Vertiefungshinweis:
§ 30 WStG stellt die körperliche Misshandlung und Gesundheitsschädigung eines soldatischen Untergebenen durch einen Vorgesetzten unter Strafe, § 31 WStG die ggf. auch durch psychische Einwirkung begangene entwürdigende Behandlung.[12]
6
Da es sich um eine üble unangemessene Behandlung handeln muss, scheiden dagegen unerhebliche Einwirkungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus, beispielsweise ein leichter Klaps auf den Po sowie ein kurzes Anstoßen oder Kratzen. Gleiches gilt für ein einmaliges Anspucken (insoweit kommt § 185 in Betracht; vgl. § 14). Für die aus Sicht eines objektiven Dritten zu beantwortende Frage der Erheblichkeit spielt es im Übrigen keine Rolle, ob das Vorgehen des Täters Schmerzen hervorruft[13] oder vom Opfer überhaupt wahrgenommen wird.
Beispiele:
Auch ein schlafender, bewusstloser oder allgemein schmerzunempfindlicher Mensch kann körperlich misshandelt werden. Schmerzloses Vorgehen wie das Abschneiden von Haaren kann genügen.[14]
Vertiefungshinweise:
Umstritten ist die Frage, ob und inwieweit Maßnahmen an vom Körper abgetrennten Körperteilen und -substanzen (z.B. kurzzeitig entnommenem Augapfel, Eigenblutspende oder eingefrorenem Sperma) eine Körperverletzung darstellen können.[15] –
Der Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225) enthält drei Begehungsvarianten; er ist wesentlich enger gefasst als § 223 Abs. 1 1. Alt.: Quälen (§ 225 Abs. 1 1. Var.) bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden, die über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungen hinausgehen.[16] Dieses Merkmal wird typischerweise durch mehrere Handlungen verwirklicht, die dann als auf Dauer angelegter Komplex eine Handlungseinheit bilden.[17] Roh ist eine Misshandlung (§ 225 Abs. 1 2. Var.), wenn sie aus einer gefühllosen, gegen die Leiden des Opfers gleichgültigen Gesinnung heraus erfolgt,[18] beispielsweise ein Kind massiv getreten und mit Fäusten geschlagen sowie an den Haaren gerissen und ihm der Mund mit trockenem Brot vollgestopft wird.[19] Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatvariante stets auf ein einzelnes körperverletzendes Geschehen.[20] Eine Verwirklichung dieser beiden Tatbestände ist unter den Voraussetzungen des § 13 auch durch Unterlassen möglich,[21] wobei bedingter Vorsatz ebenfalls genügt.[22] Aus einem verwerflichen Beweggrund und damit böswillig vernachlässigt seine Sorgepflicht (§ 225 Abs. 1 3. Var.), wer etwa von Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass oder Geiz bestimmt wird,[23] namentlich aus Eigensucht nach außen als lebenstüchtig erscheinen und seine Unfähigkeit zur Alltagsbewältigung nicht offenbaren will.[24] Bei dieser Begehungsvariante handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.[25] Die Qualifikationen des § 225 Abs. 3 müssen vorsätzlich verwirklicht werden; § 18 ist nicht anwendbar.[26] § 225 Abs. 3 Nr. 2 verdrängt auf der Konkurrenzebene § 171.[27]
2. Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 2. Alt.)
7
Eine Gesundheitsschädigung begeht, wer einen von den normalen körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden pathologischen Zustand hervorruft, steigert[28] oder zumindest aufrechterhält. Einen derartigen Zustand hält nicht nur aufrecht, wer seine Linderung unterlässt,[29] sondern auch derjenige, welcher dafür sorgt, dass ein sich sonst bessernder Zustand dies nicht tut. Hinsichtlich der erforderlichen Erheblichkeit der Einwirkung auf den Körper eines anderen gelten die Ausführungen zur 1. Begehungsvariante entsprechend. Auch die Gesundheitsschädigung braucht vom Opfer weder bemerkt noch als schmerzhaft empfunden zu werden (vgl. Rn. 6). Bei primär psychischen Beeinträchtigungen ist sie nur zu bejahen, wenn diese den Körper im weitesten Sinne in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand versetzen (vgl. Rn. 5).[30] Dieser Zustand muss allerdings nicht von Dauer sein.[31]
Beispiele:
Ansteckung eines anderen mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit, insbesondere mit einer Geschlechtskrankheit oder dem humanen Immunmangel-Virus (HIV), ohne dass es schon zum Ausbruch der Krankheit gekommen sein muss;[32] wiederholte nicht indizierte Röntgenbestrahlung;[33] Verursachung von Rauschzuständen, zumindest bei eingetretener Bewusstlosigkeit;[34] „post-shooting-Trauma“ nach einem auf das Opfer abgegebenen Schuss;[35] Verursachung einer Rauchvergiftung;[36] Injektion von Morphin mit sedativ-hypnotischer, die Atemfunktion vermindernder Wirkung;[37] Herbeiführung einer Unterkühlung.[38]
II. Subjektiver Tatbestand
8
Für den subjektiven Tatbestand ist bedingter Vorsatz ausreichend. Es genügt somit, dass der Täter eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung eines anderen für möglich hält und trotzdem handelt.[39]
C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch, Rechtswidrigkeit, Konkurrenzen sowie Verfolgbarkeit
9
Für Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Vorschriften (§§ 25 ff.). Daher ist insbesondere die Beteiligung an der tatbestandslosen Selbstverletzung eines anderen Menschen nicht strafbar, es sei denn, die – bezüglich der Mitwirkung an fremder Selbsttötung dargestellten (vgl. § 1 Rn. 20 f.) – Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt.) lägen vor (s. aber die Ausnahmeregelungen der §§ 17 WStG, 109 für die Selbstverstümmelung, um sich zur Erfüllung des soldatischen Dienstes untauglich zu machen).[40]
10
Beide Tatbestandsalternativen können bei Vorliegen einer Garantenstellung auch durch Unterlassen verwirklicht werden.[41] Daher macht sich etwa der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig, wer als Hersteller oder Vertriebshändler von ihm in den Verkehr gebrachte Produkte nicht zurückruft, nachdem er erkannt hat, dass diese auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gesundheitliche Schäden bei den Verbrauchern verursachen.[42] Ebenso erfüllt § 223 Abs. 1, wer unter Verletzung seiner Handlungspflicht zur Aufrechterhaltung erheblicher Schmerzen beiträgt[43] oder die zur Vermeidung körperlicher Schäden gebotene ärztliche Behandlung nicht herbeiführt.[44]
Beispiel:
A unternimmt nichts, obwohl er erkennt, dass seine Ehefrau, die infolge unzureichender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme „in Apathie und Bewegungsunfähigkeit“ verfallen ist, der notärztlichen Hilfe bedarf.[45]
11
Die versuchte Körperverletzung ist aufgrund des 6. StrRG seit 1. April 1998 strafbar (§§ 223 Abs. 2, 22).[46] Insoweit gelten die allgemeinen Regeln uneingeschränkt, namentlich zum Rücktritt (§ 24).[47]
12
Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit kommen prinzipiell alle anerkannten Rechtfertigungsgründe in Betracht. Eine Körperverletzung kann daher beispielsweise durch Notwehr (§ 32) gerechtfertigt sein. Das sog. Züchtigungsrecht kommt dagegen nicht mehr in Frage.[48] Denn es kann auf das ursprünglich zugrundeliegende Gewohnheitsrecht nicht mehr gestützt werden, nachdem der Gesetzgeber durch den am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen § 1631 Abs. 2 Satz 2 BGB (sogar) für personensorgeberechtigte Personen (z.B. die Eltern, § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB) „körperliche Bestrafungen“ ausdrücklich als unzulässig