil 1 Zeugenaussage › I › 2. Aufgabe und Zielsetzung aussagepsychologischer Begutachtung
2. Aufgabe und Zielsetzung aussagepsychologischer Begutachtung
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In der gerichtlichen Fragestellung geht es bei der aussagepsychologischen Begutachtung um die Erlebnisfundiertheit der Aussage.
Aufgabe und Zielsetzung psychologischer Begutachtungen zur Glaubhaftigkeit von Aussagen – vgl. Greuel[73] – „kann aus Sicht der empirischen Wissenschaft immer nur darin bestehen, Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber zu treffen, ob und ggf. inwieweit