2. Teil Verfassungsrechtliche Positionen der kommunalen Gebietskörperschaften › B. Selbstverwaltungsrecht › II. Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden
II. Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden
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Kennzeichen der kommunalen Selbstverwaltung ist, dass der Selbstverwaltungsträger frei in seiner Entscheidung des „Ob“, „Wann“ und „Wie“ der Aufgabenerfüllung ist.
Art. 83 Abs. 1 BV bestimmt exemplarisch Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die in den eigenen Wirkungskreis der Gemeinde fallen.[3]
Im Kernbereich bedeutet kommunale Selbstverwaltung für die Gemeinde (fünf Säulen)[4]:
1. | Gebietshoheit: Die Gemeinde hat im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung das Recht, gegenüber allen Personen und Sachen, die sich auf ihrem Territorium befinden, rechtserheblich zu handeln.[5] Dies kann durch Einzelfallmaßnahmen (Verwaltungsakt, Art. 35 BayVwVfG) geschehen oder durch Rechtsetzungsakt (im eigenen Wirkungskreis Satzung; sog. Rechtsetzungshoheit). |
2. | Finanzhoheit: Die Gemeinde hat das Recht auf eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft, sowie auf eine angemessene Finanzausstattung.[6] An dieser Stelle ist auf das Recht, Abgaben im Rahmen der Gesetze zu erheben, zu verweisen, Art. 1 ff. KAG (Abgabenhoheit). |
3. | Personalhoheit: Die Gemeinde ist Dienstherr von Beamten und hat generell das Recht, Personal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen.[7] |
4. | Organisationshoheit: Die Gemeinde hat die Befugnis, für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten festzulegen. Die Gemeinde darf hierzu auch öffentliche Einrichtungen schaffen und deren Organisation festlegen.[8] |
5. | Planungshoheit: Die Gemeinde hat nach § 2 Abs. 1 BauGB das Recht, in eigener Verantwortung die Bauleitpläne (Flächennutzungsplan und Bebauungsplan) aufzustellen.[9] |
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Diese fünf wesentlichen Hoheitsrechte der Gemeinde stellen nach dem Bundesverfassungsgericht den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung dar.[10] Der Bayerische Verfassungsgerichtshof verweist an dieser Stelle auf Art. 83 Abs. 1 BV und verlangt zur Wahrung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung, dass keiner der in Art. 83 Abs. 1 BV bezeichneten Bereiche des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde entzogen wird.[11]
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Beachten Sie, dass, sofern sich die Gemeinde gegen eine sie belastende staatliche Maßnahme wendet (z.B. aufsichtlicher Bescheid), sie regelmäßig eine Klagebefugnis nur aus einer möglichen Verletzung ihres Rechtes auf kommunale Selbstverwaltung ableiten kann. Bei dieser Prüfung helfen Ihnen die dargelegten fünf Säulen/Kernbereiche der Selbstverwaltung.
2. Teil Verfassungsrechtliche Positionen der kommunalen Gebietskörperschaften › B. Selbstverwaltungsrecht › III. Institutionelle Rechtssubjektsgarantie
III. Institutionelle Rechtssubjektsgarantie
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Weiter gilt es zu beachten, dass die Gemeinden die ihr durch Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 S. 2 BV zugewiesenen Aufgaben nur dann sachgerecht erfüllen können, wenn überhaupt Selbstverwaltungskörperschaften existieren. Insoweit beinhalten Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie bezüglich der Gemeinden und Gemeindeverbände.[12]
2. Teil Verfassungsrechtliche Positionen der kommunalen Gebietskörperschaften › B. Selbstverwaltungsrecht › IV. Allzuständigkeit der Gemeinde
IV. Allzuständigkeit der Gemeinde
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Charakteristisch für die kommunale Selbstverwaltung ist damit die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung. Die Gemeinde entscheidet deshalb als Ausfluss von Art. 28 Abs. 2 GG regelmäßig frei über das Ob, Wann und Wie der Aufgabenerfüllung.[13] Hinsichtlich der Gemeinde ist weiter festzustellen, dass der Ansatz ein universaler ist. Die Gemeinde hat nämlich anders als Landkreis und Bezirk (die nur die Aufgaben in Selbstverwaltung erfüllen, die ihnen gesetzlich zugewiesen sind, Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 BV) sämtliche Angelegenheiten wahrzunehmen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln bzw. einen spezifischen Bezug zur Ortsgemeinschaft aufweisen.[14]
Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben der Menschen in der Gemeinde betreffen.
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Denken Sie daran, dass bei Gemeinden von Ihnen in der Klausur stets erwartet wird, im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung darzulegen, warum die Angelegenheit eine örtliche ist. Bei Landkreisen und Bezirken haben Sie es insofern einfacher, da deren Aufgaben sämtlich qua Gesetz zugewiesen sind.
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Das Gesetz stellt damit in Art. 1 GO die im Einzelfall widerlegbare Vermutung auf, dass die Gemeinde für die Wahrnehmung einer als örtlich zu qualifizierenden Aufgabe verbandskompetent ist.[15] Da eine Gebietskörperschaft nicht handlungsfähig ist, ist weiter in Klausuren darauf zu achten, beim Handeln einer Gemeinde im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit zwingend zwischen Verbands- und Organkompetenz zu unterscheiden.
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Der Kreis der örtlichen Angelegenheiten ist offen und nicht für alle Zeit feststehend. Er variiert auch von Gemeinde zu Gemeinde.[16] Die Aufgabe besteht darin, im konkreten Einzelfall festzustellen, ob die Angelegenheit örtlich oder überörtlich ist. Hiervon hängt ab, ob die Gemeinde als unterste Stufe der Gebietskörperschaften überhaupt zu deren Bewältigung aufgerufen ist. Relevant wird diese Frage überdies bei der Bestimmung des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde (vgl. Art. 7 Abs. 1 GO). In Art. 7 Abs. 1 GO ist normiert, dass der eigene Wirkungskreis der Gemeinde alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfasst.
Beispiele