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Entscheidend ist, dass sich die Rechtswidrigkeit der Bereicherung – obwohl Bestandteil des subjektiven Tatbestandes – ausschließlich nach objektiven Kriterien und nicht nach dem Wissen und Wollen des Täters bestimmt. Dabei hat das Strafgericht diese Rechtswidrigkeit eigenständig zu prüfen, ist also nicht etwa an die Einschätzung des Zivilgerichts gebunden.[248] Allerdings muss der Täter auch und gerade hinsichtlich dieser Rechtswidrigkeit vorsätzlich handeln. Wer fälschlicherweise glaubt, einen Anspruch zu haben, unterliegt einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum.[249] Der BGH führt diesbezüglich – im Hinblick auf zugrunde liegende sitten- oder gesetzeswidrige Geschäfte (Drogenverkauf) – allerdings aus, ein solcher Tatbestandsirrtum liege nicht vor, wenn sich der Täter nur „nach den Anschauungen der einschlägig kriminellen Kreise als berechtigter Inhaber eines Zahlungsanspruchs gegen das Opfer“ fühlt[250] und daher weiß oder es jedenfalls für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er die „Forderung“ auf rechtlichem Wege nicht durchsetzen kann. Auf der anderen Seite stellt der BGH in einer weiteren Entscheidung, die einen (vermeintlichen) Anspruch aus Drogengeschäften betraf, fest: „Da bei der Erpressung die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal ist, liegt auch bei rechtlich falscher Beurteilung des dem Täter bekannten wahren Sachverhalts ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum vor“.[251] Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in denjenigen Fällen, in denen der Täter mit der Möglichkeit rechnet, dass ein entsprechender Anspruch nicht besteht oder ein bestimmter schuldrechtlicher Anspruch von der Rechtsordnung nicht toleriert wird, und er dies auch billigend in Kauf nimmt, ein jedenfalls bedingter Vorsatz vorliegt.[252] Dieser aber reicht hier aus, sodass in diesen Fällen ein Tatbestandsirrtum ausscheidet.[253] Wer andererseits irrtümlich glaubt, einen rechtswidrigen Anspruch durchzusetzen, der aber in Wirklichkeit der materiell-rechtlichen Rechtslage entspricht, begeht – je nachdem ob er über tatsächliche Umstände oder die rechtliche Bewertung irrt – entweder einen untauglichen Versuch oder ein Wahndelikt.
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Problematisch sind ferner diejenigen Fälle, in denen der Täter gewaltsam einen Anspruch gegen das Opfer durchsetzen will, welcher aber infolge Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit des Grundgeschäfts nichtig ist (z.B. eine mit Nötigungsmitteln erlangte Bezahlung einer Forderung aus einem Drogenverkauf nach der Lieferung der Ware). Mangels Durchsetzbarkeit der Forderung sieht der BGH hierin eine ungerechtfertigte Bereicherung und daher eine (räuberische) Erpressung.[254] Damit setzt er sich aber in einen gewissen Widerspruch zum umgedrehten Fall der erpressten Rückforderung bereits gezahlter Beträge. Bezahlt nämlich der Käufer von Drogen diese und erhält er daraufhin die Ware nicht, besitzt er zivilrechtlich keinen Anspruch auf Rückforderung des Geldes. Setzt er die Rückzahlung des Geldes nun mit Nötigungsmitteln durch, soll es nach Ansicht des BGH an der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern, fehlen.[255]
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Geschützt ist auch der Besitz nach § 861 BGB. Nicht strafbar ist demnach die durch einen Dieb mit Gewalt erpresste Rückgabe des ihm von einem Dritten entwendeten Diebesgutes,[256] weil auch der Dieb gegenüber dem Dritten, ungeachtet der Fehlerhaftigkeit seines Besitzes gemäß § 861 Abs. 1 BGB, einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes hat. Darauf, dass sein Besitz an dem Diebesgut ebenfalls fehlerhaft i.S.d. § 858 Abs. 2 S. 1 BGB gewesen war, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, denn auch der Dieb genießt gegenüber Dritten Besitzschutz.[257] Geht man von einem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aus, so muss aber an sich nicht allein das Bestehen oder Nichtbestehen eines materiell-rechtlichen Anspruches, sondern auch die Möglichkeit von dessen Durchsetzbarkeit mit berücksichtigt werden. Dies wird in denjenigen Fällen relevant, in denen sich der Täter durch sein nötigendes Verhalten bessere Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Anspruchs verschafft: Derjenige, der einen anderen dazu nötigt, seine Unterschrift unter einen Wechsel[258] oder ein Schuldanerkenntnis zu setzen, weil er den ihm materiell-rechtlich zustehenden Anspruch sonst nicht beweisen kann, erhöht die Chancen der Durchsetzbarkeit des Anspruchs (oder ermöglicht diese überhaupt erst), was den wirtschaftlichen Wert der Forderung steigert.[259] Entgegen dem BGH[260] muss dies für die Rechtswidrigkeit der Bereicherung daher ausreichen.[261]
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Die angestrebte Bereicherung muss, wie auch beim Betrug, § 263 StGB, mit dem eingetretenen Vermögensschaden stoffgleich sein.[262] Der erstrebte Vermögensvorteil auf der einen Seite muss also dem entstandenen Vermögensnachteil auf der anderen Seite spiegelbildlich entsprechen und auf derselben Verfügung beruhen. Hieran fehlt es z.B., wenn der Täter vom Opfer einen Gegenstand „als Pfand“ dafür herausverlangt, dass das Opfer seine bei ihm bestehenden Schulden bezahlt[263] oder ihm die tatsächlich geschuldete Sache herausgibt.[264] Sie fehlt auch dann, wenn jemand mit Nötigungsmitteln eine Schädigung fremden Vermögens erreicht, damit er von einem Dritten hierfür belohnt wird.[265] Ferner liegt eine Stoffgleichheit nicht vor, wenn von einem anderen die Nutzungsmöglichkeit einer Wohnung erpresst wird, wobei es dem Täter nicht darauf ankommt, die entsprechende Miete nicht bezahlen zu müssen, sondern er vielmehr in der Wohnung gewinnbringende Drogengeschäfte abwickeln möchte.[266]
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Schließlich muss der Täter hinsichtlich der stoffgleichen Bereicherung absichtlich handeln. Unter Absicht ist auch hier ein zielgerichtetes Handeln im Sinne eines dolus directus zu verstehen.[267] Es muss dem Täter also gerade auf die stoffgleiche Bereicherung ankommen. Dagegen reicht im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vorteils dolus eventualis aus.[268]
9. Die Rechtswidrigkeit
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Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit kommen in erster Linie die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zum Tragen. Das Fehlen dieser Rechtfertigungsgründe reicht jedoch für die Annahme des Unrechts der Tat noch nicht aus. Hinzukommen muss noch die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit auf der Grundlage der in § 253 Abs. 2 StGB normierten sog. „Verwerflichkeitsklausel“. Insoweit handelt es sich bei der Erpressung, wie schon bei der Nötigung, § 240 StGB, um einen sog. „offenen Tatbestand“.[269] Die Erfüllung des Tatbestandes indiziert die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausnahmsweise nicht, vielmehr muss diese nach den Grundsätzen des § 253 Abs. 2 StGB (Verwerflichkeitsprüfung; Zweck-Mittel-Relation) konkret festgestellt werden. Hinsichtlich der systematischen Stellung dieser „Verwerflichkeitsfeststellung“ als Teil der Rechtswidrigkeit kann wiederum auf die Diskussion zu § 240 StGB verwiesen werden.[270] Die Verwerflichkeitsprüfung ist erst dann anzustellen, wenn festgestellt wurde, dass allgemeine Rechtfertigungsgründe nicht eingreifen. Es wäre nämlich auch im Rahmen der Erpressung unangebracht, ein Verhalten durch einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund zu rechtfertigen, wenn zuvor die Verwerflichkeit des Verhaltens nach § 253 Abs. 2 StGB festgestellt worden wäre. Andererseits wäre es auch nicht sinnvoll, die Frage des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes in die Verwerflichkeitsprüfung zu integrieren.
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Diese Verwerflichkeit (i.S. eines gesteigerten Unrechts) liegt nach § 253 Abs. 2 StGB dann vor, „wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist“. Dies zu bestimmen fällt bei der Erpressung allerdings wesentlich leichter als bei der Nötigung: Weil der Erpresser ein unerlaubtes Ziel (die rechtswidrige Bereicherung) verfolgt, liegt der mangelnde Konnex zwischen dem Zweck und dem Mittel meist auf der Hand. Die Fälle, auf die § 240 Abs. 2 StGB eigentlich gemünzt ist (Verwerflichkeit trotz eines erlaubten Zwecks infolge des Einsatzes eines inadäquaten Mittels), treten bei § 253 Abs. 2 StGB trotz wörtlicher Übereinstimmung letztlich nicht auf. Die Rechtswidrigkeit