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Ob und wie lange der Strafrechtsgesetzgeber einem solchen Druck Stand hält, lässt sich nicht prognostizieren. Jedenfalls wird man eine gewisse Skepsis artikulieren müssen, ob eine solche Sanktion für alle Zukunft unter Hinweis auf die dogmatischen Kategorien fehlender Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit abgelehnt werden kann. Diese Argumentationstopoi machen jedoch deutlich, dass es um eine Frage nach Grund und Grenzen des nationalen Strafrechts geht. Denn eine Unternehmensstrafe stellt einen Fremdkörper für das in der Neuzeit herausgebildete und seinem Anwendungsbereich nach auf natürliche Personen beschränkte Individualstrafrecht dar, da lange Zeit der Satz „societas delinquere non potest“ galt. Jedoch flackerte die Debatte immer wieder auf, was nicht nur in Monographien,[4] sondern auch darin Ausdruck fand, dass sich der Deutsche Juristentag vor dem Hintergrund der Kollektivschulddebatte im Jahre 1953 mit der Problematik beschäftigte – und am Ende relativ klar gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe votierte.[5]
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Allerdings stellt die Frage nach einer Unternehmensstrafe von vornherein eine Verengung der Problematik dar, da Unternehmen vielfältigen Sanktionsrisiken ausgesetzt sind. Diese äußern sich in Gestalt von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Maßnahmen und Nebenfolgen (Verfall, Einziehung), der Abschöpfung des Mehrerlöses oder Geldbußen des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts, aber auch des europäischen Kartellrechts. Bestanden diese Sanktionsrisiken von jeher, hat sich in den letzten Jahren eine fundamentale Änderung insofern ergeben, als diese Ahndungsmöglichkeiten – in den Worten Roscoe Pounds – nicht länger nur „law in the books“, sondern „law in action“ sind.[6] Sie werden seitens der Unternehmen nicht allein wegen der mit ihnen verbundenen finanziellen Einbußen, sondern vor allem der gleichfalls finanziell spürbaren Imageschäden in der Öffentlichkeit gefürchtet, die nicht erst mit der Auferlegung einer solchen Sanktion, sondern bereits mit einem darauf gerichteten und oftmals alles andere als diskret geführten Verfahren eintreten.
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Unabhängig davon, in welcher Gestalt sie verhängt werden (und ob sie überhaupt in den offiziellen Justizstatistiken auftauchen – vielfach handelt es sich um Bestandteile konsensualer Verfahrenserledigungen) ist an diesem Punkt die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung aufgeworfen. Insoweit dürften jedenfalls zwei Aspekte eine wichtige Rolle spielen: Angesichts der immer ausgreifenderen Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereiche liegt es nahe, dass hiervon auch die Instanzen der formellen Sozialkontrolle infiziert werden und die Rechtsanwendung zunehmend von fiskalischen Motiven geprägt ist. Folgerichtig müssen Unternehmen ins Visier von Kontrollinstanzen geraten, da ihre Sanktionierung finanziell ungleich einträglicher ist als die der natürlichen Personen. Für die Sanktionsinstanzen gilt durchaus: „Crime does pay“! Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin, dass es gesellschaftlich nicht nur mehr oder weniger diffuse Vorstellungen über eine Unternehmensverantwortlichkeit, sondern darüber hinausgehend auch das Bedürfnis gibt, eine solche Verantwortlichkeit kollektiver Entitäten mit den Instrumenten des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu fixieren (Rn. 430).[7] Dementsprechend treten die individuellen Akteure im gesellschaftlichen Diskurs hinter das Unternehmen zurück: Anstelle der „von Pierer-Affäre“ spricht man über die „Siemens-Affäre“. Dass damit ganz neuartige Probleme im Spannungsfeld der Verantwortungszuschreibung zwischen Staat, Unternehmen und Individuum auftreten, liegt auf der Hand.
Anmerkungen
Im Jahre 2013 hatte das Land Nordrhein-Westfalen den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung für Unternehmen und sonstige Verbände“ vorgelegt, abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbsttkonferenz13/zw3/TOP_II_5Gesetzentwurf.pdf. Siehe hierzu Fischer/Hoven ZIS 2015, 32 ff.; Hein CCZ 2014, 75 ff.; Hoven ZIS 2014, 19 ff.; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann NZWiSt 2014, 161 ff.; Jahn/Pietsch ZIS 2015, 1 ff.; Krems ZIS 2015, 5 ff.; Löffelmann JR 2014, 185 ff.; Mansdörfer ZIS 2015, 23 ff.; Mitsch NZWiSt 2014, 1 ff.; Rübenstahl/Tsambikakis ZWH 2014, 8 ff.; Schmitt-Leonardy ZIS 2015, 11 ff.; Schünemann ZIS 2014, 1 ff.; Szesny BB 2013, Nr. 47 S. 1; Willems ZIS 2015, 40 ff.; Witte/Wagner BB 2014, 643 ff.; Zieschang GA 2014, 91 ff.
New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. US, 212 U.S. 481, 29 S.Ct. 304, 53 L.Ed. 613 (1909).
ABl. Nr. L 166 vom 28.6.1991, S. 77. Als Beispiele für „andere Sanktionen“ nennt Art. 4 Abs. 1 Maßnahmen des Ausschlusses von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, Maßnahmen des vorübergehenden oder ständigen Verbots der Ausübung einer Handelstätigkeit, richterliche Aufsicht und richterlich angeordnete Auflösung.
In Deutschland beginnend mit Busch (1933); siehe zu der geschichtlichen Entwicklung auch Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.
Siehe Engisch in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, E 7, E 23 ff., E 41; Hartung in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, S. 43 ff. Vgl. auch Deutscher Juristentag NJW 1953, 1462, 1462 f.; ders. JZ 1953, 613, 613 f.; Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.
Vgl. Pound American Law Review 44 (1910), S. 12 ff.
Alwart ZStW 105 (1993), 752, 763 f.; Hirsch ZStW 107 (1995), 285, 287; Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 181.
Teil 1 Einführung in die Problematik › B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
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Vor diesem Hintergrund wird die gesellschaftliche Relevanz von im Unternehmenskontext begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten deutlich, obwohl sich die Kriminologie erst spät diesem Forschungsgegenstand zuwandte. Kriminalität innerhalb der Wirtschaft wurde erstmals von Edwin H. Sutherland in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ thematisiert. Er verstand hierunter solche Verhaltensweisen, die von Personen mit Ansehen und hohem sozialem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen werden: „Crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“.[1] Maßgebliche Eingrenzungsmerkmale