Ausnahme 1: Keine Zahlungsunfähigkeit, wenn die Deckungslücke weniger als 10 % beträgt. Es handelt sich dann um eine bloße Zahlungsstockung. Allerdings liegt dennoch Zahlungsunfähigkeit vor, wenn die Lücke demnächst mehr als 10 % betragen wird. Der Prüfungszeitraum wird dann verlängert.
Ausnahme 2: Keine Zahlungsunfähigkeit, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Liquiditätslücke bald (vollständig) geschlossen wird und den Gläubiger das Zuwarten zugemutet werden kann.
Ausnahme 3: Keine Fälligkeit und damit unter Umständen keine Zahlungsunfähigkeit, wenn die Forderung nicht „ernsthaft eingefordert“ wird.
Von Gläubigern geltend gemachte Ansprüche sind grundsätzlich in die Betrachtung einzustellen. Nur bei objektiv nachvollziehbaren Einwendungen unterbleibt die Einbeziehung. Es sollen also auch Forderungen berücksichtigt werden, gegen die der Schuldner nur schlecht begründete Einwendungen vorgeschoben hat.
b) Drohende Zahlungsunfähigkeit
Die drohende Zahlungsunfähigkeit wird in der zum 1.1.2021 geänderten Fassung des § 18 II InsO wie folgt definiert: „Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. In aller Regel ist ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen.“
Nur Antragsrecht (für Schuldner), keine Pflicht. Daher Spielraum für Gestaltung. (Beispiel Suhrkamp Verlag).[8] Berücksichtigung aller bestehenden oder auch künftigen Verbindlichkeiten? Nach h.M. nur bestehende Verbindlichkeiten. Die Dauer des Prognosezeitraums ist nicht höchstrichterlich geklärt.
c) Überschuldung
Die Überschuldung wird in der zum 1.1.2021 geänderten Fassung des § 19 II 1 InsO wie folgt definiert: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ Solange die Fortführungsprognose positiv ist, ist eine Gesellschaft daher nicht überschuldet, obwohl das Reinvermögen negativ ist.[9]
1. Prüfungsstufe: Fortbestehungsprognose: Im Grunde ist die Fortbestehungsprognose wiederum ein Test der Zahlungsfähigkeit. Es muss wahrscheinlich sein, dass die Gesellschaft bis zum Ende des kommenden Geschäftsjahres (Zeitraum umstritten) zahlungsfähig ist.
2. Prüfungsstufe: Überschuldungsstatus: Zum Überschuldungsstatus kommt man nur bei negativer Fortbestehungsprognose. Auch nicht in der Handelsbilanz erfasste Vermögenswerte sind aufzunehmen (Bsp.: Rückzahlungspflichten, Kosten für den Sozialplan). Bestimmte Verbindlichkeiten sind nicht zu passivieren (Bsp.: Nachrangdarlehen nach § 39 Abs. 2 InsO). In der Regel erfolgt die Bewertung des Vermögens zu Liquidationswerten, beziehungsweise bei Pensionsverbindlichkeiten zum Ablösewert. Stille Reserven und Lasten werden aufgedeckt.[10]
Anmerkungen
Siehe Übungsfall 6.
Bis zum 1.1.2021 war dies § 64 S. 1 GmbHG und für die AG §§ 92 II 1, 93 II, III Nr. 6 AktG. Seitdem rechtsformneutral in § 15b InsO normiert.
Vgl. BGH, ZIP 2007, 1265; BGH ZIP 2010, 368; zu § 266 StGB siehe BGH ZIP 2008, 1229.
Bis zum 1.1.2021 war dies § 64 S. 3 GmbHG und für die AG §§ 92 II 3, 93 II, III Nr. 6 AktG.
Für den Vorstand der AG: § 93 II, III Nr. 1 AktG.
Vgl. Zimmermann, Grundriss des Insolvenzrechts, 11. Aufl. 2018, Rn. 44 ff.
Durch den BGH mit Urteil vom 24.5.2005 (NZI 2005, 547) ausgestaltet (Drei-Wochen-Frist in Anlehnung an § 64 S. 1 GmbHG a.F., jetzt § 15a Abs. 1 InsO). Weiter konkretisiert mit Entscheidung vom 12.10.2006, (NZI 2007, 36, 37 f.; Verzicht auf Liquiditätsbilanz) und Beschluss vom 19.7.2007 (NZI 2007, 579, Wiedereinführung des „ernsthaften Einforderns“). Künftig Feststellung durch den IDW ES 11 Standard, der den IDW PS 800 ersetzt. Die IDW Standards sind Leitlinien im Rang einer Kommentierung, die durch den Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) herausgegeben werden. Zu offenen Fragen bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit siehe Parzinger/Lappe/Meyer-Löwy, ZIP 2019, 2143.
Vgl. Westermann, NZG 2015, 134.
Vgl. Zimmermann, Grundriss des Insolvenzrechts, 11. Aufl. 2018, Rn. 47 f.
Feststellung durch den IDW ES 11 Standard, der den IDW St/FAR 1/1996 ersetzt hat.
Einige Fragen zur Einführung in die InsO – Teil 2 › Lösung Fragen 11 – 20 › 15. Wann kann ein Rangrücktritt die Überschuldung beseitigen?
15. Wann kann ein Rangrücktritt die Überschuldung beseitigen?
Ein Rangrücktritt, der die Anforderungen des § 39 II InsO berücksichtigt, führt dazu, dass die im Rang zurückgetretene Verbindlichkeit nicht länger in die Liquidationsbilanz zur Feststellung der bilanziellen Überschuldung eingestellt werden muss.
§ 19 II 2 InsO sagt: „Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.“
Über den Wortlaut hinaus ist ein Rangrücktritt auch für Darlehen Dritter möglich. Der Rangrücktritt sollte auch eine Zahlungssperre vor Eintritt der Insolvenz umfassen, sofern die Zahlung zur Insolvenz führt. Die Befriedigung aus freiem Vermögen muss möglich bleiben, um eine steuerliche Ausbuchung der Verbindlichkeiten und einen steuerlichen Ertrag zu vermeiden.[1]
Beispiel:
Die Rangrücktrittserklärung, die der wichtigen BGH Entscheidung vom 5.3.2015 zugrunde lag, lautete wie folgt:
„Die Gläubigerin tritt mit ihrem Anspruch auf Rückzahlung des Nominalbetrages und ihrem Anspruch auf Zinszahlung dergestalt im Rang hinter die Forderungen aller bestehenden und künftigen Gläubiger